Neustart im Netz

Dimitris Charalambis im Gespräch mit Britta Bürger · 19.06.2012
Griechenlands Medienunternehmen stehen vor dem Kollaps. Doch im Internet entstehen immer mehr Plattformen für einen unabhängigen und kritischen Journalismus, wie der Medienwissenschaftler Dimitris Charalambis in dem Gespräch erklärt.
Britta Bürger: Wenn die Politik und Wirtschaft eines Landes zusammenbricht, bekommen die Medienunternehmen das natürlich unmittelbar zu spüren. Die griechischen Zeitungen und Fernsehsender sind gnadenlos verschuldet. Immer mehr traditionsreiche Qualitätsmedien schränken ihr Angebot ein – wenn sie nicht ganz dicht machen. Gestandene Journalisten suchen nach neuen Wegen im Internet, ohne damit Geld zu verdienen.

Wir wollen uns die Situation genauer ansehen im Gespräch mit dem Politologen Dimitris Charalambis. Er ist Professor am Institut für Kommunikation und Massenmedien der Universität Athen, und er war von 2002 bis 2008 Vizepräsident des Fernsehrates, einer unabhängigen Behörde, die mit unserer Landesmedienanstalt vergleichbar ist. Herr Charalambis, schönen guten Morgen!

Dimitris Charalambis: Guten Morgen!

Bürger: Das kleine Griechenland hatte bis vor Kurzem noch die höchste Mediendichte in Europa, und noch immer gibt es zehn nationale Fernsehsender, 150 lokale und an die 70 regionale Sender. Und das in einer Zeit, in der die Werbeeinnahmen rigoros zurückgegangen sind. Existieren all diese Sender nur noch auf Pump?

Charalambis: Ja, im Augenblick schon. Aber um das Phänomen ein bisschen klarer zu verstehen, muss man ganz kurz sehen, wie das überhaupt entstanden ist. 1990 wurde das staatliche Monopol aufgehoben. Daraufhin war für die politische Klasse – also unabhängig von Parteien, Regierung, Opposition und so weiter – eigentlich ein Schock. Bis jetzt waren die gewohnt, zumindest im elektronischen Bereich, also Radio und Fernsehen, ihre Meinung zu verbreiten und dadurch Einfluss auszuüben, sogar durch die Verfassung gewährleistet. Also die Regierungskontrolle über das Fernsehen und das Radio war sogar verfassungsmäßig gegeben.

Dann begann also sozusagen die erste Phase, das war so eine Art Panik. Die Regierung hat gedacht, wie werden wir das kontrollieren. Und die haben angefangen über neue Gesetze, die die Eigentumsverhältnisse garantieren beziehungsweise bestimmen sollten, die haben dadurch versucht, ihren Einfluss auf die Medien auszuüben. Das ging, das würde man sagen, hat die 90er-Jahre eigentlich beeinflusst.

Das war die Zeit, wo dieser Kampf so irgendwie vorgetragen worden ist, zwischen Kampf und Klientelbeziehung, würde man sagen. Der Höhepunkt der Medien ist eigentlich, kann man eigentlich ab 2000, ab 2001, nach der Verfassungsrevision wurde alles ein bisschen geändert, und dann war eine neue Etappe. Und in dieser Etappe wurde vor allem nach der Machtübernahme durch die ND, also durch die konservative Partei, wurde ein neues System regelrecht – entstand ein neues System. Dieses System innerhalb Griechenlands hat den Namen des damaligen Regierungssprechers und Ministers, der zuständig war für Presse und Informationen, von Herrn Rousopoulos, das sogenannte Rousopoulos-System.

Bürger: Ja, aber lassen Sie uns bitte auf die Jetzt-Zeit kommen, damit wir verstehen, wer heute die Meinungsführerschaft hat in den griechischen Medien und ob es in diesem System überhaupt noch eine Art von Unabhängigkeit gibt?

Charalambis: Ja, deswegen habe ich das erzählt, das ist dann der Höhepunkt, weil Sie haben einleitend gesagt, dass es auch kaum Einnahmen gab oder alles vom Staat abhing. Nein, zwischen vor allem 2007 und 2008 waren die Werbeeinnahmen immens, und das schuf eine gewisse Macht der Medien gegenüber der Regierung, und diese Macht bricht zusammen. Das betraf natürlich die großen nationalen Medien. Diese Macht ist in dem Moment, wo die Banken keine Liquidität mehr hatten und keine Kredite hatten und gleichzeitig die Wirtschaft zusammenbrach und die Werbung auch zusammenbrach, dann war die finanzielle Basis sozusagen am Ende, oder Richtung Ende, und so wuchs eigentlich die Abhängigkeit von der Politik stärker – aber gleichzeitig hatte die Politik, also der Staat, auch kein Geld, um über staatliche Werbemaßnahmen und so weiter oder Werbekampagnen seinen Einfluss auszuüben.

Jetzt könnte man sagen, steht alles in der Luft. Einerseits könnte man sagen, dadurch, dass sowohl der staatliche Einfluss wie auch die etablierten Zentren nicht mehr funktionieren, wäre einerseits die Chance, tatsächlich eine bis dahin nie dagewesene Pressefreiheit zu haben. Aber dadurch, dass auch kein Geld vorhanden ist, sind alle Bemühungen eigentlich in der traditionellen Presse und im traditionellen Fernsehbereich nicht mehr möglich. Deswegen versuchen jetzt Journalisten, über die neuen Medien präsent zu sein.

Bürger: Griechenlands Medienunternehmen stehen vor dem Kollaps, Sie sagen es. Im Internet stehen mehr und mehr neue Plattformen für einen unabhängigen und kritischen Journalismus. Wir sind darüber im Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Athener Politik- und Medienwissenschaftler Dimitris Charalambis. Nicht nur junge Journalisten, sondern das sind ja auch immer mehr gestandene, renommierte Kollegen, suchen also nach neuen Publikationswegen im Internet, zum Beispiel auf einer Plattform, die nennt sich protagon.gr, im Untertitel mit dem Slogan: "Geschichten für ein anderes Denken". Wie sieht, Herr Charalambis, so ein anderes Denken aus?

Charalambis: Das sieht vorerst so aus, dass diese Journalisten, die da teilnehmen, man könnte sagen, in diesem protagon.gr nehmen eigentlich die renommiertesten Leute teil, das muss man schon zugeben. Andererseits, es ist auch sehr fraglich, ob das langfristig eine Zukunft hat, weil diese Leute, da ist kein Geld, diese Leute machen das auf Volontär-Basis. Es nehmen teil Leute, die ihren Job verloren haben, und Leute, die noch Jobs haben, aber im so kriselnden Bereich.

Und noch ist es, sagen wir so, eine Plattform, wo einiges diskutiert wird, und sogar auf eine andere Ebene als so in der gängigen Fernsehlandschaft, also viel ruhiger, viel besonnener, mit großen Diskussionen auch mit Leuten wie außerhalb des Fernsehbereiches – also Wirtschaftspolitologen und so weiter. Das sieht sehr gut aus, aber die große Frage ist: Wie lange kann sich so was halten?

Bürger: Ist das jetzt erst mal so etwas wie eine Kriegserklärung auch an die traditionellen Medien? Seht her, das ist der wirkliche Journalismus?

Charalambis: Das würde ich nicht so sagen, weil die wichtigen Leute, die da also ausschlaggebend sind in diesem protagon.gr, sind noch Leute, die in der Presse, aber auch im Fernsehen auch das Sagen haben. Also das heißt, es ist noch, von mir aus, kann passieren, aber so sieht es nicht nach einer Konfrontation aus, also sozusagen ehrlicher, würdevoller Journalismus gegen korrupten, wenn Sie so wollen. Es ist nur ausgesprochen, dass hier kann man sozusagen frei reden, unabhängig von finanziellem oder politischem Einfluss, was auch nicht 100-prozentig gesagt werden kann, weil wie gesagt einige Leute, die auch in etablierten Medien arbeiten, da teilnehmen.

Trotzdem ist es eine Alternative, wird auch als eine Alternative angesehen. Nur da gibt es zwei Probleme. Wie gesagt, das eine: Wie lange können sie das tatsächlich halten? Und zum Zweiten, dass gleichzeitig im Bereich von Blogs und alle diese sozialen Medien auch ein Sturm von Aussagen zu sehen ist, wie halt überall auf der Welt, die aber also viel brutaler sind oder – wie sagt man? – von ganz niedrigem Niveau. Also da müssen Sie gezielt da suchen, weil der normale Mensch, der irgendwie versucht, im Internet Informationen zu kriegen, kriegt auch eine Unmenge von absurden Informationen, zum Beispiel, der Einfluss der Neonazis in Griechenland ist eigentlich über diese Sozialmedien praktisch verbreitet. Das ist nicht nur ein emanzipatorisches oder demokratisches Medium eigentlich, sondern es ist eigentlich eine Mischung.

Und diese Leute, die die protagon- ... da ihre Information holen, sind eigentlich die Leute, die früher von den etablierten Zeitungen, von mir aus, von etablierten Fernsehsendern ihre Informationen zur Quelle geholt haben.

Bürger: Sind auch Leute dabei, die man in Deutschland kennt, zum Beispiel Tasos Telloglou und Petros Markaris? Die sitzen dann auch – fand ich ganz interessant –, so eine Art Talkshow machen die selbst, die sitzen mit einer Web-Kamera an einem Tavernentisch, 45 Minuten lang, und denken einfach über das aktuelle Geschehen nach, ohne Moderator, in einem sehr natürlichen Gesprächsfluss.

Ein anderes Beispiel sind immer mehr selbst finanzierte oder durch Crowdfunding entstandene Dokumentarfilme, die im Internet zu sehen sind. Zwei dieser Filme zur Krise werden mittlerweile auch in Deutschland wahrgenommen: "Katastroika" heißt der eine – ein Wortspiel aus Katastrophe und Troika –, ein anderer Film heißt "Debtocracy", das sind die Schuldenstaaten. Ist hier also eine lebendige Gegenöffentlichkeit auch im Bereich Dokumentarfilm im Internet vorhanden?

Charalambis: Schon, aber die zwei, die Sie gerade erwähnt haben, die auch in Griechenland einen riesengroßen Einfluss hatten, vertreten eigentlich die Thesen der radikalen Linken. Alle Leute, die da drin mitarbeiten, sind Mitglieder von mir aus von Siriza und vertreten diese Position, also Anti-Memorandum-Position. Und wenn sie auch beide genau ansehen, sind sie, sagen wir so, sehr einseitig. Und ich würde sagen, das ist sehr politisch motiviert, als, sagen wir so, Unterstützungsmechanismen für die Thesen von Siriza.

Bürger: In einer Berliner Tageszeitung gibt es die Rubrik: Worüber haben Sie sich in der vergangenen Woche besonders geärgert in den Medien? Diese Frage würde ich gerne an Sie weitergeben: Worüber haben Sie sich zuletzt besonders geärgert?

Charalambis: Ach Gott, ich habe mich über so viele Sachen geärgert in der letzten Woche, dass ich nicht so genau sagen könnte, worüber ich mich geärgert habe. Ich würde sagen, darüber, was man allgemein sich ärgern wird, muss sowohl in der Presse wie auch im Fernsehen, dass trotz, sagen wir so, dieser dramatischen Situation – also Griechenland steht tatsächlich vor dem Abgrund, vielleicht hat sie so sich ein bisschen, hat jetzt dadurch ein bisschen Zeit durch die Wahlen jetzt gewonnen –, dass trotzdem die tatsächliche Situation, also wie die Lage in Westeuropa, also im Norden, wenn Sie so wollen, wie die Lage im Süden ist, wie die Lage tatsächlich von Griechenland ist, dass noch immer in den Medien nicht, sagen wir so, realitätsbezogen und vernünftig darüber diskutiert wird.

Es wird viel in Anführungszeichen, wenn Sie wollen "politisch" oder besser "parteipolitisch" argumentiert trotzdem. Zum Beispiel diese ganze Geschichte, dass angeblich also die Frau Merkel blufft oder dass die reichen Triple-A-Staaten in Nordeuropa bluffen, dass das immer wieder in der Presse und im Fernsehen kommt, ist eine totale Verkennung der Realität.

Bürger: Der Athener Politik- und Medienwissenschaftler Dimitris Charalambis. Ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!

Charalambis: Ich danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.