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Vereinnahmung im Dritten Reich
Wie NS-Ideologen Yoga missbrauchten

Bis heute ist es kaum bekannt: Es gab Yoga auch im Dritten Reich. Führende Nazis wie Rosenberg oder Himmler schätzten die altindische Technik der Selbstbeherrschung. Adolf Hitler wurde zum Yogi erklärt. Ein Berliner Yoga-Lehrer und Autor warnt: Yoga lässt sich missbrauchen.

Von Thomas Klatt | 08.06.2021
Adolf Hitler grüßt am 5. Oktober 1939 in Warschau, Polen, die vorbeimarschierenden Truppen der Wehrmacht. Hinter dem Diktator stehen (v.l.n.r.) der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch, der neue Kommandant von Warschau, Generalleutnant Friedrich von Cochenhausen, Generaloberst Gerd von Rundstedt sowie Generaloberst Wilhelm Keitel.
Die Ideologie der Nationalsozialisten: Kriegertum statt Verweichlichung (Picture Alliance / AP)
Der Titel des neuen Buchs von Mathias Tietke irritiert: Yogi Hitler. Das soll er auch. Tietke ist selbst Yoga-Lehrer. Er will aufzeigen, wie es nationalsozialistischen Ideologen gelungen ist, die zentralen einfühlsamen wie friedliebenden Seiten der Yoga-Lehre einfach zu ignorieren. Der Yoga wurde der NS-Ideologie einseitig einverleibt. Und weil es dazu kaum Widerspruch gab, wurde selbst Adolf Hitler zum Yogi.
"Durchaus ist er als Yogi stilisiert worden. Nicht von Yoga-Kreisen, sondern eben vom 'Völkischen Beobachter', dass der 'Führer' Adolf Hitler, seine Kraft und sein Tun, basiert auf den Upanishaden, altes indisches Schriftgut, in dem Yoga eine wesentliche Rolle spielt", sagt der Berliner Yoga-Experte Mathias Tietke. Adolf Hitler wurde im Dritten Reich nicht nur zum "Größten Feldherrn aller Zeiten" stilisiert, sondern auch als vorbildlicher Yoga-Praktiker verehrt.
"Es gab damals eine Zeitschrift, die hieß 'Die Weiße Fahne', Lebensreformbewegung, und dort ist man einen Schritt weiter gegangen und hat festgestellt, dass Adolf Hitler verkörperter Yoga ist. Sein Leben, sein Tun, alles deutet darauf hin, dass er den Yoga lebt."

"Der Krieger als derjenige, der seine Pflicht tun muss"

In der NS-Diktatur war diese Propaganda durchaus gewollt. Denn Hitler war dem Yoga zugeneigt. In seiner Bibliothek standen zahlreiche Bücher mit Yoga-Bezug: Arthur Schopenhauer etwa, der im 19. Jahrhundert quasi den Yoga in Deutschland einführte. Oder die Fachliteratur des damals führenden Tübinger Indologen, Religionswissenschaftlers und SS-Hauptsturmführers Jakob Wilhelm Hauer. Daneben Literatur des Münchner Indologen und SS-Oberführers Walther Wüst, der bis zum Ende des Krieges auch Rektor der Universität München war. Allen gemeinsam war eine sehr einseitige Betrachtung des Yoga.
"Das ist einmal die ethische Ausrichtung. Das sind die Stufen eins und zwei. Das heißt 'Ahimsa' - ohne Gewalt! Das Ablehnen von jeglicher Gewalt ist eine ethische Grundlage im Yoga-Konzept. Das spielte gar keine Rolle. Die Körperhaltungen spielten keine Rolle. Dann kommen aber die Stufen fünf, sechs, sieben, das Zurückziehen der Sinne von der Außenwelt, Konzentration und ein Zustand der Meditation. Das sind die Upanishaden und die Bhagavad Gita, wo die Ethik des Kriegers, der Krieger als derjenige, der seine Pflicht tun muss, der für seine Taten nicht verantwortlich ist, der Gegner, der gar nicht sterben kann, weil man ja nur die Hülle und nicht den Wesenskern tötet. Das ist etwas, was man in dieser Literatur findet."

Stupide und treu

Zentrale Lehren des Yoga wurden also ausgeblendet, andere in den Mittelpunkt gerückt, um sozusagen so etwas wie den "arischen Yoga" zu erfinden. Die von wichtigen Nazi-Ideologen dankbar aufgegriffene Ethik der Bhagavad Gita ist ursprünglich die der Kshatriya-Kaste: Egal wer vor dir auf dem Schlachtfeld steht, egal wem du auf dem Schlachtfeld begegnest, schalte den Gegner aus, denn es geht um einen höheren Zweck. Gott Krishna befreit den Krieger Arjuna von all seinen Gewissensbissen und lehrt ihn das gnaden- und gefühllose Töten.
Krishna lenkt den Streitwagen von Arjuna, Abbildung aus einem Hindu-Tempel in Indien
Krishna lenkt Arjunas Streitwagen (imago stock&people / Philippe Lissac)
Doch die in der Bhagavad Gita geschilderte Lehre ist in eine viel größere Geschichte eingebettet und wird im Grunde relativiert. In der Fortsetzung wird Arjuna getötet, Gott Krishna wird verflucht und später ebenfalls getötet. Arjuna und die Seinen finden sich schließlich in der Hölle wieder. Die Zweifel des Arjuna am gefühllosen Töten waren offenbar berechtigt.
Neulandbewegung vor 100 Jahren - Wegbereiter des Nationalsozialismus
Christlich, völkisch, nationalsozialistisch. Vor mehr als 100 Jahren wurde in Eisenach die Neulandbewegung gegründet, ein Frauenbund, der als einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. Ein Umstand, mit dem sich die Evangelische Kirche und Eisenach schwer tun.
Die Nationalsozialisten rezipierten aber nur Teile des Mythos. Ihnen ging es allein um die Kämpfermentalität, um Pflichterfüllung - stupide und treu, frei von jeglichen Zweifeln. So wie Gott Krishna den Krieger Arjuna von Zweifeln und Gewissensbissen befreit hatte, sollte dies Tausende Jahre später zum Vorbild für germanische Kämpfer im Zweiten Weltkrieg werden.

Das königliche Yoga

Und Matthias Tietke führt in seinem Buch näher aus: Als Arier, also Edle, bezeichneten sich die aus Zentralasien einfallenden kriegerischen Reiternomaden. Die dem vor gut 5000 Jahren entgegenstehende, meist friedliche, Indus-Kultur wurde von ihnen als unedel erklärt. Darauf beruhe, so Tietke, bis heute das Kastensystem, die Unterscheidung von wertvollen und weniger wertvollen Menschen bis hin zu den Parias. Im Deutschland des 19. Jahrhundert nun wurde diese altindische Einteilung in arisch-nichtarisch, edel-unedel, nochmals umgedichtet.
"Das hat sich dann gewandelt, explizit bei Schopenhauer. Und bei Schopenhauer wird aus diesem Gegensatzpaar arisch-unarisch wird bei ihm arisch und jüdisch. Das setzt sich dann fort, namentlich Nietzsche und Chamberlain. Das Germanische, das Deutsche ist immer das Arische, das Edle. Und dem gegenüber steht halt das Semitische, das Jüdische, was abzuwerten ist."
Blick auf die Wewelsburg in Büren, nahe Paderborn (NRW)
Ideologische Schulungen der SS fanden unter anderem in der Wewelsburg statt (Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch)
Insofern schien den Nazi-Größen dieses Yoga perfekt in ihre antisemitische Ideologie zu passen. Vor allem ging es Hitler und Himmler um die Konzentration auf den Kampf.
"Das waren keine Männer, die den Sonnengruß praktiziert haben, die auf einer rutschfesten Matte standen und haben dort Übungen absolviert, auch keine Atemtechniken. Wobei, einschränkend muss man sagen, bei Eva Braun ist es bekannt, dass sie Yoga-Übungen absolviert hat. Da gibt es sogar Filmaufnahmen, wie sie in Bayern an einem See durchaus anspruchsvolle Yoga-Haltungen absolviert. Aber bei Hitler und Himmler ist das nicht der Fall. Die Auffassung des Yoga dort entspricht der Auffassung der damals lebenden Indologen. Beispielsweise Jakob Wilhelm Hauer aus Tübingen oder auch von Wüst. Das ist der geistige Yoga, oder der Raja-Yoga, der königliche Yoga, dass man seine Sinne abzieht von der Außenwelt. Man ist in der Lage, sich zu konzentrieren und findet quasi in dieser Konzentration den Weg."

Soldaten im Schulterstand

Heinrich Himmler etwa wollte die SS sozusagen zu einem spirituellen Orden machen. Er lobte Meditations-Retreats, die Lektüre der Bhagavad Gita und Yoga zur Steigerung der Kampfkraft und der Skrupellosigkeit, so die Recherchen von Mathias Tietke. Aber auch die von den Nazi-Größen Hitler und Himmler weniger geschätzten Körper-Übungen des Hatha-Yogas sollten zum Teil der Wehrertüchtigung werden.
"Das ist sehr häufig in der Zeitschrift 'Das Reich' oder 'Illustrierter Beobachter' oder 'Völkischer Beobachter', dass dort sehr häufig Wehrmachtsangehörige im Schulterstand stehen. Frauen, die in der Vorbeuge sind oder die Kerze zeigen. Also durchaus in klassischen Yoga-Haltungen. Dass es mehrere Beiträge gab in dieser Zeit, wo indische Yogis, Hatha-Yogis vorgestellt wurden mit Fotos über zwei Zeitungsseiten: Das ist die Art und Weise, wie sich der indische Yogi fokussiert, wie er seinen Körper stählt."

"Es gibt keine Yoga-Kameradschaften"

Körperbeherrschung, Treue und Gefolgschaft bis in den Untergang - und noch darüber hinaus. Nach dem Krieg verlor der Münchner Indologe Wüst zwar seinen Lehrstuhl und konnte seinen früheren Einfluss nicht mehr zurückgewinnen. Der Tübinger Indologe Hauer aber verbreitete - jenseits der Universitäten - noch bis in die 1960er-Jahre seine kruden Thesen über den Yoga weiter.
"Es gibt Neuauflagen seines Buches 'Der Yoga'. Und in diesen Neuauflagen finden sich im Prinzip die gleichen alten Ansichten. Er hat sich nicht die Mühe gegeben, was müsste jetzt vielleicht besser raus. Die arischen Bruderschaften oder das Verständnis des Yoga als der Wille zum Kampf und zur Tat. Nein, er hat diese Dinge einfach beibehalten."
Allerdings ohne größeren Einfluss zu gewinnen. Eine Alt-Nazi-Yoga-Schule konnte sich nach 1945 nicht etablieren. Mathias Tietke will mit seinem Buch nicht nur über die Historie des Yoga aufklären, sondern auch warnen, dass und wie Yoga missbraucht werden kann. Bis heute. Denn die Verbindung mit rechtsextremem Gedankengut gebe es immer noch.
"Also eine braune Yoga-Bewegung nach 1945 ist mir nicht bekannt. Es gibt auch in dem Sinne keine Yoga-Kameradschaften. Gleichwohl gibt es Anhänger dieses Runen-Yoga. Das heißt es gibt nationalsozialistisch orientierte Menschen, die im Kern das vertreten, was Hauer vertreten hat, bis heute. Runen-Yoga, der germanische Yoga, der Raja-Yoga. Aber das sind rudimentäre Erscheinungen. Von Tausenden, die Yoga praktizieren, gibt es so ein oder zwei, die gesagt haben, für mich spielt der arische, germanische Runen-Yoga nach wie vor eine Rolle."
Mathias Tietke: "Yogi Hitler - Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus"
Ludwig 2021 (erscheint am 30.06.2021), 160 Seiten, 17,90 €