Neuschöpfung nach dem Weltuntergang

Von Roger Cahn · 25.08.2012
Die Pflege zeitgenössischer Musik ist ein wesentliches Anliegen der Festivalleitung. Zum Thema "Glaube" spielte das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst die vierte Sinfonie von Bruckner zusammen mit einem Auftragswerk an den deutschen Komponisten Matthias Pintscher.
Auch wenn die beiden Werke völlig unabhängig voneinander entstanden sind, lassen sich erstaunliche Verknüpfungen erkennen: Bruckner schafft seine Sinfonien aus dem "Urnebel" heraus und baut herrliche Kathedralen zur Lobpreisung Gottes und dessen Schöpfung. Pintscher lässt diese heile Welt in sich zusammenkrachen, um aus der Katastrophe heraus nach neuem Leben zu suchen. Für beide Komponisten spielen Momente des Meditierens und des Innehaltens eine wichtige Rolle - bei Bruckner die Generalpausen, bei Pintscher das Verharren auf einem einzigen langen Ton. Man muss sich für beide Zeit nehmen fürs Zuhören, aber auch fürs Zuschauen.

"Chute d'Etoiles" ist ein rund 20 Minuten langes Werk für Orchester und zwei Solo-Trompeten. Inspiration für Pintscher war die gleichnamige Monumental-Installation von Anselm Kiefer, die er 2007 im Pariser Grand Palais gesehen und intensiv erlebt hatte. Sie zeigt den Zusammenbruch der Welt und wie aus diesem riesen Trümmerhaufen aus Beton und Blei langsam neues Leben erwacht. Pintscher setzt dieses Bild in Klang um: Das Orchester steht für die erschütterte Masse, die Solo-Trompeten versuchen sich Luft zu schaffen, um kleine neue Mikrokosmen entstehen zu lassen. Dabei wird deutlich, was es heissen kann "Trompete zu blasen". So wie Pintscher beim Orchester nach neuen Klängen sucht, leuchtet er auch die sonst als affirmatives Instrument genutzte Trompete auf all ihre Klangmöglichkeiten aus. Interessant, aber mit der Zeit etwas eintönig und langweilig.

Als interessant und keineswegs eintönig oder gar langweilig erweist sich Bruckners "Romantische". In der erst seit etwa zehn Jahren gespielten Fassung von 1888 - der Erstdruck- oder "Löwe"-Fassung - wirkt das Werk weniger bombastisch, dafür dynamischer und differenzierter. Man hört einen mutigen, auch Dissonanzen nicht scheuenden Bruckner, was Franz Welser-Möst mit seinem Cleveland Orchestra hervorragend zum Klingen bringt.
Fazit: Ein Abend, der den Beweis liefert, dass man auf intelligente Art Bewährtes und Neues auch dem breiten Publikum zugänglich machen kann.