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Schwierige Regierungsbildung in Italien
"Das Risiko der Instabilität besteht"

Das Wahlergebnis in Italien verheiße eigentlich keine Stabilität der Regierung oder des Landes, sagte Lamberto Dini im Dlf. Dennoch rechnet der ehemalige italienische Ministerpräsident mit der Bildung eines breiten Regierungsbündnisses - auch wenn der Weg dahin lang sei.

Lamberto Dini im Gespräch mit Christoph Heinemann | 23.03.2018
    Lamberto Dini, ehemaliger italienischer Ministerpräsident, bei einer Pressekonferenz in Rom
    "Ich bin nicht sehr pessimistisch": Für den ehemaligen Premier Lamberto Dini spielt auch die positive Tendenz der italienischen Wirtschaft für 2018 eine Rolle bei der Regierungsbildung (imago)
    Christoph Heinemann: Wer wird Italien regieren?
    Lamberto Dini: Das ist gegenwärtig schwer vorauszusagen. Das Wahlergebnis hat keine Partei als Siegerin hervorgebracht. Es gibt drei politische Formationen, die aber über keine Mehrheit verfügen. Also bedarf es einer Koalition zweier oder mehrerer Parteien. Wenn zwei Parteien keine Regierung zustande bringen, die im Parlament über eine Mehrheit verfügt, obliegt es dem Staatspräsidenten, alle an ihre Verantwortung zu erinnern, um ein breites Bündnis zu bilden. Dieses Bündnis kann dann Maßnahmen beschließen, auf die sich alle Parteien einigen und die für alle Parteien akzeptabel sind. Ich bin nicht sehr pessimistisch. Es wird eine Lösung geben. Wir benötigen ein paar Monate, bis alle Möglichkeiten ausgelotet sein werden.
    "Das Land ist heute gespalten"
    Heinemann: In Deutschland hat es auch einige Monate gedauert. Manchmal hilft die Zeit. War die Wahl am 4. März eine Abstimmung gegen die Europäische Union?
    Dini: Das sehe ich nicht so. Das war keine Abstimmung gegen Europa. Es wurde höchstens indirekt über die Beziehungen zu Europa gesprochen. Zwei Themen waren wichtig: einerseits - vorangetrieben von dem Mitte-Rechts-Bündnis - das Gefühl der Unsicherheit, das im Land entstanden ist, wegen der zu hohen Anzahl von Migranten, die in das Land gekommen sind. Es geht dabei um die Personen, die in die Aufnahmezentren gelangt sind, keine Arbeit fanden und dann in der Kriminalität geendet sind. Das Migrationsproblem, das Europa nicht gelöst hat, war ein wichtiger Faktor für das Ergebnis dieser Wahlen.
    Ein anderer Faktor waren die geringen Investitionen für Arbeitsplätze im Süden des Landes. Die Partei, die eine Grundsicherung in Aussicht gestellt hat, hat im Süden am besten abgeschnitten. Das Land ist heute gespalten: der produktive Norden, der für die liberal-demokratischen und andere Parteien des Establishments gestimmt hat, und der vom Sozialstaat abhängige Süden. Es wird schwierig sein, diese Spaltung in kurzer Zeit zu überwinden. Die Mehrheit des Landes möchte in Europa und in der Eurozone bleiben.
    Kritik an der europäischen Sparpolitik
    Heinemann: Matteo Salvini hat gesagt, der Euro sei ein Fehler, und dass er als Ministerpräsident unter Umständen den Stabilitätspakt nicht einhalten werde. Letzteres war auch von der Fünf-Sterne-Bewegung zu hören. Was bedeutete es für Italien, wenn die nächste Regierung den Stabilitätspakt nicht einhalten würde?
    Dini: Ich glaube nicht, dass das eintreten wird, wegen der Regierung, die nach meiner Meinung am Ende zustande kommen wird. Es wird ein breites Regierungsbündnis sein, in das die drei wichtigsten politischen Formationen eintreten werden. Die italienische Wirtschaft weist für 2018 eine positive Tendenz auf. Wenn die Regierung nicht neue Maßnahmen beschließt, wird das Wachstum so ausfallen wie im Jahr 2017 - oder besser. Der Fehlbetrag im Haushalt wird geringer sein. Und das bedeutet, dass begonnen werden könnte, die Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt zu verringern.
    Allerdings besteht in Italien auch jenseits der Wahlkampfreden das Gefühl, dass die Sparpolitik, die von der Europäischen Union auferlegt wurde, einen Grund für die hohe Arbeitslosigkeit bildet. Dieses Gefühl gibt es. Und nicht nur in Italien.
    "Das Risiko der Instabilität besteht"
    Heinemann: Wenn man die Wahlversprechen unter die Lupe nimmt: Mitte Rechts: Mindestrente 1.000 Euro, Flat Tax, Fünf Sterne: Grundeinkommen, Hilfen für Familien. Allein das beläuft sich auf Zehntausende Milliarden Euro. Kann man diese Versprechen finanzieren?
    Dini: Dazu wird es nicht kommen. Das waren Wahlversprechen. Die Idee eines Grundeinkommens hat dafür gesorgt, dass die Fünf-Sterne-Bewegung im Süden gewonnen hat. Die Verantwortlichen in der Fünf-Sterne Bewegung wissen sehr genau, dass man ein solches Grundeinkommen nicht auf eine große Gruppe von Bürgern wird ausdehnen können. Die Flat Tax ist sehr gut. Ein Steuersatz von 25 Prozent würde ein Haushaltsloch von 25-30 Milliarden Euro verursachen. Dieser Betrag wäre aber nicht unwiederbringlich weg, man könnte ihn decken, indem man manche Ausgabenposten verringerte. Die Flat Tax ist eine gute Idee. Das heißt aber nicht, dass sie von einer Koalitionsregierung auf den Weg gebracht würde. Die würde weder die Vorschläge der Fünf Sterne für eine Grundsicherung noch die einer Steuersenkungen in Anlehnung an die Flat Tax verwirklichen.
    Heinemann: Könnte die schwierige Lage in Italien zu Instabilität auf den Finanzmärkten führen?
    Dini: Das Wahlergebnis, das nicht gerade Stabilität der Regierung oder des Landes verheißt, hat nicht dazu geführt, dass die Märkte negativ reagiert hätten. Weil die grundsätzlich Tendenz positiv ist, wie ich eben gesagt habe. Natürlich kann man sich vorstellen, dass die Märkte negativ reagieren, sollten Maßnahmen beschlossen werden, die die Lage der öffentlichen Finanzen verschlechtern und die Schulden erhöhen würden. Dann würden die Märkte rebellieren. Das Risiko der Instabilität besteht. Italiens Lage ist unsicher. Und dies wird andauern, bis eine Regierung gebildet sein wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.