Nicht kaufen, nur gucken

Von Jürgen Bräunlein · 16.03.2005
Dem Einzelhandel geht es schlecht. Warenhäuser, die erfolgreichen Konsumtempel der 70er und 80er Jahre, schreiben rote Zahlen. "Geiz-ist-geil"-Strategien prägen das Kaufverhalten. Darüber hinaus gibt es immer mehr Menschen, die sich zwar an den Waren erfreuen, aber: sie kaufen nichts! "Sehleute" gab es in den Geschäften und Boutiquen ja schon immer, aber dass sie so geballt auftauchen ist neu. Trendforscher sprechen von "Trockenshopping".
Hanna: "Ich gucke mir die Sachen an. Ich lasse mich inspirieren durch das Ambiente. Es ist sehr entspannend. Es ist für mich fast wie eine Ausstellung gucken oder vielleicht ein Spaziergang im Wald."

Steffi: "Ja, man läuft da durch, und schaut sich das an wie bei modernen Skulpturen. Dass man sich denkt: oh wie verrückt! Wie kann sich jemand so was kaufen und ins Zimmer stellen?"

Frank: "Das Trockenshoppen muss einen gewissen Unterhaltungswert haben, sonst würde man es nicht machen. Und das hat man nicht bei Lebensmitteln. Im Pennymarkt, wo es um die Kondensmilch geht, da kann ich mir nicht vorstellen, das jemand trocken shoppt..."

Undine Budich: "Also diese Gucker gibt es immer. Die gab es auch schon immer, die gibt es aber heute vielleicht vermehrt, weil manche natürlich sagen: ich hab das Geld nicht mehr. Ich würde mir das gerne leisten wollen, kann ich aber nicht, da kann ich wenigstens gucken."

Shoppen gehen ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Immer noch. Gebummelt wird durch Shopping Malls und Departement Stores, Edelboutiquen und Kaufhäuser. Doch das Menschenaufkommen trügt. Immer öfter wird nicht gekauft, sondern nur geguckt. Und das Phänomen hat schon einen Namen: "Trocken Shoppen".
Hanna: "Ich kann mich total selbst vergessen, die Sachen angucken, begeistert sein von den Details, von den Ideen, von der Hingabe der Designer, mit der die all das gefertigt haben. Wenn ich das verspüre, bin ich wie berauscht fast..."

Hanna Michel, Trockenshopperin.

Hanna: "Diese Läden, die vom Preis in Betracht kämen, zumindest für das eine oder andere Teil, nenne ich die gefährliche Zone. Und die anderen Läden, die so hochpreisig sind, dass sie ohnehin nicht in Frage kommen, ist die ungefährliche Zone. Die ungefährliche Zone ist wie ein Ausstellungsbesuch und die gefährliche Zone ist mit mehr Stress behaftet, weil man könnte doch ein Teil finden… Deshalb mache ich Trockenshoppen meistens in den hochpreisigen Läden, wo ich mir das angucke zur Entspannung.

Ich ziehe mich richtig an, als würde ich zu einer Party gehen. Oder zu einer Ausstellungseröffnung. Um Verkäufern das Gefühl zu geben, ich könnte theoretisch eine Kundin sein und auch mir das Gefühl zu geben, ich könnte mir das leisten. Das Verrückte oder Absurde ist, dass die Verkäufer, die sich darin bewegen, sich das ja auch nicht leisten können. Sie verdienen ja auch nicht so viel, dass sich die das Label leisten könnten."

Frank: "In der Verkaufstheorie spricht man ja von dem AIDA-Prinzip. A für Aufmerksamkeit, I für Interesse, D für Drang und A für Abschluss. Von außen wird der Kunde auf den Laden aufmerksam, er bekommt Interesse am Produkt, er bekommt den Drang, das Produkt zu erwerben und es kommt zu Abschluss. Das ist das AIDA-Prinzip, was von den Kaufhäusern gewünscht wird.

Trockenshopping bedeutet eine Form von Coitus interruptus. Das man nach dem I, nach dem Interesse, abbricht, dass man dem Drang, dieses Kleidungsstück zu besitzen, auf keinen Fall folgt, sondern dass man daran denkt, man kann sich das nicht leisten, man braucht es auch nicht, sondern man geht weiter."

Frank Lichtenberg, Trockenshopper.

Frank: "Was einem diese Klamottenläden immer vermitteln, ist immer eine Art von Modernität. Es hängen ja dort immer die neuesten Sachen das heißt: ich erfahre über mich: Ich lebe heute. Ich bin modern, ich bin nicht von gestern. Das ist dieses Gefühl, dass ich mir von diesen Läden hole."

Undine Budich: "Es gibt tatsächlich die Kunden, die einfach nur schauen möchten, die gehen dann durch und haben überall mal geguckt. Man sieht es manchmal am Blick, wenn sie etwas in die Hand nehmen, dass es ihnen gefällt, sie aber gar nicht die Absicht haben, zu kaufen. Dann gibt es aber welche, die signalisieren zwar, ich will nicht kaufen. Das sind die, die sich in einem Bereich wohl fühlen, wo sie sagen: Hier kann ich ungestört gucken, ohne das da immer jemand hinten dran ist.

Das ist eine ganz besondere Klientel. Auch da muss man vorsichtig sein. Weil wenn die nämlich nicht beachtet werden und sich dann doch für etwas interessieren und dann ist gerade keiner da, dann sind sie als Kunde weg."

Undine Budich, Modeberaterin im Berliner Kaufhaus des Westens, zuständig für den Designerbereich.

Undine Budich: "Das ist das Anonyme in einem Warenhaus. Sie stehen nicht ständig unter Spannung, sie können sich relativ frei bewegen, sie können das Teil anhaben, nochmals rausgehen und gucken. Da passiert es schon, dass wir zwei Stunden bedienen und da kommt kein Teil dabei herum. Und das ist frustrierend für den Modeberater."

Carolin: "Wir waren in England, in so einer Kleinstadt da hatten wir kurz Zeit, sag ich zu meiner Freundin: Guck mal da ist ein Brautladen. Da hatten wir uns einen Spaß gemacht rein zu gehen und eine peinliche Geschichte erzählt, dass wir Türken sind, und jetzt verheiratet werden, und da müssen wir jetzt Kleider ausprobieren und das war eine total nette, ältere Verkäuferin, die hat schon geschnallt, dass wir nicht verheiratet werden, aber die war total süß und wir konnten uns beide ein ganz tolles Brautkleid aussuchen und sie hat uns dann noch die Schuhe dazu gegeben, sie hat schon gemerkt, dass es ein Spaß war, aber das war für uns ein Erlebnis. Mal so ein Brautkleid anzuhaben..."

Stefan Wacker: "Vor 5 bis 10 Jahren kamen die Kunden ins Geschäft, weil sie einen Kaufwunsch hatten und das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Viele kommen einfach nur, möchten am liebsten ungestört sein, dass man am besten keine Notiz von ihnen nimmt, gucken so rum, gehen wieder raus, ohne auf Wiedersehen zu sagen. Dann gibt es eine zweite Schicht, die grüßen einen und sagen, wir wollen nur mal schauen und gehen dann wieder. Und die dritte Schicht sagt: ja, es gefällt mir, ist aber zu teuer. Offenbar ist der Preisvergleich ganz wichtig. Sie gucken, wo sie was am günstigen kriegen. Der Kunde ist sehr viel kritischer geworden."

Stefan Wacker, Florist und gelegentlicher Trockenshopper
Stefan: "Ist so ein Sport geworden, dass man sich Sachen mehrfach anguckt und gerade dann wenn’s runter gesetzt ist, in diesem Moment zuschlägt, also im Prinzip so ein Einkaufserlebnis zu sagen: ich hab es aber so und so viel Euro günstiger bekommen."

Schon vor 10 Jahren kam eine Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" zu dem Ergebnis

"Die Zeiten, in denen ein Mehr an Waren und Dienstleistungen auch ein Mehr an Lebensqualität bedeuten, sind vorbei."

Heute, wo die materiellen Grundbedürfnisse selbst bei den einkommensschwachen Schichten erfüllt sind, hat das Schlagwort abgedankt:

"Mehr besitzen!"

Nun zählt der Imperativ:

"Erlebe dein Leben! Erlebe Dein Kaufhaus! Mach Trocken Shoppen!"

Caroline: "...In der Delikatessenabteilung im KaDeWe... diese exquisiten Essensachen, Fischhummer, diese Törtchen die total klasse aussehen und zu schauen, wie teuer die sind. Das finde ich sehr faszinierend. Dass man da 40 Mark für so ein kleines Törtchen hinlegt. ...man läuft einfach durch und es ist alles da. Man hat das Gefühl, man könnte alles kaufen und es sieht alles unglaublich gut aus. Unglaublich lecker. Alles an einem ort aufgebaut. Dekorativ.

...Ich finde es auch interessant zu sehen, wie unterschiedlich auch das Essverhalten der verschiedenen Länder ist. Wie der Schinken in Frankreich aussieht im Verhältnis zum Deutschen, einfach das zu sehen. Das finde ich spannend. Oder sich zu erinnern, das man in dem Land war und das gegessen hat. oder sich vorzustellen, das man da hinfährt. Oder wie die Reise war von diesem ganzen Zeugs.."

Der Trockenshopper ist ein friedfertiges Wesen, ergötzt sich an den unverbindlichen Möglichkeiten, die sich ihm bieten. Er ist der kluge Konsument, der beiden Extremen ein Schnippchen schlägt. Vom Kaufrausch - angeblich jeder fünfte Deutsche ist gefährdet - ist er ebenso weit entfernt wie von der Konsumaskese, die jede Ware meidet. Er schöpft aus dem Vollen - bleibt aber trocken.

Das heißt: er bemüht sich darum.

Frank: "Gefährlich wird’s immer dann, wenn ich psychisch sehr unausgeglichen bin, wenn ich unglücklich bin, wenn ich unzufrieden bin, dann ist die Gefahr groß, dass ich Lust habe einen neues Bild von mir zu schaffen. Kleidung hat ja was mit Kostüm zu tun mit einer Rolle dass ich Lust habe auf etwas anderes. Dass ich mich selbst als unvollkommen - so wie ich bin – empfinde. Und mir nicht die Mühe mache, die wirkliche Ursache zu finden, sondern in der Hülle stecken bleibe und glaube mir durch eine neue Hülle helfen zu können."

Hanna: "Was ich fest gestellt habe, Wenn ich das dann tatsächlich mache, wenn ich beim Trocken Shoppen Sachen anziehe, dann diese Grenze überschritten wird und ich wirklich diese Sachen begehre und ich mir dann Gedanken machen, wie ich an die Sachen rankomme, ob ich nicht doch dieses Budget hätte. Dann ist der Spaßfaktor weg. Dann fängt das Ärgern an, das man sich das nicht kaufen kann, deswegen lass ich es dann lieber von vorn herein."

Stefan: "Du bist gestresst, bei der Arbeit war’s nicht so gut, du fühlst dich nicht so gut. In dem Moment wo du den Prosecco oder den Kaffee bekommst, vergisst du das erst einmal. Und du musst dich halt so lange in dem Laden aufhalten, bis du dieses Getränk ausgetrunken hast. Den Prosecco trinkst du nicht auf ex, sondern du nippst ab und zu dran und in der Zeit guckst du dich schon um und da war so 'ne schöne Sitzecke und du hast dich hingesetzt und mit dem Verkäufer geplaudert und dann ging’s drei vier Minuten später um das Produkt, um diese Schuhe. Und dann hab ich ein bisschen gehandelt mit dem Preis. Der hat’s dann zehn Euro günstiger gemacht. Dann hatte ich ein gutes Gefühl..."

Steffi: "Bei Esprit, da ist so ein Massagesessel mit dabei für die Männer. Und ich weiß, dass das meine Schwester regelmäßig macht. Die legt ihren Freund da ab. Und der ist dann völlig entspannt und sagt: lass dir nur Zeit. Dem ist dann egal, wenn sie stundenlang einkauft. Sonst nervt's ihn. Er liegt die ganze Zeit in diesem Massagestuhl und guckt Fernsehen nebenher. Das ist natürlich super. Dann will er gar nicht gehen. Aber ob das jetzt dazu beiträgt, dass meine Schwester mehr kauft, kann ich so jetzt nicht sagen, aber sie geht auf jeden Fall ehre in diesen Laden als in einen anderen, weil sie weiß, da gibt’s diese Sessel..."

Verkaufsstrategen lassen sich heute immer mehr einfallen, die Menschen zum Verweilen einzulanden. Warenhäuser werden zu ausgefeilten Erlebnisräumen voller Reizquellen. Sanfte Jazzmusik im Hintergrund. Duftkerzen schmeicheln der Nase. Vor allem aber werden die Waren immer raffinierter präsentiert, drapiert und angeleuchtet, als handelt es sich um Kunst.

Frank: "In der neuen Nationalgalerie hier in Berlin gab es eine Ausstellung von Armani. Da waren 500 Schaufensterpuppen hintereinander aufgereiht, die seit den frühen 70er Jahren die wichtigsten Teile der Kollektion zeigten. Schon das Publikum war im Grunde genommen dasselbe, was man auf dem gediegenen Teil des Kudamms sehen kann. Ältere gut geföhnte Damen, gut gesträhnt. Es war nicht mehr erkennbar, ist das ein kultureller Wert, den die Schau hier hat oder ist es nicht schlichtweg ein Schaufensterkonsum, wie er auf dem Kudamm jeden Samstag stattfindet."

Doch im Museum kann man die Kunst nicht kaufen. Nicht mal anfassen darf man die Gegenstände. Für den Trockenshopper - und alle anderen Shopper erst recht – ist das entschieden zu wenig.

Frank: "Es ist ein ewiger Wettlauf. Egal wo wir einsetzen, ob beim Käufer oder beim Verkäufer. Der eine versucht immer anderen zu überlisten und seine Interessen durchzusetzen. Der Kunde versucht sich dagegen zu wehren andauernd Geld auszugeben, will aber trotzdem die Annehmlichkeiten, die das Kulturgut Kaufhaus bietet, nicht missen und benutzt es zu seinen Zwecken. Daraufhin werden die Mechanismen noch feiner, die ihn zu Kaufen verführen sollen und das funktioniert vielleicht einige Zeit und dann durchschaut er es wieder. Und so geht die Spirale endlos weiter."