Neuer Film "Atomic Falafel"

Groteske in Israels Wüste

Ein Junge spielt in der Wüste Negev mit einem Luftballon.
Ein Junge spielt in der Wüste Negev mit einem Luftballon. © dpa / picture alliance / EPA / Jim Hollander
Von Jochanan Shelliem · 10.06.2016
Der deutsch-israelisch-iranische Film Spielfilm "Atomic Falafel" überrollt alle Tabus: Die Groteske geht dabei existentielle israelische Ängste an - und ist, so die Empfehlung unseres Kritikers, unter Alkoholeinfluss besonders gut zu verstehen.
Bevor Jitzhak Rabin ermordet worden ist, prägten Tragödien über das Elend palästinensischer Schwarzarbeiter und Komödien über deren Verführungskünste die israelische Filmlandschaft. Die friedensstiftende Macht der Fußballweltmeisterschaft belebte israelische Leinwände mit tragikomischen Szenen.
Man wagte sich – mit verfremdenden Comicbildern – an die Morde in den libanesischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, die Ariel Sharon hätte verhindern können und auch die Ratlosigkeit israelischer Soldaten im libanesischen Niemandsland wurde thematisiert. Derweil stagnierte in Deutschland der angstvolle Philosemitismus mit Stereotypen, die Allen-wohl-und-niemandem-weh "Alles auf Zucker" legten.
Vielleicht brechen nun neue Tage an. Psychotherapeuten sagen, wenn man die Angst benennen kann, dann sei der erste Schritt getan, um sie zu überwinden. "Atomic Falafel" heißt ein deutsch-israelisch-iranischer Film, der dem Feind ins Auge blickt.
"Piep Piep... Die zuständigen Behörden des Iran bestätigen heute den Bau von sieben Nuklearen Sprengköpfen"

Kein Dokumentarfilm, kein Agententhriller

Kein Dokumentarfilm, auch kein Agententhriller umreißt hier sein Sujet, sondern ein als Groteske eingekleideter Versuch, auf der Leinwand existentielle israelische Ängste anzugehen.
"Eine kleine Atombombe auf Tel Aviv, eine klitzekleine auf Jerusalem und eine winzige auf Beersheba, das heißt uns bleiben noch drei Tage was einen Angriff von 72 Stunden zulässt."
Dazu gesellt sich – wie bei den Persiflagen des englischen Komikers Sacha Baron Cohen, nur ohne seine Superagenten – ein wenig Sand im Getriebe bei der Lösung des Problems.
"Da wären noch die Frage nach dem Besuch der Kommission."
Natürlich sind es die Europäer, die das Kalkül der Testosteron gesteuerten Kommission in dem unterirdischen Wüstenbunker vereiteln wollen. Es ist ein Knallchargenkabinett...
"Wie sieht unser Plan aus – haben wir einen Plan?!?"

Mit Falafel über Wasser halten

Da wäre der Verteidigungsminister, stets auf die Außenwirkung seines Handelns bedacht, da der Geheimdienstchef, der durch seine vielen Titanimplantate selbst zum wandelnden Empfänger geworden ist, seine knatternden Radiosendungen im Kopf leider nicht ausschalten kann. Da ist der Brigadegeneral, rotes Barett unter der Schulterklappe, Zahnstocher im Mundwinkel und Augenklappe, Achtung: Satireangriff auf den Helden des Sechs-Tage-Krieges Moshe Dajan
Brigadegeneral: "Guten Morgen! Anziehen, rauskommen! Wir müssen Dich sprechen."
Mimi: "Wer ist wir?"
Brigadegeneral: "Der Staat Israel!"
Ach ja, und da ist Mimi, die in die Jahre gekommene Julia dieses Films. Die Witwe eines im Dienst gefallenen israelischen Offiziers, dem die Armee ihre Rente verweigert, sodass sie sich in einem knallroten Kombi mit Falafel über Wasser hält, für die die exerzierenden Soldaten in der Wüste Schlange stehen.
"Danke... ohne dich wäre die Armee verloren."
Nächtens stellt sich Mimi manch verirrtem Panzer in den Weg.
Mimi: "Du bist verdammt weit vom Kurs abgekommen... fahr zurück... an der zweiten Flussbiegung links."

Wenn aus der prallen Pita die Soße quillt

Da sich dieser filmische Klamauk aber nicht entscheiden kann, ob er eine Romanze, eine Burleske über das kriegerische Israel oder einen Völkerverbindenden Appell an die hormonelle Macht der Teenager über alle Grenzen hinweg darstellen will, stopft er alles in die Handlung, wie in eine pralle Pita, aus der die Soße quillt.
Oliver: "Erster Tag der Kommission und ich bin schon begeistert – mit schmissiger Musik – Frieden ist nah"
Brigadegeneral: "Wir lassen die Kommission herumschnüffeln und nach der Abreise – Peng – schlagen wir zu."
Oliver Hahn, nomen est omen, heißt der Romeo, in den sich Mimi verliebt, als er beim ersten Bissen in die Pita ihres Falafel in Ohnmacht fällt.
Mimi: "Speziell für Sie, damit Sie Israel nicht vergessen."
Besiegte Deutsche sind gute Deutsche – so die Moral dieser Burleske – und wenn der Teutone, hochgewachsen, Sixpack, blonde Locken, von der Schärfe eines guten israelischen Falafel niedergestreckt auf dem Wüstenboden liegen, kann auch die schöne Mimi nicht widerstehen. Der Mund-zu-Mund-Beatmung folgt die große Liebe.
Und nun folgt die Vereinigung von Romeo und Julia mit dem Nibelungenlied. Denn Oliver verfügt wie Siegfried über eine Schwachstelle, ein Lindenblatt, das ihn ganz ohne Diplom, zum Geigerzähler der Kommission macht. Oliver – lustvoll verkörpert von Alexander Fehling, der zuletzt Im Labyrinth des Schweigens neben Gerd Voss gestanden hat – Oliver ist hochallergisch gegen Radioaktivität und darum für die Versteckspiele der Falken eine Gefahr, auch wenn sich der Brigadegeneral gegen die Mesalliance der wehrhaften Israelin mit dem sensiblen Deutschen wehrt.

Vorglühen vor Filmstart kann nicht schaden

Brigadegeneral: "Mein Großvater ist ein Opfer des Holocaust und siebzig Jahre danach kommt ein Deutscher und wagt es wieder, mich einen Verschwörer zu nennen."
Abgründe in der israelischen Gesellschaft tun sich auf...
Brigadegeneral: "Du gefährdest die ganze zionistische Sache für einen kleinen Fick."
Brigadegeneral: "Ab in den Krieg"
Mit der Abschiebung des Deutschen und der Inhaftierung der Falafelstandbetreiberin wäre dieses Problem nun allerdings gelöst und einem israelischen Erstschlag auf das iranische Atomzentrum stände nichts mehr im Wege, wenn da nicht die pubertäre Tochter Mimis wäre, auf dem Weg zu ihrem ersten Kuss mit ihrem Nerd und per Internet befreundet mit einer jungen Iranerin, die zufällig die pubertierende Tochter des obersten iranischen Atomphysikers ist...
Wie Obelix als Hürdenläufer überrollt dieser Film mit Schmackes alle Tabus. Vorglühen vor Filmstart kann nicht schaden, dann wird man den Humor der deutsch-israelisch-neuseeländisch-iranischen Produktion auch besser verstehen.