Neuregelung von Werkverträgen

Nahles kämpft gegen Lohndumping und Kanzlerin

Andrea Nahles (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, spricht am 22.05.2015 im Plenarsaal des Bundestages in Berlin zu den Abgeordneten.
Bundesministerin Nahles muss einen neuen Kompromiss finden. © picture-alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Gerhard Schröder  · 08.12.2015
Kurz vor Weihnachten hat Bundesarbeitsministerin Nahles einen Gesetzentwurf zur strengeren Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen vorgelegt. Diesen Entwurf wird sie nun überarbeiten müssen - denn die Kanzlerin hat nein gesagt.
Die Prinovis-Druckerei in Ahrensburg, 20 Kilometer nord-östlich von Hamburg. Werbebroschüren und Hochglanzmagazine werden hier produziert, im drei-Schichtbetrieb, sieben Tage in der Woche. Kai arbeitet seit sieben Jahren hier, er hat den Job von der Pike auf gelernt, bei Prinovis eine Ausbildung gemacht, ist inzwischen zum Maschinenführer aufgestiegen. Eine bewährte Fachkraft, allerdings in einer Sonderrolle.
"Also es darf zum Beispiel keiner von Prinovis an die Maschine kommen, irgendwelche Sachen anfassen, wenn wir Probleme haben. Das müssen wir alleine lösen."
Der 30-Jährige macht die gleiche Arbeit wie die Stammbelegschaft, für ihn gelten jedoch besondere Regeln. Er ist Werkvertragsarbeiter, nicht bei der Bertelsmann-Tochter Prinovis beschäftigt, sondern bei der Servicegesellschaft Tabel.
"Wir benutzen dieselben Raucherräume, Umkleidekabinen, nur dass die eine Maschine über Werkvertrag ist und von Prinovis keiner was zu suchen hat."
Mehr Arbeit, weniger Urlaub, geringerer Lohn
Ein Betrieb im Betrieb sozusagen. Für Kai heißt das vor allem: Er arbeitet länger, hat weniger Urlaub und bekommt einen geringeren Lohn.
"Ich finde das überhaupt nicht in Ordnung, lerne in dem Betrieb und dann werde ich an die Werkvertragsfirma abgeschoben. Für wesentlich weniger Geld, ich krieg ja nicht mal die Zuschläge, arbeite auch sechs Tage, sieben, oder auch mal zwei Wochen durch. Schlecht ist der Lohn ja eigentlich nicht, aber im Vergleich zu dem, was man macht, eigentlich nicht gerechtfertigt."
Knapp ein Drittel des Personals in der Druckerei, so schätzt Betriebsrat Jörn Burmeister, sind Leiharbeiter, Werkverträgler bei der konzerneigenen Servicegesellschaft angestellt sind. Sie verdienen etwa ein Drittel weniger als die Stammbeschäftigten beim Mutterkonzern Prinovis. Aber dort, so Burmeister, werde schon seit fünf Jahren niemand mehr eingestellt:
"Das ist mittlerweile ein Auslaufmodell, das ist uns 2009, 2010 mitgeteilt worden, dass im Stammbetrieb zu den Tarifbedingungen keiner mehr eingestellt wird, die Leute nur noch in der Servicegesellschaft eingestellt werden. Viele Möglichkeiten haben wir nicht, uns dagegen zu wehren."
"Leiharbeit muss raus aus der Schmuddelecke"
Die Geschäftsleitung wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Der Betriebsrat dagegen spricht von Lohndumping, dagegen sind wir machtlos, sagt Burmeister. Er sieht - wie viele seiner Kollegen, die Politik am Zug:
"Eigentlich kann da nur die Politik eingreifen, denn solange ich Firmen die Möglichkeit biete, Werkverträge, Leiharbeit zu nutzen in dem Umfang, wird das auch geschehen."
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sieht das ähnlich. Sie will den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen per Gesetz eindämmen.
So haben es CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das will die Sozialdemokratin jetzt umsetzen.
"Die Leiharbeit muss raus aus der Grauzone, aus der Schmuddelecke, wir brauchen sie für die Flexibilität unserer Wirtschaft, davon bin ich fest überzeugt, aber dann muss sie eben auch vernünftig gehändelt werden."
Heißt konkret: Leiharbeiter sollen künftig nach spätestens neun Monaten genauso viel verdienen wie Stammbeschäftigte und höchstens 18 Monate an einen Betrieb ausgeliehen werden, es sei denn, Arbeitgeber und Gewerkschaften vereinbaren abweichende Regelungen. Leiharbeit soll den Betrieben helfen, Auftragsspitzen aufzufangen, nicht die regulären Tarife zu unterlaufen, sagt Nahles. Auch gegen den Missbrauch von Werkverträgen will die Arbeitsministerin energischer vorgehen:
"Wer wirklich die Axt an die Tarifautonomie legt, sind die, die Werkverträge als Deckmantel nutzen für Lohndumping. Das wollen wir nicht, denn das höhlt auch die Tarifautonomie aus."
"Praxisfremd, hochbürokratisch, in der Sache unsinnig und völlig undurchführbar"
Doch die Pläne sind umstritten. Die Gewerkschaften fordern mehr Mitsprache für die Betriebsräte, die Arbeitsministerin will ihnen aber nur mehr Informationsrechte zugestehen. Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
"Hier brauchen wir eindeutige Mitbestimmungsrechte, weil die Information allein reicht nicht aus, wenn es darum geht, bestimmte Quoten für Leiharbeit oder Werkvertragsarbeit festzulegen. Da ist ein Mitbestimmungsrecht zwingend erforderlich, weil mit den Informationsrechten allein ein Missbrauch nicht auszuschließen ist."
Den Arbeitgebern dagegen geht der Gesetzentwurf der Arbeitsministerin viel zu weit. Das Urteil von Verbandspräsident Ingo Kramer beim Arbeitgebertag Mitte November in Berlin fällt knapp und vernichtend aus:
"Praxisfremd, hochbürokratisch, in der Sache unsinnig und völlig undurchführbar."
Vor allem die geplanten Regelungen zum Einsatz von Werkverträgen hält Kramer für völligen Unsinn. IT-Dienstleistungen könnten nicht mehr ohne Weiteres an externe Spezialisten vergeben werden, wenn der Entwurf umgesetzt würde, warnt Kramer. Selbst der Betrieb der Werkskantine durch einen externen Caterer wäre in Gefahr.
"Die Vorstellung, dass alles mit Stammpersonal des Betriebes und nicht durch den Einsatz spezialisierter Unternehmen durchführbar sein soll, entspringt der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, aber nicht der Wirklichkeit einer arbeitsteiligen, spezialisierten Wirtschaft 4.0. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass dieser Großangriff auf hunderttausende selbständige Unternehmen in der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft unterbleibt."
Erneute Suche nach Kompromiss beginnt
Die Warnungen aus der Wirtschaft blieben nicht ohne Wirkung. Das Bundeskanzleramt hat den Gesetzentwurf der Arbeitsministerin kurzerhand gestoppt. Die Begründung: Die Regelungen gingen weit über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hinaus, und das gehe natürlich nicht, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Arbeitgebertag in Berlin versicherte.
"Sie dürfen mich einmal als Wächterin des Koalitionsvertrages verstehen. Das gefällt ihnen auch nicht an allen Stellen, aber in diesem Fall werde ich wachen, dass wir über den Koalitionsvertrag nicht hinaus gehen."
Nahles Plan, den Entwurf noch im Dezember durchs Kabinett zu bringen und dann in die parlamentarischen Beratungen zu gehen, ist damit durchkreuzt. Die schwierige Suche nach einem Kompromiss beginnt erneut, die Arbeitsministerin gibt sich kämpferisch, unter den Druckern in Ahrensburg dagegen macht sich Ernüchterung breit:
"Nachdem ich einmal unsere Bundeskanzlerin gesehen habe vor der letzten Wahl, die gesagt hat, wir brauchen Werkverträge, Leiharbeit, und Lohndumping. Nein, nicht unter Angela Merkel, nein."