Neurowissenschaften

Das Geheimnis der Gefühle

Von Michael Lange  · 21.02.2014
Während die einen in Wut geraten, bleiben andere in derselben Situation ganz gelassen. Aber warum? Der Molekularbiologe Giovanni Frazzetto erklärt anschaulich, was die Neurowissenschaften zum Verständnis unserer Gefühle beitragen können.
Emotionen wie Liebe, Freude, Wut, Angst oder Schuld stehen im Mittelpunkt jedes menschlichen Lebens. Neuerdings beschäftigen sich aber auch Naturwissenschaftler mit Gefühlen. Der Molekularbiologe Giovanni Frazzetto zeigt in seinem Sachbuch die Möglichkeiten dieser neuen Herangehensweise auf, aber auch die Grenzen.
Gefühle sind sehr persönlich. Und deshalb beginnt Giovanni Frazzetto bei sich selbst. Er beschreibt, wie jede seiner Handlungen gleichermaßen von Vernunft und Emotionen gesteuert wird. Erfahrungen, die mit Gefühlen verbunden sind, haben sich tief in sein Gehirn eingebrannt und beeinflussen sein Handeln – auch noch Jahre später. Auf diesen persönlichen Zugang muss die moderne Naturwissenschaft verzichten. Eigene Erfahrungen und Erlebnisse dürfen den sachlichen Blick auf das Forschungsobjekt nicht verstellen. Hirnforschung und Neurobiologie setzen auf wiederholbare Messungen statt auf einmalige Gefühle. Nur so können sie allgemeingültige Theorien formulieren.
Dem Autor Giovanni Frazzetto ist das aber nicht genug. Leicht verständlich und unterhaltsam nähert er sich den Erklärungsversuchen von Hirnforschung und Neurowissenschaft, um sie dann zu hinterfragen. Das Wechselspiel von Zellen und Molekülen macht nur einen Teil seines Buches aus. Mindestens ebenso wichtig sind dem Autor Beispiele, die zeigen wie Künstler oder Schriftsteller die Gefühlswelt des Menschen analysiert und verstanden haben. Das belegt er unter anderem mit einem Gemälde von Caravaggio.
Einblick in Schuldgefühle
Vor düsterem Hintergrund zeigt es den David aus dem Alten Testament mit dem abgeschlagenen Kopf des Goliaths. Zugleich gewährt es einen Einblick in die Schuldgefühle des Malers. Reue für eigene Verbrechen werden darin sichtbar und der Wunsch nach Vergebung. Dieses Bild trägt laut Giovanni Frazzetto ebenso zum Verständnis der Gefühle bei wie neurobiologische Experimente.
Bilder und Daten aus dem Gehirn erwecken lediglich den Anschein, man könne die Entstehung von Gefühlen sehen und messen. Der Neurobiologe stellt jedoch klar, dass die vielbestaunten Aufnahmen lediglich statistische Auswertungen und Mittelwerte bei der Durchblutung einzelner Gehirnregionen darstellen. Über die Gefühle des einzelnen sagen sie wenig. Und auch einfache Erklärungen liefern sie nicht. Um den Gefühlen näher zu kommen, plädiert Frazzetto für ein Nebeneinander verschiedener Sichtweisen etwa von Naturwissenschaft, Philosophie und Kunst.
Allerdings bleibt so das Versprechen des Buchtitels unerfüllt. Die Neurowissenschaften haben bisher keinen Gefühlscode entdeckt. Vielmehr erklärt der Autor nachvollziehbar, dass sich Emotionen eben nicht entschlüsseln lassen. Die Bilder der Hirnforscher liefern wie Dichter, Maler oder Philosophen nur Beschreibungen der alt bekannten Gefühlswelt. Das bringt tatsächlich neue Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Gehirns, aber keine "Entschlüsselung“.

Giovanni Frazzetto: Der Gefühlscode. Die Entschlüsselung unserer Emotionen
Übersetzt von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Hanser, München 2014
384 Seiten, 21,90 EUR

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