Neuer Intendant am Straßburger Nationaltheater

Mit Kunst gegen die Barbarei

Straßburger Nationaltheater
Die neue Wirkungsstätte von Stanislas Nordey: Das Nationaltheater in Straßburg © imago/Sämmer
Von Eberhard Spreng  · 01.10.2016
Das Straßburger Nationaltheater hat einen neuen Intendanten: Stanislas Nordey. Er will das Theater unter anderem auch für Jugendliche aus Einwandererfamilien öffnen. Damit verbindet er eine politische Mission.
Er arbeite "48 heures sur 24", also 48 Stunden am Tag, sagt die Pressereferentin schmunzelnd über den Intendanten des "Théâtre National de Strasbourg", kurz T.N.S. genannt, den Schauspieler und Regisseur Stanislas Nordey. Freunde hatten ihn vor wenigen Wochen für einen Abend aus dem Straßburger Nationaltheater abberufen, um seinen 50. Geburtstag zu feiern; den hatte er glatt vergessen.
Der hagere Mann hat nichts von seinem jugendlichen Elan verloren, seit er 1991 Pier Paolo Pasolinis "Bestia da Stile – Der Schweinenstall" inszenierte und seitdem zahlreiche vor allem zeitgenössische Autoren. Aber auch nichts von seinem Sendungsbewusstsein, als er von 1998 bis 2001 das Theater Gérard Philipe in der Pariser Krisenbanlieue Saint-Denis zum Ort eines theater- und sozialpolitischen Experimentes machte, dem er sich in veränderter Form auch in Straßburg verpflichtet fühlt: Dem Öffnen eines ehrwürdigen Theaters für theaterfremde Schichten des Bevölkerung.
"Warum ist es denn immer dieselbe soziale Schicht, die das Theater besucht? Warum wagt ein anderer Teil der Bevölkerung nicht, ins Theater zu gehen. Wenn ich dieses Hauses hier leite, dann um diese Frage immer wieder zu stellen. Wenn ich in sechs, sieben Jahren Straßburg wieder verlasse, wäre ich froh, wenn die Bewertung meines Amtszeit sich genau diese Frage vornähme. Ist es gelungen, die Teile der Bevölkerung anzusprechen, die gemeinhin für die Kultur und das Theater als verloren gelten."

Jugendliche aus Einwandererfamilien speziell fördern

Nordey hat neben dem Schauspielbetrieb, der in der neuen Saison übrigens einen deutlichen Schwerpunkt mit deutscher Dramatik aufweist, einen eigenen Spielplan entwickelt, den er "l’autre saison" nennt, die andere Saison. Das sind kostenlose Veranstaltungen vor allem für ein noch theaterfremdes Publikum: Performance, Debatten, Workshops, kleine Aufführungen auch der dem Haus angeschlossenen Schauspielschule. In sogenannter positiver Diskriminierung will Nordey Jugendliche aus Einwandererfamilien speziell fördern. Im März machte ein Workshop Schlagzeilen, den er ausschließlich für junge Talente mit schwarzer Hautfarbe anbot. Auch mit dem Berliner Gorki-Theater und seinem polyglotten Ensemble ist das T.N.S. eine Partnerschaft eingegangen. Nordey glaubt an Kultur gegen den Zerfall der westlichen Einwanderungsgesellschaften und die Bedrohung durch einen fundamentalistischen Terror.
"Wir leben in Zeiten wachsender Barbarei und Attentate. Ich glaube, dass wir Kulturleute da eine wirkliche Verantwortung tragen. Denn: Wenn Kunst auf die trifft, die kein Zugang zu Bildung und Wissen haben, dann kann sie diese Menschen verändern. Ich bin fest davon überzeugt, dass jemand, den ein Gemälde von Hieronymos Bosch oder von Yves Klein oder eines anderen Künstler tief bewegt hat, sich keinen Sprengstoffgürtel mehr um den Körper schnallt. Er kann es nicht mehr. Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass wer von der Schönheit, der Kraft der Kunst berührt worden ist, einen entscheidenden Schritt weg von der Barbarei gemacht hat."

Kooperationen mit 20 Künstlern eingegangen

Für sein ehrgeiziges Projekt am T.N.S. hat sich der Intendant auch mit Falk Richter zusammengetan, mit dem er im Frühjahr in Co-Regie dessen "Je suis Fassbinder" inszenierte und außerdem die Titelfigur verkörperte.
"Ich habe 20 Künstler zu Kooperationen an das Theater geholt: Autoren, Regisseure, und vor allem Schauspieler. Wenn eines in Frankreich derzeit not tut, dann diese Regisseursallmacht etwas zu dämpfen. Autoren und Schauspieler müssen wieder mehr Macht bekommen, damit ein wirklicher Austausch zwischen allen entsteht, im gesamten Prozess der Arbeit."
Mit Ausnahme der Comédie Francaise hat kein Theater in Frankreich ein festes Ensemble, wie wir es in Deutschland kennen. Und das wäre für Nordey auch kein Ziel. Aber er will um sich eine Gruppe von Künstlern, Gleichgesinnte, die sich der zeitgenössischen Dramatik verpflichtet fühlen, und seinem "Théâtre Citoyen", einem zeitgenössischen Theater der Demokraten.
Mehr zum Thema