Ngugi lebt seinen Traum

06.01.2011
Geschichte(n) erzählen kann Ngugi wa Thiong’o meisterhaft. Im Alter von 71 Jahren erinnert er sich in "Träume in Zeiten des Krieges" an seine Kindheit und blättert damit gleichzeitig ein Stück kenianischer Kolonialgeschichte auf.
Ngugi wa Thinog’o wird 1938 im Distrikt Limuru in einer kenianischen Bauernfamilie geboren. Sein wohlhabender Vater hat vier Frauen und 24 Kinder. Doch verliert er sein Ackerland an einen schwarzen Großgrundbesitzer, weil er seine Ansprüche nur traditionell mündlich besiegelt hat, während der Kontrahent dem Gericht Verträge vorweisen kann.

Nachdem eine Seuche die meisten Ziegen und Kühe hingerafft hat, fängt der Vater an zu trinken. Es kommt zu tätlichen Auseinandersetzungen in der Familie. Ngugi wa Thiong’os Mutter Wanjiku verlässt mit ihren sechs Kindern ihren Mann. Die hart arbeitende Wanjiku will ihren Sohn Ngugi unbedingt zur Schule schicken und kauft ihm, als er neun Jahre alt ist, eine Schuluniform. Ngugi besucht die Kamandura Grundschule.

Der Junge, der von klein auf begeistert den allabendlich am Lagerfeuer erzählten Geschichten gelauscht hat, entdeckt schnell das Lesen für sich. Das Alte Testament, später "Oliver Twist" zeigen ihm Wege in unbekannte Welten. Der Junge lernt mit großem Eifer. Seine Mutter unterstützt ihn mit aller Kraft und fragt immer wieder: "Ist das das Beste, was du erreichen konntest?" Durch die Unterstützung der Mutter schafft es der Sohn bis auf die Highschool.

Als wäre der Überlebenskampf nicht schon hart genug, kommen soziale und politische Verwerfungen hinzu. Viele junge Kenianer, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Engländer kämpfen, kehren nicht in die Heimat zurück. In den 50er-Jahren wird der Widerstand gegen die Kolonialmacht immer stärker und damit auch die Repression. Ngugis großer Bruder Good Wallace flieht vor der Verhaftung in die Berge und schließt sich der Befreiungsbewegung Mau Mau an. Doch auch in Zeiten des Krieges lebt Ngugi seinen Traum, dass Bildung alles zum Guten verändern kann.

Ngugi wa Thiong’o beschreibt das 20. Jahrhundert aus der Perspektive eines Kindes und Jugendlichen mit all seinen Absurditäten und Grausamkeiten. Sein Erzählton ist humorvoll und gelassen. Während seine Bühnenstücke häufig sehr didaktisch sind und seine frühen Romane und Essays strenge Kritik am Bestehenden äußern, bleibt er in seinen Erinnerungen versöhnlich und gleicht einem Großvater, der seinen Zuhörern eindrucksvoll, mit großer Ruhe und Anschaulichkeit aus lang vergangenen Zeiten erzählt.

Die eigene Person tritt dabei in den Hintergrund, um die gesamtgesellschaftliche Situation in Kenia zu verdeutlichen. Das Buch ist ein Meisterstück, das zum Verweilen und Nachdenken einlädt. Das ist auch das Verdienst des Übersetzers Thomas Brückner, der sich auf namhafte afrikanische Autoren spezialisiert hat. In seinem Nachwort schildert er Ngugi wa Thiong’os Schaffen im literarischen Kontext und räumt ihm einen Platz neben dem Nobelpreisträger Wole Soyinka ein.

Besprochen von Birgit Koß

Ngugi wa Thiong’o: Träume in Zeiten des Krieges. Eine Kindheit
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A1 Verlag, München 2010,
261 Seiten, 22,80 Euro

Das Buch steht auf der litprom-Bestenliste "Weltempfänger"