Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen"

Abgrund an menschlicher Zivilisation

Peter Schneider, Sabin Tambrea, Jana Brandt, Sylvester Groth und Florian Stetter (v. links) bei der Premiere des ARD Fernsehfilms "Nackt unter Wölfen"
Peter Schneider, Sabin Tambrea, Jana Brandt, Sylvester Groth und Florian Stetter (v. links) bei der Premiere des ARD Fernsehfilms "Nackt unter Wölfen" © Imago / Future Image
28.03.2015
Der Bruno-Apitz-Roman "Nackt unter Wölfen" ist von der ARD neu verfilmt worden. Die Geschichte über die Befreiung des KZs Buchenwald wurde schon 1963 für die DEFA verfilmt. Während der alte Film die Kommunisten heroisiert, zeigt die Neuverfilmung eher die Privatgeschichte eines Häftlings.
Patrick Wellinski: Am 11. April jährt sich zum 70. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Als die SS-Aufseher vor den Amerikanern flüchteten, waren noch mehrere Tausend Inhaftierte im Lager. Ein Schicksal stach dabei besonders hervor, das eines kleinen jüdischen Jungen, der von einigen Häftlingen heimlich in Buchenwald versteckt und damit vor dem sicheren Tod gerettet wurde. In seinem Roman "Nackt unter Wölfen" hat der Schriftsteller Bruno Apitz diese Überlebensgeschichte des Jungen nacherzählt. Der Regisseur Frank Beyer hat den Stoff 1963 verfilmt und damit einen der größten DEFA-Erfolge produziert. Das klang damals ungefähr so:
Filmausschnitt:
Muss dich richtig ansehen! Kleines Kind, hat so schönen ... Augen!
Gestern waren Sie über Erfurt. Wenn ich will, sitzen Sie heute Abend schon im Bunker. Und es wird mulmig.
Und wenn ich nun nichts davon weiß, dass es hier Motten gibt? Haben Sie mich verstanden?
Ich habe Sie sogar sehr gut verstanden.
Wellinski: Doch die Authentizität der Geschichte stand schon damals auf dem Prüfstand, zu heroisch wirkte die Darstellung des kommunistischen Widerstands in Buchenwald. Pünktlich zum Jahrestag der Befreiung zeigt die ARD am 1. April eine aufwändige Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen", natürlich in einem ganz anderen Tonfall.
Filmausschnitt:
Ich komme mir vor wie ein Toter, der aus dem Jenseits da runterblickt.
Achtung.
Wir werden euch zu brauchbaren Menschen machen oder ihr sterbt hier.
Wellinski: Wir wollen über die Verfilmung sprechen. Und dazu begrüße ich den Filmhistoriker Andreas Kötzing. Guten Tag!
Andreas Kötzing: Hallo, Herr Wellinski!
Wellinski: Bevor wir vielleicht auf die neue Verfilmung zu sprechen kommen, lassen Sie uns kurz zurückblicken auf die Ursprünge von "Nackt unter Wölfen"! Wie authentisch ist denn die Geschichte, die Bruno Apitz damals in seinem Roman aufgeschrieben hat?
Kötzing: Es gibt ein authentisches Vorbild, Stefan Jerzy Zweig, der tatsächlich als kleiner Junge zusammen mit seinem Vater nach Buchenwald gekommen ist. Aber der Roman orientiert sich nur sehr grob an der Lebensgeschichte beziehungsweise hat sie sehr, sehr stark verfremdet in seiner Erzählung. Das fängt zum Beispiel schon damit an, dass im Original Stefan Jerzy Zweig nicht mit einem Koffer angekommen ist, er war auch nicht illegal im Lager, so wie es im Roman dargestellt wird, sondern war eins von vielen Kindern. Interessanterweise gab es zum Beispiel bei der Befreiung von Buchenwald noch über 900 Kinder, die im Lager gewesen sind. Seine besondere Rolle war tatsächlich, dass er eines der jüngsten und eines der kleinsten Kinder war und dass es deswegen auch sehr viele Insassen im Lager gab, die versucht haben, sich um ihn zu kümmern, ihn zu schützen, ihn mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht haben. Und Bruno Apitz hat von dieser Geschichte gehört, denn er war selber Häftling in Buchenwald, ohne dass er Stefan Jerzy Zweig damals schon kennengelernt hätte. Aber er war in Kontakt mit vielen anderen Häftlingen aus dem kommunistischen Widerstand und hat sich diese Geschichte erzählen lassen und hat sie dann sehr, sehr stark zugespitzt dramaturgisch in seinem Roman als eben das eine, einzelne Kind, das dort gerettet wird, von sehr, sehr stark hervorgekehrten Motiven, die wir immer wieder finden bei den Kämpfern des kommunistischen Widerstandes, die eben sagen, dieses Kind darf nicht sterben, das gehört zu uns mit dazu, das müssen wir auf jeden Fall retten, weil sonst ist auch unser ganzer Kampf für das, was in Zukunft eigentlich passieren soll, wenn wir dieses Lager befreit haben, sinnlos gewesen.
Wellinski: Dieser kommunistische Widerstandskampf war prägend für eine gewisse Legendenbildung in der DDR. Welche Rolle spielte denn der DEFA-Film von Frank Beyer für diese Legendenbildung?
Erzählung läuft auf Heldenmythos zu
Kötzing: Das ist ganz interessant, denn ursprünglich wollte Bruno Apitz eigentlich, dass es gleich ein Film werden sollte. Den hat die DEFA erst abgelehnt, und dann, als dieser Roman so ein großer Erfolg wurde Ende der 50er-Jahre, ganz viele Auflagen hintereinander, mehrere Hunderttausend verkaufter Exemplare, dann hat man sich doch auch dazu entschieden, einen Film daraus zu machen, erst im Fernsehen, später dann bei der DEFA, fast mit der gleichen Besetzung übrigens nach der Fernsehverfilmung. Und der hatte natürlich einen massiven Anteil an der Mythen- und Legendenbildung, weil der Film so erfolgreich war, weil er zum Dauerbrenner in den DDR-Kinos wurde. Eine ganze Generation von Jugendlichen ist mit diesem Film aufgewachsen und natürlich auch mit dem Buchenwald-Bild, das darin vermittelt wurde. Denn der Film hat zwar eindeutig einige Schattierungen, wenn es darum geht, wie eng der kommunistische Widerstand mit der SS zusammengearbeitet hat, auch die SS-Angehörigen im Lager werden durchaus sehr differenziert geschildert, das ist schon ein sehr bemerkenswerter Film vor allem auch durch seine ästhetische Gestaltung, die Schwarz-Weiß-Bilder, das ist was sehr Besonderes. Aber im Endeffekt läuft natürlich die gesamte Erzählung auch wieder auf diesen Heldenmythos zu, das Lager als ein Ort, in dem nicht primär gestorben wird, in dem es nicht darum geht, das Leid der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, sondern eben den Widerstandskampf und die Befreiung des Jungen, gebündelt am Ende in dem Schlussbild, wie die kommunistischen Widerstandskämpfer mit den hineingeschmuggelten Waffen die SS tatsächlich verjagen aus dem Lager und in einer Art Revolution es am Ende selbst befreit.
Wellinski: Nach 1990, also nach der Wende ist viel über diesen Mythos von Buchenwald und die Verklärung des kommunistischen Widerstandes zu DDR-Zeiten geforscht und auch publiziert worden. Auch über das Schicksal der Kinder in Buchenwald. Spielfilme über die NS-Zeit, die sich speziell mit der Buchenwald-Thematik beschäftigen, gibt es aber, ehrlich gesagt, nur wenige. Wie nährt sich denn jetzt dieser neue ARD-Film, produziert von der UFA, der Thematik?
Kötzing: Das ist ganz interessant, denn er basiert eigentlich auf einer Neuveröffentlichung des Romans im Jahr 2012. Da ist eine neu kommentierte Fassung von "Nackt unter Wölfen" erschienen, ergänzt um einige Textstellen, die 1958 noch nicht erscheinen durften beziehungsweise die aus dem Roman herausredigiert worden sind, auch historisch noch einmal neu eingeordnet wurden 2012, die ganze Geschichte, was eben verfremdet war. Und der Film versucht jetzt, ihn sozusagen ein bisschen ideologisch zu entrümpeln. Der ganze kommunistische Widerstand wird sehr stark zurückgedrängt im Film, spielt eigentlich gar keine primäre Rolle mehr, ob das nun Kommunisten sind oder wer da eigentlich genau den Widerstand leistet, der Film ist auch viel drastischer und dramatischer, wenn es darum geht, den Lageralltag darzustellen, also all das, was bei Frank Beyer sehr zurückgenommen, fast ein bisschen steril wirkt, das wird hier sehr, sehr stark konfrontativ dem Zuschauer gezeigt, die ausgemergelten Körper, das Leiden, das Sterben im Lager, die vielen Körper, die nebeneinander gepfercht sind in die einzelnen Baracken, da ist der Film viel, viel deutlicher. Und es ist am Ende eben nicht mehr die Selbstbefreiung, der Mythos von Buchenwald, der dargestellt wird, sondern tatsächlich so, wie es in Wirklichkeit war, dass die SS sich eben zurückzieht aus dem Lager und dass es so eine Art Befreiungskampf gar nicht mehr gab, weil der Großteil der Truppen eben nicht mehr vor Ort gewesen ist.
Wellinski: Aber welche Rolle spielt denn der Widerstand in der neuen ARD-Verfilmung?
Dramaturgie erinnert ein bisschen an einen "Tatort"
Kötzing: Er ist wichtig natürlich als Funktion innerhalb des Lagers, aber es geht nicht mehr darum, ob wir es hier mit einer besonderen politischen Bewegung zu tun haben, die auf ein Ziel hinarbeitet, was denn passieren soll nach dem Lager, also dieses Zukunftsweisende, was bei der DEFA und beim Roman so eine besonderer Rolle gespielt hat, darum geht es hier gar nicht mehr. Und der Film bemüht sich hier auch ein bisschen eines kleinen Kniffs, denn wenn also die politische Überzeugung nicht mehr Ausschlag gibt für die Rettung des einen Kindes, dann muss natürlich irgendwas anderes herhalten dafür. Und das ist in dem Fall dann eher die Privatgeschichte eines Häftlings, der uns vorgestellt und gezeigt wird als Hauptfigur, der eben, bevor er ins Lager kam, selber werdender Vater war. Und hier haben wir so ein bisschen also die private Motivation, die ihn dazu antreibt, dieses eine Kind zu beschützen und zu retten, weil er eben selber weiß, da draußen ist seine Frau mit vielleicht seinem eigenen Kind, also so eine Art Stellvertretergeschichte, die an die Stelle des politischen Mythos tritt.
Wellinski: Wenn wir vielleicht jetzt noch mal in die Inszenierungen etwas tiefer reingehen dieser beiden "Nackt unter Wölfen"-Inszenierungen: Der große Unterschied der beiden Filme ist ja, Sie haben es ja schon erwähnt, der Ton, mit dem sie erzählt werden. Also, Frank Beyers Film ist häufig still, es gibt viele Szenen, die nur zwischen zwei Figuren stattfinden, da ist Intimität, da ist Nähe, viele Close-ups, die gibt es auch. Die ARD-Produktion setzt schon auf Drastik, Gewalt, Direktheit, viel Musik auch, und bedient so doch einen gewissen Zeitgeist und dann doch wieder die Klischees dieser Nazifilm-Ästhetik, die wir zurzeit aus dem Kino und aus dem Fernsehen fast täglich sehen, oder?
Kötzing: Ja, die Klischees sind schon wieder da, wenn ich an den einen Nazischergen denke unter der SS, der mit seinem kantigen Gesicht immer so emotionslos dasteht und auch bei den drastischen Folterszenen natürlich so eine ganz bestialische Rolle einnimmt. Aber diese Klischees werden natürlich an anderen Stellen auch immer wieder aufgebrochen, sie versuchen schon, das sehr vielschichtig zu zeigen. Was mich eher überrascht hat, ist, dass sie die Dramaturgisierung so sehr stark auch wieder auf dieses eine Kind in Buchenwald ausgerichtet haben. Denn während der Film den politischen Mythos ein bisschen an den Rand drängt, spinnt er ihn auf eine andere Weise natürlich einfach weiter, indem auch hier wieder nur die eine Rettungsgeschichte des Kindes erzählt wird und ganz stark in den Mittelpunkt rückt, und eben nicht die Tatsache, dass es dort noch ganz, ganz viele andere Kinder gab. Das ist so ein bisschen sehr, sehr stark emotionalisiert am Ende, wie wir das auch häufig irgendwie so in anderen Fernsehfilmen erleben. Von der Dramaturgie hat mich das interessanterweise eher fast so ein bisschen an einen "Tatort" erinnert, wo es darum ging, dass wir jetzt ein Kind haben und das muss unbedingt gerettet werden, so wie wir das jeden dritten, vierten Sonntagabend bei der ARD erleben, dass immer wieder Kinderfiguren in den Mittelpunkt rücken, um diese Rettungsgeschichte natürlich auf irgendeine Art und Weise ganz besonders griffig zu machen für den Zuschauer, uns emotional einzuspannen. Interessanterweise eben etwas, was wir bei ganz vielen Konzentrationslagerfilmen haben, die ja eher immer auf eine Rettung ausgerichtet sind, nicht auf die Tatsache, dass dort so viele Menschen gestorben sind, dass es quasi ein Abgrund an menschlicher Zivilisation war, was dort passiert ist. Man hat es bei "Schindlers Liste", dass die Rettung im Mittelpunkt steht, man hat es bei Roberto Benigni, dass die Rettung des einen Kindes im Mittelpunkt steht, das ist ja im Prinzip nur eine andere Variante von "Nackt unter Wölfen", aber auch beim "Pianisten" von Roman Polanski, es ist immer wieder dieses Gefühl, etwas zeigen zu wollen, da ist Hoffnung da. Und das ist in dem Fall bei dem ARD-Film auch so, es geht wieder darum, den Mythos weiterzuspinnen von dem einen Kind, das gerettet wird.
Wellinski: Andreas Kötzing sprach mit uns über die neue Verfilmung des Bruno-Apitz-Romans "Nackt unter Wölfen". Die ARD-Produktion können Sie am Mittwoch, dem 1. April um 20:15 Uhr im Ersten sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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