Neues Berliner Humboldt-Forum

Was sagt uns die Kartoffel?

Der Rohbau des Berliner Schlosses (M), das den Namen Humboldt-Forum trägt, ist am 09.06.2015 in Berlin am Schinkelplatz zwischen dem eingerüsteten Neubau von Nobelappartements (l-r), der Humboldt-Box, dem Hotel Park Inn, dem Fernsehturm und der Schaufassade der Schinkelschen Bauakademie (r) zu sehen. Das Humboldt-Forum soll ab 2019 als Museum und für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.
Der Rohbau des Berliner Schlosses © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Christiane Habermalz · 02.11.2016
Es gab zahllose Konzeptpapiere und Formeln wie "Weltkulturmuseum" oder "Narrative der großen Menschheitsfragen" für das neue Haus. Aber was das Berliner Humboldt-Forum wirklich leisten könnte, zeigt die erste Ausstellung mit dem Titel "Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom".
Am Anfang war die Kartoffel. Neil MacGregor, Gründungsintendant des Humboldt-Forums, zeigt auf eine Glasvitrine, in der kleine schrumpelige Knollen in einem geflochtenen Körbchen liegen: Archäologische Kartoffeln, die dank des trockenen Klimas in Peru als Grabbeigaben die Jahrhunderte überdauert haben.
Die Kartoffel, bevor sie sich in die ganze Welt ausbreitete, war in Peru heimisch, sie wurde dort seit Jahrhunderten kultiviert:

"Neben den archäologischen Kartoffeln sehen Sie ein großes Gefäß als Kartoffel. Man sieht sofort, mit welchem Humor, mit welcher Liebe, mit welchem Geschick das gemacht worden ist. Wie die gelacht haben müssen, was für ein Vergnügen ihnen das gemacht haben muss!"

Was sagt uns die Kartoffel über die Kultur der Peruaner vor 1000 Jahren, und was sagt sie uns über das künftige Konzept des Humboldtforums?
Für Neil MacGregor erzählt sie von den extremen Wetterbedingungen, denen nur bestimmte Kulturpflanzen – Kartoffeln, Mais, Baumwolle – gewachsen waren, und wie die Natur die präkolumbinische Kultur Perus beinflusste. Und sie spannt den Bogen bis in die Gegenwart, in der ohne Kartoffeln bekannterweise gar nichts mehr geht – von der Fritte bis zur Haute Cuisine.
Der Intendant des Berliner Humboldtforums, der britische Kunsthistoriker Neil MacGregor, aufgenommen am 2.11.2016
Der Intendant des Berliner Humboldtforums, der britische Kunsthistoriker Neil MacGregor, aufgenommen am 2.11.2016 © dpa / picture alliance / Soeren Stache
MacGregor: "Die archäologischen Sammlungen aus Peru sind sehr wichtig. Und die zeigen eine sehr enge Verbindung zwischen Kultur und Natur. Genau was Alexander von Humboldt interessierte. Aber der Humboldt-Strom ist auch El Nino. Das heißt, ein Wetter-Phänomen, das für die ganze Welt bestimmend sein kann."
Bis heute sorgt El Nino in der ganzen Region für schwere Überschwemmungen, Dürre und Fischsterben.
"Wir wissen dass für die Peruaner war ein schlechtes El Nino eine sehr große Gefahr für die ganze Gesellschaft. Die hatten also Rituale, durch die sie versuchten, das Wetter zu ändern. Genau wie wir versuchen, jetzt das Klima zu ändern."
Mit der Muster-Ausstellung: "Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom" machen die Herren von der Gründungsintendanz – MacGregor, Parzinger und Bredekamp – erstmals konkret, was zuvor gefühlte Ewigkeiten mit Begriffen wie "Multiperspektivität", "Weltkulturmuseum", "Narrative der großen Menschheitsfragen" durch zahllose Konzeptpapiere und Diskussionen geisterte.

Das Bunte in einen Vorteil umzudeuten

Auf 25.000 Quadratmetern sollen die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin einziehen, soll ein interdisziplinäres Forschungslabor der Humboldt-Universität entstehen, eine Berlin-Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum sowie eine Schau zur Geschichte des Schlosses.
Doch MacGregor gelingt es, diesen historisch gewachsenen Strauß Buntes in einen Vorteil umzudeuten. Gerade in der Vielzahl der Akteure liege das große Potential des Humboldt-Forums. Und in der Tat lassen sich so neue Querverbindungen ziehen – wie in der Extreme-Ausstellung, in der die archäologischen Objekte erst mit den Wetteraufzeichnungen des Geographischen Instituts der Humboldtuniversität, den Präparaten aus dem Naturkundemuseum und dem Botanischen Garten eine interessante neue Perspektive ermöglichen:
"Wir wissen alle, dass die Geschichte, die wir in der Schule gelernt haben, nicht mehr genügt, um die Welt wie die jetzt ist zu verstehen. Dass diese neue Geschichte der Welt nicht nur aus europäischen Blickwinkeln sondern auch aus anderen Blickwinkeln gesehen und verstanden wird, dass können die Museen anbieten, vor allem wenn wir mit Kollegen aus den Herkunftsländern zusammen arbeiten."

Freier Eintritt zumindest für Dauerausstellungen

Und auch in zwei weiteren Punkten hat MacGregor heute Marken gesetzt. Bislang gab es keinen eigenen Raum für die Ideen und das Werk der Gebrüder Humboldt, zentrale Leit- und Schlüsselfiguren für das Haus. Dies wird sich nun ändern: In der ersten Etage wird ihnen eine Ausstellung und ein Debattenraum gewidmet – an Stelle der Kunstbibliothek, die dafür weichen muss. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Als Überbleibsel früherer Planungen war sie ohnehin ein ungeliebtes Kind der Gründungsintendanz, ein Fremdkörper, der wie ein Riegel die Etage blockierte. Die Kosten für Umplanung will Kulturstaatsministerin Monika Grütters aus dem Bundeshaushalt schultern. Und schließlich: Um nicht nur Besucher und Touristen, sondern vor allem die Berliner ins Museum zu bringen, sei freier Eintritt unerlässlich, so MacGregor.
"Das wichtigste Publikum muss immer das lokale Publikum sein. Alle Bürger sollen das Gefühl haben, dass es hier um ihre Sammlung geht. Die können die Sammlung nutzen wie sie wollen, und wann sie wollen. Und nur mit dem kostenlosen Eintritt kann man die Gewohnheit nehmen, regelmäßig ins Museum zu gehen, die Sammlung kennen zu lernen, sich die Sammlung anzueignen."
Das wird teuer. Doch Grütters ist der Forderung nach freiem Eintritt zumindest für die Dauerausstellungen nicht abgeneigt. Mit 50 Millionen Euro Plus bezeichnete sie heute die erwarteten Betriebskosten ab 2019. Die kommenden Monate werden zeigen, ob bei diesen Summen auch der Bundestag mitzieht. Bis zur Eröffnung Ende 2019 soll derweil die Humboldtbox weiter als Probebühne künftiger Wechselausstellungen dienen.
Drei Ausstellungen pro Jahr sind geplant, die nächste zum Thema "Schutz der Kinder". Hier soll das Berliner Stadtmuseum mit der Geschichte Berliner Kinder eine tragende Rolle spielen, mit starkem aktuellen Bezug durch Flucht und Migration. Das dritte Thema: Gold. Auch das zweifellos ein Menschheitsthema. Featuring: Schönheit, Gier, koloniale Ausbeutung.
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