Nicht heilbar

Von Annegret Faber · 03.07.2011
Möchten Sie wissen, ob Sie später an Alzheimer leidern werden? Kürzlich verkündete die Leipziger Universität, schon 15 Jahre im Voraus die Krankheit diagnostizieren zu können. Doch was bringt die Früherkennung - abgesehen von immensen Kosten?
1,2 Millionen Demenzkranke gibt es in Deutschland und es werden immer mehr. Grund ist der steigende Altersdurchschnitt. Für Pharmakonzerne könnte das eine unerschöpfliche Geldquelle sein, wenn Sie doch endlich ein Mittel gegen die gefürchtete Alterskrankheit hätten. Zum Leid aller Beteiligten gibt es das nicht, dafür aber jede Menge Früherkennungsmethoden.

Ein Pflegeheim für Demenzkranke Menschen in Glauchau in Sachsen. Rolf Schiffner sitzt im Krankenzimmer seiner Frau. Sie ist 76, ebenso wie er, und lebt in einem Einzelzimmer mit zwei großen Fenstern und hellen Holzmöbeln. Jeden Tag kommt der 76 Jährige hier her.

"Wenn ich mal nicht gehe, dann mach ich mir die größten Vorwürfe."

56 Jahre sind die beiden verheiratet. Seit sechs Jahren ist Renate Schiffner stark pflegebedürftig und nun in einem späten Stadium der Demenz. Ob Sie ihren Mann noch erkennt? Er weiß es nicht

"Ich weiß nicht ob sie überhaupt weiß, wo sie ist. Ich weiß auch nicht, wenn die mich erkennt, ob sie weiß, dass ich ihr Mann bin. Es kann mir niemand sagen, ob sie das mitkriegt."

Der ehemalige Taxifahrer leider sehr unter der Situation. Trotzdem ist er froh, dass seine Frau noch da ist. Hätte es ihm geholfen, wenn er schon lange vor der Erkrankung gewusst hätte, was auf ihn zukommt?

"Ne, meine Frau wäre ausgerissen, wenn sie das gewusst hätte. Und bei Alzheimer, ich möchte es nicht wissen. Um Gottes willen. Man sieht ja hier, was das Endstadium ist."

Seine Frau kann nur noch Laute von sich geben. Immerhin läuft sie, auch essen kann sie noch. Lachen hat er sie schon lange nicht mehr gesehen. Manchmal weint sie, glaubt er, zum Beispiel wenn die Enkelkinder aus ihrem Zimmer gehen. Die Situation ist für ihn ausweglos, denn Demenz ist nicht heilbar. Der Patient bekommt die Diagnose, ohne anschließende Therapie. Ab einem gewissen Stadium können krankheitsverzögernde Medikamente gegeben werden. Der Leiter der Pflegeeinrichtung, Michael Oehler, steht der Früherkennung deshalb mit gemischten Gefühlen gegenüber.

"Ich bin da sehr zwiegespalten. So lange keine Heilung möglich ist, bin ich da zerrissen. Einerseits, wenn ich es weiß, kann ich mich vielleicht noch drauf einrichten, kann noch Einiges regeln. Aber die Erfahrung und das, was mir Mitglieder der Selbsthilfegruppe gesagt haben: Man wird eher gelähmt, wenn ich weiß, was auf mich zukommt, ist das eher erschreckend."

Dieses Problem sieht auch Prof. Hermann Joseph Gertz, der stellvertrende Leiter der Leipziger Uni Klinik für Psychologie:

"Natürlich kann das auch so negative Folgen haben, dass die Leute sich übermäßig einschränken, übermäßig besorgt sind."

Außerdem sei der Verlauf der Krankheit nicht berechenbar.

"Das ist aus meiner Sicht eines der ganz großen Probleme der Frühdiagnostik, dass wir früh sagen können, Sie haben eine Alzheimer Krankheit, aber nicht früh sagen können, das wird sich so und so entwickeln. Wir haben Patienten, die stabil sind über Jahre und trotzdem die Diagnose haben. Es gibt auch bei fortgeschrittenen Alzheimer Patienten so genannte Plateaus der Symptomatik, also dass sich das jahrelang stabilisiert und nicht weiter fortschreitet. Das können wir alles nicht voraussagen."

Trotzdem wird an Früherkennungsmethoden intensiv geforscht. Zehn bis 15 Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit sei die Diagnose nun schon möglich, so eine Meldung der Leipziger Universität. Die Methode: Die schwach radioaktive Marker-Substanz Florbetaben wird dem Patienten in den Arm gespritzt, reichert sich im Gehirn an und macht es möglich, das Eiweiß Beta-Amyloid zu erkennen. Beta-Amyloid gilt als Auslöser der Alzheimer-Demenz. Doch selbst das ist in Fachkreisen umstritten.

Die beteiligten Wissenschaftler der Leipziger Universitätsklinik für Nuklearmedizin wollen zu ihrer Arbeit kein Interview geben. Begründung: Zeitmangel. Finanziert wurde die Forschung vom Pharmakonzern Bayer Schering. Würden die Krankenkassen einen Pflichttest einführen, wäre die Früherkennung ein unerschöpflicher Geldquell für den Konzern. Denn die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, steigt mit dem 65. Lebensjahr rapide an. Ab dem 90. Lebensjahr liegt sie schon weit über 50%. Michael Oehler:

"Es gibt ja auch die Aussage: Wer die Chance hat 100 zu werden, hat zu fast 100 Prozent die Chance, dement zu werden. Es ist sicherlich etwas überspitzt, aber die Richtung stimmt."

Professor Dr. Jens Wiltfang, von der Universität Erlangen und Vorstandsmitglied im Kompetenznetz Demenzen geht davon aus,

"dass wir Alzheimer in zehn bis 15 Jahren heilen können. Dann brauchen wir eine zuverlässige Methode, um die Krankheit zu diagnostizieren, bevor das Gehirn stark geschädigt ist."

Bis zum Jahr 2050 rechnet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft mit 2,6 Millionen Alzheimer Patienten, nur in Deutschland. Frauen sind öfter betroffen, weil sie älter werden als Männer. Trotz der vielen Nachteile ist für Prof. Hermann Joseph Gertz die Frühdiagnostik ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu zukünftigen Heilmethoden:

"Die Therapie-Entwicklungen, die im Moment laufen, die wiederum sind sozusagen sehr zwingend an eine frühe Diagnose geknüpft, weil das Therapien sind, mit denen man den Ausbruch der Krankheit blockieren möchte. Impfung gegen Alzheimer. Man impft ja auch nicht, wenn die Krankheit da ist, sondern man möchte die Krankheit verhindern, und da gibt es sehr intensive Bemühungen, auch, sagen wir mal, durchaus aussichtsreiche Ansätze. Und insofern gibt es für die Therapieentwicklung ein unbedingtes Muss, was die Frühdiagnostik angeht, aber in der Praxis ist es im Moment ein großes Auseinanderdriften von Therapie und Diagnostik."


Weitere Informationen im Internet:

Interview mit Professor Dr. Jens Wiltfang, Vorstandsmitglied im Kompetenznetz Demenzen

Mehr Informationen zum Thema auf dradio.de:

Studiozeit • Aus Kultur- und Sozialwissenschaften vom 24.2.2011: Demenz-Report - Neue Studien zur Alterung der Gesellschaft *

Interview vom 14.5.2011: Alzheimer lässt sich hinauszögern - Psychiater: Menschen können mit der Krankheit in Würde leben (DKultur)

Interview vom 21.9.2010: "Es gibt genetische Risikofaktoren" - Alzheimer-Experte zum Stand der Therapie und Forschung (DKultur)
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