Neuer Feiertag

Die Türen auf, die Tore weit!

Seltene Einheit in der Knesset: Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen befürworten den Vorstoß.
Israelische Fahnen wehen vor der Knesset: Abgeordnete aus allen großen Fraktionen unterstützen die Idee. © dpa / picture alliance / Marc Tirl
Von Evelyn Bartolmai · 11.04.2014
Israel gehört zu den Ländern, die weltweit am schnellsten wachsen. Das liegt zu einem beträchtlichen Teil daran, dass so viele Einwanderer ins Land strömen. Und wenn im September der Kalender für das neue jüdische Jahr 5775 erscheint, dann wird das möglicherweise auf eine ganz besondere Art gewürdigt.
2000 Jahre ist er alt, der jüdische Traum vom freiem Leben im eigenen Land. Seit 1948 ist er im Staat Israel Wirklichkeit, und immer noch besingt die Nationalhymne die Bewegung, die diesen Staat nicht nur möglich gemacht hat, sondern bis heute einer seiner Grundpfeiler ist: die Aliya, die Einwanderung. Und wenn es nach dem Willen der Gemeinschaft junger Einwanderer Tel Aviv Internationals geht, dann wird künftig jedes Jahr am 10. Nissan der Jom Ha'Aliya, der "Tag der Einwanderung" gefeiert. Nach intensiven Konsultationen mit "Rabbi Google" habe man diesen Tag ausgewählt, erzählt Jay Shultz, der Vorsitzende von Tel Aviv Internationals, denn in der jüdischen Tradition ist es der Tag, an dem nach 40-jähriger Wüstenwanderung das Volk Israel unter der Führung von Jehoshua den Jordan überquert hat und in das von Gott verheißene Land eingezogen ist:
"Der 10. Nissan liegt trotz gewisser Abweichungen jedes Jahr normalerweise Anfang April nach dem nicht-jüdischen Kalender, und es ist ein paar Tage vor Pessach. Und der jüdische Feiertag Pessach ist in vieler Hinsicht so bedeutsam: der Auszug aus Ägypten, persönliche Freiheit, kollektive Erlösung. Wir waren nur als die kleine Familie von Jakob dort hingekommen, aber dann verlassen wir Ägypten wieder und sind das jüdische Volk. Und ich denke, darum geht es hier, dass auf der Ebene des ganzen Volkes etwas Bedeutsames geschehen ist."
Aus der Diaspora schöpft die israelische Gesellschaft
Auch wenn damals noch niemand etwas von "Zionismus" wusste, so kann man den Einzug der Juden unter der Führung von Jehoshua ins verheißene Land doch mit allem Recht als die erste Massen-Aliya bezeichnen. Biblisch gesprochen schloss sie den Kreis, der 40 Jahre zuvor mit dem Auszug aus Ägypten begonnen hatte, und woran zum Pessach-Fest am 15. Nissan erinnert wird:
"Am Ende der Pessach-Geschichte stehen die berühmten Worte 'Nächstes Jahr in Jerusalem' - 2000 Jahre lang war das nur ein Wunsch, denn es gab ja nicht die Möglichkeit, im Land Israel zu sein. Aber jetzt und heute, wenn ich sage 'nächstes Jahr in Jerusalem', dann ist das nur 20 Minuten vom Flughafen entfernt und ich kann dort sein."
An jedem Sedertisch, sagt Jay Shultz, sollte man heute nicht nur den Blick in die Vergangenheit richten, sondern auch über die Aliya in unseren Tagen sprechen. Das ist die Botschaft vor allem an die Juden, die in der Diaspora leben und die das Reservoir bilden, aus dem die moderne israelische Gesellschaft immer wieder schöpft. Daher will der Jom Ha'Aliya auch ein Tag sein, der nicht nur in Israel gefeiert wird, sondern Israelis und Juden in aller Welt noch enger miteinander verbindet.
"Es hat ja tatsächlich nahezu jede Familie hier eine Einwanderer-Geschichte, oft sogar mehrere, und ich denke, für Kinder ist es auch sehr schön, das mal zu feiern, denn es verbindet die Generationen genauso, wie der Sederabend die Generationen verbindet. Meine Großmutter ist aus Rumänien, mein Großvater aus dem Jemen, meine Mutter wurde in Hamburg geboren, und wenn wir die Verwirklichung der biblischen Prophetie heute feiern, 'kibbuz galujot', die Sammlung der in alle Ecken der Welt Verstreuten, dann ist das nicht nur eine biblische Prophetie und etwas Spirituelles, sondern es ist eine greifbare Realität, in der eine herrliche Gesellschaft entstanden und immer noch am Entstehen ist und mit dem modernen Staat Israel auch etwas geschaffen hat, auf das alle Juden stolz sein können."
Für die Umsetzung der Idee des neuen Feiertages der Einwanderung konnten die Aktivisten um Jay Shultz mehrere Abgeordnete aus allen großen Fraktionen der Knesset gewinnen. Es dürfte ziemlich einmalig in der Geschichte des israelischen Parlamentes sein, dass Mitglieder von Regierungs- und Oppositionsparteien Ende März gemeinsam eine entsprechende Gesetzesvorlage eingebracht haben, über die in der nächsten Sitzungsperiode der Knesset nach Pessach diskutiert und abgestimmt wird. Gefeiert wird allerdings schon dieses Jahr, versichert Jay Shultz, obwohl oder gerade weil Israel immer noch sehr am Anfang steht:
"Chag sameach" zukünftig auch am 10. Nissan?
Israel ist 65 Jahre alt, das ist doch erst Tag 3 der Nation! Und man kann immer noch herkommen und ein Pionier sein! Unsere Gemeinde fährt in den Norden, in den Galil, und wir arbeiten in Kibbuzim. Wir stehen schon im Morgengrauen auf und arbeiten den ganzen Tag mit den Einheimischen dort, wir studieren und diskutieren auch über Judentum und Zionismus, und dann bleiben wir die ganze Nacht wach und feiern ein Barbeque mit großem Lagerfeuer. Und auch wenn das jetzt kein offizieller Staatsfeiertag in Israel werden sollte, so feiern wir den Tag doch als eine sehr lange Tradition, die seit den Tagen von Jehoschua besteht und heute Teil unseres Alltags ist.
"Chag sameach" wünscht man traditionell zu allen jüdischen Feiertagen - künftig also auch am 10. Nissan?
"'Chag sameach', genau, 'schönen Feiertag', wie wir zu jedem Fest sagen! Denn es ist schön, ein Jude zu sein, wunderbar, im jüdischen Land ein jüdisches Leben zu leben, und darüber hinaus jeden Tag, wenn man in Israel aufwacht, zu lächeln und Gott dafür zu danken, dass ich, mein Vater, meine Großmutter oder wer immer von meinen Vorfahren hier eingewandert ist. Und ich wünsche, dass die Juden in Europa und überall in der Welt, die immerhin die Hälfte der Juden ausmachen und für die es manchmal wirklich schwer ist, Jude zu sein, dass auch sie an diesem Tag feiern und vielleicht sogar sagen, es reicht mir, ich gehe nach Hause zurück, denn in Israel ist es leicht, ein Jude zu sein."
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