"Neues über dieses uralte Thema Liebe"

Stefan Arndt im Gespräch mit Ulrike Timm · 22.05.2012
Der Österreicher Michael Haneke habe sich bei seinem Film "Liebe" noch mehr Emotionen getraut, sagt der Produzent des Filmes, Stefan Arndt. In Cannes seien die Zuschauer "wirklich mitgegangen". "Liebe" sei aber auch ein deutscher Film, man dürfe den deutschen Film nicht zu eng definieren.
Ulrike Timm: Einer der stärksten Beiträge in Cannes kam bislang und einmal mehr von Michael Haneke, der mit "Das weiße Band" hier schon einmal die goldene Palme gewonnen hat. "Liebe", so heißt trotzig, zärtlich, eigensinnig ein Film über ein altes Ehepaar - der Mann pflegt die Frau, duschen, füttern, Worte wechseln, wenn es gerade noch geht, klaglos und liebevoll stehen die beiden zueinander. Unsentimental und eindringlich, und die Zuschauer, die wurden bisweilen ganz still, nicht nur vor Bewunderung für den Film, auch vor Furcht für sich selbst, schauten sie doch in die Zukunft, die möglicherweise ja auch ihre eigene sein wird.

Eine Produktion mit deutscher Beteiligung - Stefan Arndt hat sie als Produzent entscheidend mit ermöglicht. Man nennt ja immer nur die Darsteller und Regisseure, aber ohne einen guten Produzenten, der fürs Geld sorgt, den Rücken freihält und oft genug dann doch im Hintergrund auch an der Geschichte kräftig mit schmiedet, weil er sie machen will, ohne einen guten Produzenten ginge gar nichts.

Und das ist eben für Michael Haneke schon zum zweiten Mal Stefan Arndt, Produzent und geschäftsführender Gesellschafter bei X-Filme. Herr Arndt, ich grüße Sie!

Stefan Arndt: Hallo!

Timm: Das war nun jahrelange Puzzle-Arbeit an dem Film, und dann zehn Minuten Standing Ovations beim Wettbewerb in Cannes. Wie war das?

Arndt: Das war grandios, vor allen Dingen, weil wir ja - man gibt sich ja immer die größte Mühe, mit allergrößter Bescheidenheit anzureisen, und diesmal war es ja so, das wir vor zwei Jahren die goldene Palme gewonnen haben mit dem "Weißen Band", und wir also angereist sind und gedacht haben, mein Gott, jetzt muss mal ein anderer, und der Jugend eine Chance und so weiter, und dann steht man da, und auf einmal reagieren die Leute wieder so begeistert, das war herausragend.

Vor allein Dingen eben, weil Haneke - das haben Sie ja sehr schön beschrieben in Ihrem Eingangsstatement - sich diesmal eben noch mehr Emotionen getraut hat, und man eben da gespürt hat, dass diese 2.500 oder 3.000 Leute in diesem Kino wirklich mitgegangen sind, und das war betörend schön. Ein richtig guter Moment im Leben.

Timm: So gewiss ist das ja nicht, dass die Leute sich beeindrucken lassen von einem Film, der zeigt, was ihnen möglicherweise selbst bevorsteht, dass sie sich das auch anschauen mögen. Hatten Sie eigentlich als Produzent von Anfang an Vertrauen in diese Geschichte?

Arndt: Ja, weil, ich meine, das haben Sie wieder sehr schön am Anfang beschrieben, es geht eben nicht darum, dass einer stirbt oder dass seine Liebe zu Ende geht, sondern dass die Liebe überdauert und dass die Liebe bis zum Schluss halten kann, dass es eine Hoffnung gibt. Und da hat Haneke, finde ich, zumindest was Film angeht, fast was neues über dieses uralte Thema Liebe gefunden, ja?

Dass es nämlich nicht nur drum geht, wie man sich findet oder wie man dran leidet an der Liebe, sondern dass sie eben bis zum Schluss eine große Stütze sein kann, wenn man sie richtig lebt. Und die beiden in unserem Film schaffen das.

Timm: Lassen Sie uns trotzdem mal geschäftlich werden: Wie wichtig ist das Festival von Cannes eigentlich für den Verkauf des Films?

Arndt: Unwahrscheinlich, weil Cannes ist nun mal das größte Arthouse-Festival, also da, wo Filmkunst am stärksten gepflegt wird. Und eben gerade solche Filme wie von Michael Haneke, die einfach handwerklich perfekt, aber eben nicht mit den großen Knalleffekten der Story oder der Special Effects operieren, die werden ganz stark hier verkauft, gehandelt und auch eben entdeckt, wie es uns eben gegangen ist mit unserem kleinen Liebesfilm. Dass wir jetzt Weltweit die besten Kritiken bekommen, das kann dann sehr stark nur hier passieren.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Produzenten Stefan Arndt. Er ist uns aus Cannes zugeschaltet. Herr Arndt, lassen Sie uns mal Nachrichtenschrumpfen spielen: Gerade kam eine Meldung, wie zufrieden Kulturstaatsminister Neumann über den Zustand des deutschen Films ist - so viele Koproduktionen in Cannes, wie toll, 14 Filme mit deutschem Geld sind dabei.

Ich drehe die Nachricht jetzt mal um, Nachrichtenschrumpfen spielen: kein deutscher Film im Wettbewerb - verstehen Sie eigentlich, warum der deutsche Kulturstaatsminister so glücklich ist?

Arndt: Ja, weil das ist nun mal ein deutscher Film, österreichischer Film, französischer Film ist eigentlich total albern. Filme dieser Wertigkeit, sage ich jetzt mal, und auch dieser kulturellen Wertigkeit, das sind Weltfilme, die werden in der Welt für die Welt gemacht. Film ist eine viel zu teure Kunst, um nur für ein Land oder für einen Sprachraum alleine gemacht zu werden.

Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus: Ich kann es immer nicht verstehen, warum auch Staatsminister, oder vor allen Dingen eben auch die Öffentlichkeit und da speziell die Medien, es in Deutschland nicht verstehen, den Stolz auf deutsche Filme zeigen zu können, ja? Zum Beispiel jetzt bei diesen drei Produktionspartnern, die "Liebe" von Haneke produziert haben, die arbeiten jetzt schon seit Jahren zusammen, wir haben schon "Das weiße Band" zusammen gemacht. "Das weiße Band" war eben majoritär Deutsch, wurde eben auf Deutsch in Deutschland eine deutsche Geschichte verfilmt.

Diesmal ist es eben eine französische Geschichte, die auf Französisch in Paris gedreht wurde. Das ist aber trotzdem ein deutscher Film, sowohl rechtlich als auch, finde ich, können wir durchaus darauf stolz sein, dass wir es hinbekommen, solche Filmemacher zu uns zu locken, dass sie mit uns arbeiten, bei uns produzieren, und wir sollten da ein bisschen mehr Rückgrat, ein bisschen mehr Standing, hingehen und einfach sagen: Ja, super, "Liebe" ist auch ein deutscher Film.

Timm: Aber dann lassen Sie mich doch einen Moment mal noch mal ganz schnöde die nationale Karte zücken: 60 Millionen der deutschen Filmförderung gehen in internationale Produktionen, und trotzdem schaffen es zumindest in diesem Jahr, aber auch in vielen anderen, deutsche Produzenten nach Cannes, deutsche Regisseure nicht. Ist doch schade, oder?

Arndt: Das ist immer so wie zu sagen, Hollywood wären die Amerikaner. Kommen Sie mal nach Hollywood, wenn ich da hinkomme, treffe ich seltenst Amerikaner, sondern es ist ein Schmelztiegel der ganzen Welt. Die Leute, die diese Art von kommerziellen Filmen machen wollen, treffen sich eben dort, um dort gemeinsam zu arbeiten.

Ich finde, es sind viele Deutsche schon in Cannes gewesen, man kann durchaus sagen, dass der Wettbewerb etwas tendenziös ausgewählt wird, weil da noch nicht mal die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass ein Deutscher teilnimmt, gewahrt wird. Aber da müssen wir eben für uns werben, uns auch ein bisschen besser erklären vielleicht.

Timm: Es ist ja nicht nur die nationale Karte. Eine Geschichte wie "Liebe", die ist sicher so oder ähnlich fast überall denkbar. Überall werden Menschen alt und krank, und Beziehungen bewähren sich dann oder sie bewähren sich nicht. Aber es gibt ja auch Filme, die ganz explizit davon leben, dass sie aus einem bestimmten Land stammen, weil sie uns aus diesem Land eben erzählen oder weil sie so verfilmt sind, dass man sofort sieht ohne Namensnennung, das muss ein französischer Film sein, oder eben auch ein deutscher oder ein italienischer - nur kommt das eben kaum noch vor.

Gehen da nicht auch jenseits deutscher Film oder nicht deutscher Film, gehen da nicht auch schlicht Erzähltraditionen über Bord?

Arndt: Ich stimme Ihnen zu, dass die letzten ein, zwei Jahre das aus Deutschland jetzt zum Beispiel nicht so speziell gemacht wurde, oder es einfach sich nicht durchgesetzt hat, das kann ja auch sein. Im Großen und Ganzen ist es aber so, dass wir seit 15 Jahren, seit wir da jetzt mitspielen, es doch, finde ich, enorm geschafft haben. Wir haben den Marktanteil des deutschen Films in Deutschland extrem erhöht, wir haben aber auch die Filme, die ins Ausland gehen, die haben sich deutlich vermehrt.

Und wenn es dann mal deutsche Geschichten gibt, die einzigartig sind, wie aus unserer Firma eben "Lola rennt" oder "Goodbye Lenin" und "Das weiße Band", dann sind die eben im Ausland, werden die geguckt, auch weil sie eben aus Deutschland sind, weil die Leute neugierig sind, was denn da in Deutschland los ist. Und das tut schon ganz gut, also dass man sieht, dass das eben gewollt ist.

Zweiter Aspekt ist noch, dass es natürlich ein weltweit - es gibt eine Bankenkrise, es gibt eine Geldkrise, ja? In Deutschland leben wir ein bisschen auf so einer Insel der Seligen, und die äußeren Rahmenbedingungen sind schon viel härter geworden, um diese kulturellen Filme ins Ausland zu bringen, weil einfach weniger Geld unterwegs ist.

Timm: Werfen wir zum Schluss noch mal einen Blick in Ihre Produzentenwerkstadt, Herr Arndt. Sie machen als Produzent jetzt auch mit bei "Der Wolkenatlas", einer Geschichte über mehrere Jahrhunderte - die teuerste deutsche Kinoproduktion bislang, 100 Millionen Dollar und alles im Studio, wie stemmt man das?

Arndt: Also erst mal nicht alles im Studio, sondern eben - aber alles in Europa gedreht, also eine wirklich unabhängige Finanzierung, gebaut wie eine Finanzierung zum Beispiel auch gebaut wird für Michael Hanekes "Liebe". Und wir konnten eben, weil das Buch so toll war, und die Regisseure so einzigartig, konnten wir eben sehr, sehr bekannte Darsteller wie Tom Hanks, Halle Berry, Hugh Grant überzeugen, für sehr maßvolle Gehälter bei uns mitzumachen, und die haben das auch sehr genossen. Und ich freue mich jeden Tag, an dem ich ins Internet gucke und sehe, dass unsere Schauspieler nichts anderes tun seit einem halben Jahr, als nur über unseren Film zu reden, obwohl das Marketing noch gar nicht begonnen hat.

Also es scheint ganz gut geklappt zu haben und ich glaube, da tragen wir eben auch - Sie haben vorhin diese 60 Millionen erwähnt, die in internationale Filme fließen, die flossen ja zum Beispiel, ein Teil dieses Geldes floss auch in "Cloud Atlas" oder "Wolkenatlas", und das ist eben etwas, was unsere Filmkunst insgesamt - weil Film ist ja nicht nur der Regisseur und die Schauspieler, sondern es sind ja auch Maskenbildner, Kameraleute, Elektriker und so weiter - auf ein ganz anderes Niveau führt. Und dann werden wir international immer wettbewerbsfähiger, und das freut mich.

Timm: Aber es muss auch eine Last sein: Wenn es nicht klappt, sind Sie doch pleite, bei einem Budget von 100 Millionen - das stelle ich mir zumindest vor, wenn es nicht klappt, dann ist das richtig schlimm.

Arndt: Deutsche Filmproduzenten werden nicht mehr so reich, wie das vielleicht früher war. Ich bin auch schon pleite, wenn ein kleiner Film nicht klappt. Drei Millionen sind auch unfassbar viel Geld. Der Unterschied zwischen drei Millionen, wen der Film vollkommen gegen die Wand fährt, bin ich auch weg, und bei 100 Millionen ist man dann nicht 100 mal mehr weg, sondern eben auch nur einfach pleite.

Timm: Stefan Arndt, alles Gute erst mal für "Liebe", aber auch für den "Wolkenatlas", und nicht nur, damit Sie nicht pleite gehen. Herr Arndt, ich danke Ihnen ganz herzlich fürs Gespräch!

Arndt: Danke, tschüss!

Timm: Stefan Arndt war das, Produzent und geschäftsführender Gesellschafter bei bei X-Film und uns zugeschaltet aus Cannes.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stefan Arndt, Filmproduzent
Stefan Arndt, Filmproduzent© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
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