Neukölln ist nicht überall

Felix Schwenke im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.09.2012
"Wir haben uns sehr früh der Herausforderung angenommen, dass hier viele Migranten leben", sagt Felix Schwenke, Sozialstadtrat von Offenbach. So habe man mit "aktiver Wohnbaupolitik" eine Durchmischung bestimmter Quartiere erreicht. Und gezielt Deutschkurse für seit langem hier lebende Mütter von Migranten angeboten. Offenbach hat mit etwa 50 Prozent den höchsten Anteil von Bürgern mit Migrationshintergrund.
Liane von Billerbeck: "Neukölln ist überall", das behauptet Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, und hat ein Buch darüber geschrieben, über seinen Bezirk, der spätestens seit den Vorkommnissen an der Rütlischule deutschlandweit in die Schlagzeilen geraten war. Mit Gewalt und Drogen, Hartz-IV-Empfang als Lebensziel, Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, Parallelgesellschaften, in denen die Integration verweigert wird.

"Neukölln ist überall", also müsste Neukölln auch in Offenbach liegen, einer hessischen Stadt mit 123.000 Einwohnern und dem höchsten Migrantenanteil Deutschlands: Fast jeder zweite Offenbacher hat Migrationshintergrund. Ironisch betrachtet ist auch Felix Schwenke Migrant, er ist nämlich in Frankfurt am Main geboren. Der Sozialdemokrat ist Stadtrat für Arbeit, Soziales, Bildung, Integration, Sicherheit und Ordnung und das Bürgerbüro in Offenbach. Herr Schwenke, ich grüße Sie!

Felix Schwenke: Guten Morgen!

von Billerbeck: Wenn ich diese Aufgabenfelder sehe, dann denke ich immer, was machen eigentlich die anderen Dezernenten? Sie haben doch die wichtigsten Themen. Neukölln ist überall, warum nicht in Offenbach? Warum hören wir eigentlich gar nichts Negatives von Ihnen?

Schwenke: Ja, wir haben uns sehr früh der Herausforderung angenommen, dass hier viele Migranten leben, und haben die Augen, glaube ich, nicht so lange verschlossen davor, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Und ich glaube, das ist schon mal ein erstes Geheimnis, dass wir uns sehr früh der Sache positiv angenommen haben.

von Billerbeck: Sehr früh heißt wann?

Schwenke: Das ist hier schon in den 90ern gelaufen, und deutschlandweit ist die Debatte ja sicherlich erst so '99/2000 mit dem berühmten Wahlkampf hier der Hessen-CDU so richtig mal hochgeschwappt.

von Billerbeck: Damals hat ja Roland Koch und seine Kollegen von der CDU einen Wahlkampf, einen richtig ausländerfeindlichen Wahlkampf gemacht mit einer Unterschriftenaktion gegen die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts. Spielt das eigentlich noch eine Rolle in diesen Diskussionen um Migration und die Probleme damit?

Schwenke: Na ja, die Migranten fordern schon, auf jeden Fall die, die wir brauchen, nämlich die gut integrierten, die fordern schon auch Mitbestimmung ein, und die sagen schon, es wäre schön, wenn man eine leichtere Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft hätte oder sogar auch mit ausländischem Pass noch in Deutschland wählen könnte. Das höre ich immer wieder in Gesprächen.

von Billerbeck: Nun sagt ja Heinz Buschkowsky in seinem Buch "Neukölln ist überall", nennt die Probleme: Hartz-IV-Karrieren in dritter Generation, verwahrloste Kinder, Sprachprobleme als große Schwierigkeit. Gibt es so was bei Ihnen in Offenbach alles nicht?

Schwenke: Also in kleinem Maße gibt es so was bei uns natürlich auch. Wenn Sie ganz gezielt danach suchen, dann finden Sie so was auch bei uns, aber es dominiert nicht die Szene bei uns. Bei uns dominiert wirklich, dass es insgesamt gelingt.

von Billerbeck: Wie haben Sie das angestellt?

Schwenke: Na, da gibt es ganz viele verschiedene Maßnahmen, ich will mal ein paar kleine Beispiele nennen, zum Beispiel fängt das mit aktiver Wohnbaupolitik an. Wir haben einmal einen Stadtteil komplett entmietet, die Häuser abgerissen und dort einen anderen Stadtteil hingesetzt, also wir setzen in unserer Wohnungsbaugesellschaft ganz aktiv darauf, dass wir in der gesamten Stadt so gut es irgendwie geht eine Durchmischung verschiedener Gebäude hinkriegen, wir kaufen auch Wohnungen gezielt auf in Gebäuden, wo wir dass Gefühl haben, dass das umkippen könnte von der sozialen Lage, vom sozialen Klima in dem Gebäude oder im Viertel, also das wäre mal aktive Wohnbaupolitik, ein Punkt, beispielsweise.

von Billerbeck: Das klingt wie das Paradies in Offenbach. Wo nehmen Sie das Geld dafür her?

Schwenke: Ja, das ist nicht das Paradies in Offenbach, große Wohnungsbaugesellschaften haben zumindest ein bisschen Geld, und unsere große Wohnungsbaugesellschaft GBO, die macht das dann für uns.

von Billerbeck: Und das hat auch funktioniert?

Schwenke: Das hat bis jetzt weitgehend funktioniert, sonst würden Sie ja ganz andere Sachen über Offenbach hören.

von Billerbeck: Nun gibt es ja oft Probleme, nicht nur mit den jüngeren Migranten, sondern auch mit den Einwanderern, die schon seit vielen, vielen Jahren in Deutschland leben, Mütter beispielsweise, die nie Deutsch gelernt haben. Was machen Sie für die?

Schwenke: Ja, wir kümmern uns auch um die, das ist ganz wichtig, dass wir auch Sprachkurse anbieten für diejenigen, die schon lange hier sind. Die ganze Debatte jetzt lief ja sehr stark darauf, die müssen schon Deutsch lernen, bevor sie hierher kommen, und, und, und. Das halte ich auch für sehr gut, dass Deutsch gelernt wird, ganz entscheidend, darauf setzen auch wir hier in Offenbach ...

von Billerbeck: Wie setzen Sie das durch?

Schwenke: Genau, aber wir brauchen natürlich auch Kurse für diejenigen, die schon eben lange hier waren, also nachholendes Sprachlernen. Und wir haben zum Beispiel einen Kurs, der heißt "Mama lernt Deutsch", da können die Mütter an den Schulen ihrer Kinder, wo die Kinder in die Grundschule gehen, die Mütter eben auch Deutsch lernen. Und dann müssen die gar nicht durch die ganze Stadt fahren und zu irgendwelchen Behörden oder sonst was, sondern können ganz unkompliziert vor Ort, da, wo sie eh sind, Deutsch lernen.

Und gerade an die Mütter wollen und müssen wir auch ran, weil die ja auch für die Bildung der Kinder eine wichtige Rolle spielen, und manche eben leider noch nicht gut genug Deutsch sprechen. Und – letzter Satz dazu – was ganz toll ist, wir haben weiterhin viel mehr Mütter, die da gerne Deutsch lernen wollen, als wir vom Geld her überhaupt Plätze anbieten können. Das zeigt also auch, dass ein großer Wille auch zur Integration, auch zum nachholenden Sprachlernen da ist.

von Billerbeck: Und wie haben Sie das geschafft, dass dieses Bedürfnis auch so stark geworden ist?

Schwenke: Man kann so allgemein sagen, wir kooperieren gut mit dem Migranten-Verein, aber das setzt sich dann auch in ganz konkreten Punkten um: Wir haben zum Beispiel eine Migrationsberatung, schon im Bürgerbüro, wenn man sich anmeldet, wir haben Stadtteilbüros, wo Quartiersmanagement gezielt auch über solche Dinge informiert, es gibt Programme wie "Kisel – Kind, Schule, Eltern" oder "Sprache und Integration leicht gemacht" vom Jugendamt. Also es gibt ganz viele Stellen, wo wir auch an die Migranten rangehen.

Und zum Beispiel diese "Mama lernt Deutsch"-Kurse werden oftmals auch von Frauen mit türkischstämmigem Hintergrund, auch mit Kopftuch zum Beispiel, gegeben. Die sind dort zum Teil selbst Lehrerinnen, weil wir diejenigen, die schon toll integriert sind, auch nutzen als Positivbeispiele, und die haben natürlich auch ihre Kontakte und ziehen dann auch Leute, sage ich jetzt mal, in die Kurse.

von Billerbeck: Nun ist Offenbach kleiner als Berlin-Neukölln. Trotzdem, was könnte denn dieser Berliner Bezirk aus Offenbach lernen und von Offenbach lernen?

Schwenke: Na ja, ich glaube, dass eher Berlin, wenn, denn dann was von Offenbach lernen könnte, dass man einzelne Stadteile, wie zum Beispiel Neukölln, nicht – na, alleine lassen darf ist vielleicht zu hart gesagt, aber soweit ich die Lage kenne – ich kenne jetzt nicht alles im Detail da –, ist es sicherlich kompliziert für Neukölln alleine zum Beispiel so eine Durchmischung zu versuchen, wie wir das hier gemacht haben. Dafür müssten eigentlich alle Stadtteile in Berlin gemeinsam zusammenarbeiten, und man darf nicht sagen, okay, Neukölln hat jetzt das Problem, dann lehne ich mich als Wedding oder anderer Stadtteil, Charlottenburg, gemütlich zurück und sage: Wunderbar!

von Billerbeck: Kreuzberg, der Kreuzberger Bürgermeister hat sich auch so ein bisschen abgegrenzt davon, hat gesagt, ja, es würde gerade unter der arabischstämmigen Bevölkerung viel besser Deutsch gelernt werden. Aber da gibt es offenbar eher ein Gegeneinander als ein Miteinander. Wie haben Sie das in Offenbach geschafft, dass es da so eine Stadtpolitik, so eine Stadtmigrationspolitik gibt?

Schwenke: Ja, also bei uns gibt es natürlich auch noch Unterschiede zwischen Stadtteilen, so ist das auch nicht, aber insgesamt gibt es schon ein relativ starkes Gemeinschaftsgefühl der Offenbacher auch, das sich ein bisschen so zusammenfassen lässt: Wir sind besser als unser Ruf. Also Offenbach wird zwar zum Glück als positives Beispiel für weitgehend gelingende Integration eigentlich genannt, weil sonst, wie Sie schon in der Einleitung zu Recht gesagt haben, müsste bei uns ja die Hölle los sein, wenn hier alles schiefgehen würde, aber sonst kämpfen die Offenbacher doch noch so ein bisschen damit, dass sie immer das Gefühl haben, ihr Ruf ist nicht so richtig gut, und auf dieses Gemeinschaftsgefühl – wir sind eigentlich besser als unser Ruf – das ist so ein Stück weit Identität, auf der wir auch einiges aufbauen können.

von Billerbeck: Felix Schwenke ist mein Gesprächspartner, Stadtrat in der Stadt mit dem höchsten Migrantenanteil in Deutschland: in Offenbach. Die Journalistin und Schriftstellerin Güner Balci, die in Berlin-Neukölln aufgewachsen ist, die hat gestern bei uns im Deutschlandradio Kultur den Thesen von Heinz Buschkowsky zugestimmt und hat bei uns im Programm Folgendes gesagt:

Güner Balci: "Es ist eine Politik des alles Verstehens und alles Verzeihens, aber es ist vor allem auch eine Politik der Ignoranz und der Gleichgültigkeit. Also was ich ja noch fast viel schlimmer finde: Man setzt sich ja nicht wirklich mit den Dingen, die da sind, tatsächlich auseinander, sondern immer nur dann, wenn es gerade wirklich ganz schlimm brennt, also wenn es einen Brandbrief gibt oder wenn irgendwo etwas Schlimmes passiert, dann ist das mal kurz ein Thema, aber im Grunde genommen blendet man das ja eigentlich aus.

Es müsste ja eigentlich auf die Agenda der Kanzlerin, weil es bestimmt ja auch die Zukunft in diesem Land. Und ich glaube, dass das nicht passieren wird, leider wird es auch nicht nach dem Buch von Heinz Buschkowsky passieren. Man müsste sich das wünschen, aber es wird nicht eintreten. Man wird sich streiten über die Art und Weise, wie Heinz Buschkowsky diese Probleme darstellt in seinem Buch, und letztendlich wird aber trotzdem nicht ein super Sprachprojekt für Roma-Kinder irgendwo bezahlt werden in der Form, in der man es eigentlich nötig hätte, um diese Kinder dann in 20 Jahren auch Teil dieser Gesellschaft zu nennen, also nur als Beispiel."

von Billerbeck: Das sagt Güner Balci. Herr Schwenke, ein bisschen zugespitzt die Frage an Sie: Haben Sie in Offenbach auch deshalb kaum Integrationsprobleme, weil Sie alles verstehen?

Schwenke: Nein, das würde ich so nicht sagen. An der Stelle würde ich schon auch mit Heinz Buschkowsky d'accord sein, dass ich sage, es ist absolut Bedingung, dass sich an unsere Regeln hier gehalten wird, und das drückt sich vor allem in einer Regel aus: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das geht, dieses Prinzip, wir sind eine Wertegesellschaft, wir sind fast schon eine ideologische Wertedemokratie, weil nämlich der zentrale Wert – die Würde des Menschen ist unantastbar – über allem steht, sogar im Zweifel über der Meinungsfreiheit, deswegen können Parteien verboten werden, und im Zweifel auch in Einzelfällen über Religionsfreiheit. Und da stehe ich auch absolut dahinter, das heißt, dieser Wert muss durchgesetzt werden in der Gesellschaft, auch in Offenbach, und auch die Tatsache, dass alle Deutsch sprechen müssen als gemeinsame Verkehrssprache.

von Billerbeck: Und wie setzen Sie das dann durch, Deutsch sprechen müssen?

Schwenke: Ja, wir versuchen das natürlich dadurch durchzusetzen, wie ich schon gesagt habe, dass wir eben auch Positivbeispiele nutzen, Migranten, die es geschafft haben, die ja dann auch Anreiz sind für die anderen. Da könnten wir ja auch noch besser werden, aber, ja, das wäre zum Beispiel ein wichtiges Beispiel, dass man nicht immer nur … dass dann jetzt ich rede mit Ihnen und viele andere Deutsche reden unter Deutschen, die schon seit Generationen deutsch sind, über die Migranten, das ist ja immer ein bisschen wenig fruchtbar im Ergebnis, sondern es gibt ja zum Glück auch Genügende, die es positiv geschafft haben, und da ist es ja schade, wenn es dann eben nur eine Ministerin gibt oder so, sondern das braucht man eben auch hier vor Ort, dass man dann die Positivbeispiele auch einbindet und zeigt, man kann hier in der Gesellschaft auch was erreichen.

von Billerbeck: Das sagt Felix Schwenke, Stadtrat für Arbeit, Soziales, Bildung, Integration, Sicherheit und Ordnung und das Bürgerbüro im hessischen Offenbach. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Schwenke: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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