Neuer Büchner-Preisträger

"Rainald Goetz ist ein Hochgeschwindigkeitsschreiber"

Schriftsteller Rainald Goetz
Schriftsteller Rainald Goetz © picture alliance / dpa / Daniel Maurer
Jörg Magenau und Kolja Mensing im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 08.07.2015
Der Schriftsteller Rainald Goetz bekommt den Georg-Büchner-Preis 2015. Das teilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt mit. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland.
Der heute 61-jährige Rainald Goetz wurde 1983 mit einer Provokation beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt bekannt. Damals ritzte er sich vor laufenden Kameras mit einer Rasierklinge die Stirn auf, um den Effekt seines literarischen Manifests "Subito" zu erhöhen. Im gleichen Jahr sorgte er mit seinem Debüt "Irre", eine Erzählung aus der Psychiatrie, für Schlagzeilen.
In den 90er-Jahren schrieb Goetz eine Reihe von Texten über Techno und DJ Culture. 1998 veröffentlichte er die Erzählung "Rave" und 1999 sein Internettagebuch "Abfall für alle", das wohl erste literarische Blog in Deutschland mit Eintragungen zur Medien- und Konsumwelt. Im Jahr 2000 erhielt er den Wilhelm-Raabe-Preis des Deutschlandradios. Zuletzt erschien der Roman "Johann Holtrop" (2012), ein Schlüsselroman über den Fall des Topmanagers Thomas Middelhoff. Im gleichen Jahr hielt er im Rahmen der Heiner-Müller-Gastprofessur Poetik-Vorlesungen an der FU Berlin. Goetz lebt in Berlin.

Mehr über den Preisträger: Studio 9 ab 12:07 Uhr, Kompressor um 14:40 Uhr Interview mit DJ Westbam, ab 23:05 Uhr Fazit – Kultur vom Tage.

"Hochgeschwindigkeitsschreiber"
"Ich begrüße die Entscheidung aufs Allerschärfste", lobte Literaturkritiker Jörg Magenau im Deutschlandradio Kultur. Rainald Goetz sei ein "Hochgeschwindigkeitsschreiber" und einer der profiliertesten Autoren Deutschlands, bei dem man schon länger mit dem Preis gerechnet habe. Der Preis mit dem Namen des Schriftstellers und Mediziners Georg Büchner passe auf ihn, wie auf kaum einen anderen. Goetz hatte zunächst kurz als Arzt gearbeitet, den Beruf aber mit Anfang 30 zugunsten der Literatur aufgegeben.
Goetz sei einerseits ein Performer und Kontrollfreak, der auch mal sein eigenes Publikum fotografiere – und andererseits ein stiller Beobachter, der auf Veranstaltungen unentdeckt im Kapuzenshirt mit Notizbuch sitze.
Balzen um die Kanzlerin
Kolja Mensing, Literaturredakteur beim Deutschlandradio, lobte vor allem den Roman "loslabern" (2009). Sehr treffend habe Rainald Goetz hier einen "FAZ"-Kritiker-Empfang mit Angela Merkel eingefangen und die Mechanik der Macht beschrieben. Der letzte Roman "Johann Holtrop" (2012) sei ein sehr glattes Laborexperiment, mit dem Goetz "auf hohem Niveau gescheitert" sei.
Aus der Begründung der Jury:
"Rainald Goetz hat die deutsche Gegenwart der letzten 30 Jahre beschrieben, zur Anschauung und zu Wort kommen lassen, er hat sie gefeiert und verdammt und immer wieder auch mit den Mitteln der Theorie analysiert. Hinter seiner nervösen, gespannten Erfahrungsbereitschaft stehen eine weite Bildung und ein empfindliches historisches Bewusstsein, die seiner Sprache eine Balance von leidenschaftlicher Expressivität, beobachtender Kühle und satirischer Deutlichkeit ermöglichen."
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnet mit dem Georg-Büchner-Preis Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus, "die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben."
Elfriede Jelinek, Heiner Müller und zuletzt Jürgen Becker wurden mit ihm ausgezeichnet. Der Georg-Büchner-Preis wird seit 1951 von der Akademie vergeben. Die Verleihung des Preises ist am 31. Oktober 2015 in Darmstadt vorgesehen.
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