Neurologie

Sei willkommen, Seniorenhirn!

Von Volkart Wildermuth  · 08.01.2014
Der Neuropsychologe André Aleman erklärt, was mit unserem Gehirn passiert, wenn es altert. Sein Buch ist ein Loblied auf die Kraft der grauen Zellen. Obwohl Aleman zeigt, dass der Rückgang unserer Gehirnleistungen früher beginnt, als wir glauben. Das ist aber auch weniger schlimm ist, als wir befürchten.
Was passiert, wenn das Gehirn älter wird? Den meisten fällt dazu oft nur Beängstigendes wie „Alzheimer“ ein. Aber das ist glücklicherweise viel zu kurz gegriffen, wie der holländische Neuropsychologe André Aleman in seinem Buch „Wenn das Gehirn älter wird“ überzeugend erklärt. Er stellt die Vorurteile rund um den alternden Geist auf den Prüfstand der Wissenschaft und stellt fest, es geht keineswegs nur bergab.
Klar, in Sachen der Denkgeschwindigkeit, dem Arbeitsgedächtnis oder der Fähigkeit zum Multitasking sind junge Erwachsene den Rentnern klar überlegen. Das lässt sich in psychologischen Testes eindeutig nachweisen. Auf einem ganz anderen Blatt aber steht, ob diese Nachteile auch auf den Alltag durchschlagen. Das alte Gehirn gleicht langsamere Nerven und fehlende Verbringen zum Beispiel aus, indem es mehr Ressourcen, also mehr Hirnregionen an der Lösung eines Problems beteiligt.
Gerade bei komplexen Aufgaben ist es dann sogar von Vorteil, nicht gleich die erstbeste Lösung zu wählen, sondern länger und gründlicher nachzudenken. Ältere Menschen verfügen häufig auch über mehr Erfahrungen und es fällt ihnen leichter, sich in andere hineinzuversetzen, beides wichtige Elemente von Weisheit. Auch auf emotionaler Ebene ist eine gewisse Reife von Vorteil. So zeigen Studien, dass ältere Menschen im Durchschnitt glücklicher sind, als junge Erwachsene.
Kein rosiges Bild vom Alter
André Aleman zeichnet nicht einfach ein rosiges Bild vom Alter. Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, steigt unbestreitbar mit den Lebensjahren. Unter den 85-Jährigen ist etwa jeder Dritte betroffen. Genauso wissenschaftlich belegt ist aber auch, dass es Möglichkeiten gibt, das individuelle Risiko zu senken: körperliche Aktivität stärkt nicht nur Muskeln, sondern schützt auch die Nervenzellen. Eine gesunde Ernährung ist von Vorteil, soziale Kontakte und vor allem geistige Anregung ebenso. Von Medikamenten dagegen ist vorerst weniger zu erwarten.
Die große Stärke von Alemans Buch ist der nüchterne Stil. Alle Aussagen sind belegt und durch Studien abgesichert. Studien, an denen Aleman oft selbst beteiligt war. Leider erfährt man wenig über seinen Forscheralltag. Und auch die persönlichen Porträts von erfolgreichen Greisen bleiben eher blass. Aber all das ist nebensächlich. André Aleman will mit Vorurteilen aufräumen und wirft einen realistischen Blick auf die Schwächen vor allem aber auch auf die besonderen Stärken des alten Gehirns. Das ist wichtig, mehr noch es ist heilsam. Denn Studien haben gezeigt, dass ein negativer Blick auf das Alter zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Wer dagegen mit André Alemans Worten sagt „Sei willkommen, Seniorenhirn!“ hat messbar bessere Chancen, sein Alter mit Gesundheit und klarem Verstand zu erleben.

André Aleman, Wenn das Gehirn älter wird: Was uns ängstigt. Was wir wissen. Was wir tun können
Übersetzt von Bärbel Jänicke und Marlene Müller-Haas
C. H. Beck Verlag, München 2013
240 Seiten, 17,95 Euro

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