Neuer Bauernpräsident verteidigt die Masttierhaltung

Moderation: Ulrich Ziegler · 11.08.2012
Zehntausende Hähnchen in einem Stall? Umwelt- und Tierschutzverbände kritisieren solche Zustände seit Langem. Doch der neue Bauernpräsident Joachim Rukwied hält die Masttierhaltung für unverzichtbar. Auch den umstrittenen Einsatz von Antibiotika verteidigt der Landwirt.
Deutschlandradio Kultur: Heute mit Joachim Rukwied, Diplom-Agrarwirt, Vater von drei Kindern und seit sieben Wochen neuer Vorsitzender des Deutschen Bauernverbandes. Guten Tag, Herr Rukwied.

Joachim Rukwied: Guten Tag, Herr Ziegler.

Deutschlandradio Kultur: Herr Rukwied, 15 Jahre lang war Gerd Sonnleitner Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Für Journalisten waren es gefühlte 30 Jahre. Jetzt haben Sie das Ruder übernommen. Und 95 % der rund 570 Delegierten haben Ihnen ihr Vertrauen geschenkt. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Joachim Rukwied: Ja, mich reizt daran, mich für die Bauern, für die Bauernfamilien, aber auch insbesondere für den ländlichen Raum einsetzen zu können, dafür kämpfen zu können, dass der ländliche Raum, dass vor allen Dingen die Bauernfamilien in Deutschland eine gute Zukunft haben werden.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt steht im Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland – zugegeben, Ausgabe 2003 - ich zitiere mal: "Das Präsidium und der Präsident des Bauernverbandes kooperieren parteipolitisch ganz eng mit der CDU/CSU. Die Funktionärselite setzt sich deutlich aus ertragsstarken Vollerwerbswirten zusammen." Einer sind Sie wahrscheinlich. "Und die Mehrheit der Bauern hingegen hat kaum Einfluss auf die Verbandspolitik."

Frage an das CDU-Mitglied Rukwied: Stimmt das denn?

Joachim Rukwied: Nein, das stimmt überhaupt nicht.

Deutschlandradio Kultur: Warum schreiben die das dann?

Joachim Rukwied: Ja, das weiß ich auch nicht. Da müssen Sie die, die diesen Unfug geschrieben haben, fragen. Der Bauernverband ist parteipolitisch unabhängig. Ich hab auch keinerlei Funktionen, obwohl ich CDU-Mitglied bin. Das ist meine Privatsache.

Ja, wir üben nicht nur Basisdemokratie, wir praktizieren die. Der Bauernverband ist von unten nach oben aufgebaut. Wir haben Ortsverbände. Wir haben Kreisverbände, dann die Landesverbände und den Deutschen Bauernverband. Und wir beginnen mit der Wahl der Ortsvorsitzenden. Diese wiederum sind die Delegierten zum Kreisverband, die wählen den Kreisvorsitzenden. Jeder Kreis, ich kenne das jetzt aus meinem Landesverband Baden-Württemberg, stellt dann wieder Delegierte zur Landesversammlung. Und diese Delegierten wählen dann die Landespräsidenten. Und genauso haben mich jetzt unsere 570 Delegierten, die sich aus den Landesbauernverbänden bis runter auf Ortsebene rekrutieren, gewählt.

Deutschlandradio Kultur: Aber als Lobbyisten darf ich Sie schon bezeichnen?

Joachim Rukwied: Ich sehe mich in erster Linie als Landwirt, der einen Betrieb bewirtschaftet, der hier die volle Verantwortung trägt und darüber hinaus natürlich mit großem Engagement für den bäuerlichen Berufsstand, für die deutschen Bauernfamilien kämpft.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie von den deutschen Bauernfamilien reden, es sind 300.000 Betriebe, die Sie vertreten in dem Dachverband. Und darunter sind ja ganz unterschiedliche. Da gibt’s Masttierzüchter, die Großbetriebe haben. Auf der anderen Seite gibt es Kleinbauern, die möglicherweise mehr auf Ökologie umstellen. Wie kriegt man denn die Interessen zusammen? Was kann da ein Verband insgesamt für diese Bauern tun?

Joachim Rukwied: Also, über 90 % unserer deutschen Bauern sind freiwillig – und ich betone freiwillig – Mitglied im Deutschen Bauernverband. Das, was Sie dargestellt haben, das entspricht der Situation vor Ort, nämlich, so ist die Landwirtschaft in Deutschland. Wir haben große Betriebe im Norden, im Osten. Wir haben kleine Betriebe im Süden beispielsweise. Wir haben Haupterwerbsbetriebe, Nebenerwerbsbetriebe, Zuerwerbsbetriebe. Wir haben Ackerbauern, Tierhalter, Gemüseproduzenten, Weinerzeuger. Ja, die ganze Palette der deutschen Landwirtschaft vereint sich unter unserem Dach. Und ich denke, das ist auch gut so. Das ist sogar notwendig. Denn nur wenn wir mit einer Stimme sprechen, werden wir politisch Gehör finden. Und es gibt viele Schnittmengen, die die unterschiedlichen Betriebe haben – beispielsweise bei der Sozialpolitik, bei der Steuerpolitik, bei der Umweltpolitik. Und da spielt es keine Rolle, ob ich jetzt im Haupt- oder Nebenerwerb wirtschafte, ob ich einen großen oder einen kleinen Betrieb habe, da sind die Interessen relativ gleich gelagert.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind, das darf man vielleicht so sagen, jemand, der eine große Fläche bewirtschaftet – 300 ha im Kreis Heilbronn, also einer der großen Landwirte, der, wenn ich das richtig gelesen habe, stark auf Effizienz setzt, der sagt, wir müssen effektiv in den Betrieben arbeiten.

Diese ganze Geschichte von Hofladenromantik, etwas Öko, das ist nicht Ihr Ding, oder?

Joachim Rukwied: Nein, das stimmt so überhaupt nicht. Also, ich komm ja, wie Sie richtigerweise gesagt haben, aus der Region Heilbronn. Wir haben zwar, was die Gesamtfläche anbelangt, eine überdurchschnittliche Flächengröße, was aber die Flurstücksgröße betrifft, da wirtschafte ich auch auf 30-Ar-Äckern, also halb so groß wie ein Sportplatz.

Nichtsdestotrotz – unabhängig von der Betriebsgröße – müssen wir Bauern, weil wir eben offene Märkte haben, weil wir im Wettbewerb stehen, natürlich die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit im Auge haben. Und ein Satz zu Ihrer Bemerkung Ökolandbau:

Ökolandbau ist richtigerweise Teil unserer Landwirtschaft. Dazu stehe ich. Die vertrete ich mit. Und die haben ihre Berechtigung, nicht nur in der Nische, auch jetzt mittlerweile im Lebensmitteleinzelhandel.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, denen gehört möglicherweise auch die Zukunft?

Joachim Rukwied: Der gesamten Landwirtschaft gehört die Zukunft. Die Landwirtschaft ist eine der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts. Dies gilt sowohl für die konventionell wirtschaftenden Betriebe als auch für die Ökolandwirtschaft. Und wie sich jetzt das Verhältnis – im Moment haben wir so 95 % normal wirtschaftende Betriebe und 5 % Ökobetriebe -, wie sich dieses Verhältnis verändern wird, ja das hängt letztendlich auch vom Verbraucher ab, von seinem Einkauf.

Deutschlandradio Kultur: Ja, vielleicht nicht nur vom Verbraucher, auch von der Politik beispielsweise. Wenn die Politik entscheidet, man möchte Bio-Ethanol produzieren, die Bauern sollen in der Energiewirtschaft mit beteiligt sein, ist das denn eine Richtung, wo Sie sagen würden als Präsident des Deutschen Bauernverbandes, ja, wir müssen auch diesen Teil beliefern, wenn die Gesellschaft, die Politik das möchte? Oder ist das ein Holzweg?

Joachim Rukwied: Also, eines möchte ich klipp und klar darstellen: Die Landwirtschaft produziert und erzeugt in erster Linie hochwertige, gesunde Lebensmittel. Und das ist unsere Hauptaufgabe. Das war es in der Vergangenheit und das wird’s auch in der Zukunft sein.

Daneben, und da sehe ich uns durchaus in der Lage, gerade auch in Mitteleuropa, in Deutschland, denn wir haben im Gegensatz zu anderen Regionen der Welt gute Voraussetzungen, was die Böden anbelangt und vor allen Dingen, was Wasser, natürliches Wasser, nämlich Regen anbelangt, sehe ich uns durchaus in der Lage, auch den Teil an Bioenergie beizutragen, den die Politik von uns erwartet. Wir nehmen beides an.

Deutschlandradio Kultur: Wie merken Sie das eigentlich, wenn jetzt beispielsweise an der Tankstelle die Verbraucher sagen, nein, dieses E10-Benzin, das wollen wir gar nicht haben? Schlägt sich das auch schon nieder in den Überlegungen der Bauern, die dann sagen, nein, wir kriegen da überhaupt keine Absatzmärkte, das lassen wir lieber?

Joachim Rukwied: Also, der Anteil an E10-Benzin nimmt zu. Ich glaube, das wird ein bisschen überspitzt ausgedrückt. Ich kenne in meinem Umfeld viele Personen, die E10 tanken.

Deutschlandradio Kultur: Herr Rukwied, jetzt könnte es ein Problem geben, wenn man die neuesten Nachrichten liest. Es gibt Ernteausfälle in Russland, in Amerika. Vor allen Dingen Weizen und Mais wird wahrscheinlich weltweit knapp werden. Die Preise steigen schon bereits. Was muss die europäische Agrarpolitik tun, damit sie möglicherweise diese Engpässe auch beliefern kann? Oder geht das uns gar nichts an?

Joachim Rukwied: Nein, wir haben hier einen globalen Markt. Und das Ergebnis dieses globalen Marktes ist im Moment auch das, dass eben die Trockenheit in den Vereinigten Staaten, in der Schwarzmeer-Region natürlich Auswirkungen auf die Preise hat. Nur da möchte ich doch eines klarstellen: Weltweit gesehen geht lediglich 2 % der landwirtschaftlichen Erzeugung auf Ackerflächen in Bioenergie, in Deutschland beispielsweise 5 % in die Richtung Biogasanlage.

Und auf die Frage, was die EU richtigerweise tun kann, eines, und das sage ich in aller Deutlichkeit, von dem Vorschlag, nämlich 7 % der Flächen aus der Produktion zu nehmen, sofort Abstand zu nehmen. Wir brauchen die europäischen Ackerflächen zur Welternährung.

Deutschlandradio Kultur: Sie brauchen aber auch für die städtische Bevölkerung Umwelt, wo sich die Leute erholen können. Und es kann nicht nur sein, dass sie auf riesigen Maisäckern spazieren gehen, sondern sie wollen natürlich auch die Streuobstwiesen. Sie wollen die kleinen Raine. Sie wollen die Artenvielfalt. Wie kriegen Sie das zusammen?

Joachim Rukwied: Genau das Letztere haben wir doch. Wir haben Artenvielfalt. Wir haben Hecken. Wir haben Büsche. Wir haben Fruchtwechsel, ich selbst im Betrieb bau sieben, acht verschiedene Kulturarten im Fruchtwechsel an. Wir haben in vielen Teilen Deutschlands kleinräumige Strukturen. Wir bieten das alles. 30 % aller Ackerflächen sind in Umweltprogramme integriert in Deutschland. Ich glaube, dieser Prozentsatz ist global gesehen der Spitzenwert.

Deutschlandradio Kultur: Dann kehren wir mal ein bisschen vor der eigenen Haustüre. Ilse Aigner, die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, so viel Zeit muss sein, sie hat vergangene Woche von den Konsumenten eine Mentalität des ehrlichen Essens gefordert. Haben Sie gleich verstanden, was sie da meint?

Joachim Rukwied: Ja, da gibt’s verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sie Folgendes gemeint hat: Zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen, die auch immer wieder mit uns diskutiert werden, nämlich der Wunsch nach hochwertigen Lebensmitteln, die wir als deutsche Bauern erzeugen, und dem Einkaufsverhalten, nämlich öfters auch auf den Preis zu schauen, ist eben eine Diskrepanz. Und ich vermute mal, dass sie diesen Punkt damit gemeint hat.

Deutschlandradio Kultur: Ich kann das Problem ein bisschen auflösen. Sie hat nämlich eines gesagt: Der Verbraucher solle sich bewusst ernähren und entsprechend einkaufen – das haben Sie gesagt – und hat hinzugefügt: Dann könnte er auch seinen Beitrag dazu leisten, dass weniger Antibiotika in der Tiermast eingesetzt werde. Können Sie diese Verbindung nachvollziehen?

Joachim Rukwied: Nein, die kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wir setzen Antibiotika nur nach Bedarf ein. Und das müssen wir tun, um die Tiere gesund erhalten zu können beispielsweise, wenn eine bakterielle Infektion da ist.

Der Bauernverband selbst diskutiert dieses Thema intensiv. Und wir haben schon ganz offen klargelegt, dass wir gemeinsam mit der Wissenschaft, mit der Praxis an einer Antibiotika-Minimierungsstrategie arbeiten werden.

Deutschlandradio Kultur: Es wird ja jetzt diese Neufassung eines Arzneimittelgesetztes zur Eindämmung von Antibiotika diskutiert. Und jüngste Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern auch sagen, dass in Mastbetrieben 95 % der Tiere, die dort ihr Leben fristen, leben, wie auch immer, irgendwann Zwangskunde bei der Pharmaindustrie waren. Ist das notwendig? Und ist das der richtige Weg, dass wir – wenn wir so viele Tiere in einem Betrieb haben – gar nicht daran vorbei kommen, sie eben auch medikamentös zu behandeln?

Joachim Rukwied: Also, die Untersuchungsergebnisse, die ich kenne, haben lediglich im Ergebnis, dass Antibiotika eingesetzt wird. Es gibt keinen einzigen schlüssigen Beweis oder Ansatz dafür, dass Antibiotika-Einsatz mit der Anzahl der gehaltenen Tiere korreliert, dass in größeren Beständen mehr ein gesetzt wird. Da brauchen wir ein Monitoring, damit wir auch diese Frage beantworten können. Im Moment ist die komplett offen.

Deutschlandradio Kultur: Also, dieser Vorwurf, der da im Raum steht, Antibiotika würde auch eingesetzt, um Wachstum zu fördern bei Tieren, den halten Sie für haltlos und für ungerecht?

Joachim Rukwied: Der Antibiotika-Einsatz als Wachstumförderer ist in der EU verboten und unsere Bauern halten sich an Gesetze.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal zurück auf Frau Aigner. Wenn sie von dieser Mentalität des ehrlichen Essens spricht und der Verbraucher, der ja letztendlich derjenige ist, der Ihre Produkte abkauft, möglicherweise sagt, ja, wir wollen in die Richtung gehen, macht es dann eigentlich Sinn, in Mastbetriebe zu investieren? Denn möglicherweise produziert er dann Sachen, die irgendwann der Konsument gar nicht mehr haben möchte, wenn das so sich entwickelt, wie sich’s Frau Aigner vorstellt.

Joachim Rukwied: Wenn das sich so entwickelt und diese Entwicklung kann man so mit Sicherheit nicht prognostizieren.
Wir haben in der Landwirtschaft, wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen auch, mittlerweile eine Arbeitsteilung und auch die Notwendigkeit, in größeren Beständen zu produzieren. Und das gilt genauso für den Bio-Sektor. Und auch die Zuwächse, die der Bio-Sektor in den letzten Jahren erzielt hat, sind hauptsächlich über den Lebensmitteleinzelhandel erfolgt. Und wir Landwirte, das haben wir schon immer gemacht, wir passen uns Marktveränderungen an. Die kann ich aber so in der Form im Moment nicht erkennen.

Deutschlandradio Kultur: Im Spiegel diese Woche steht zumindest, dass in Mecklenburg-Vorpommern Großbetriebe versuchen, Masttierhaltung noch mal in einem großen Umfang zu machen – beispielsweise 200.000 Hühner in einem Betrieb, daneben der gleiche noch mal, noch mal mit 200.000. Ist das eigentlich noch zeitgerecht? Oder hat nicht jemand wie Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf recht, der sagt: Nein, das machen wir nicht. Wir machen Neulandprodukte. Wir lassen die Hühner draußen laufen. Und das macht die Sache letztendlich für die Tiere und auch für die Menschen besser.

Joachim Rukwied: Entscheidend ist für mich das Tierwohl. Und das Tierwohl nimmt mit zunehmender Bestandsgröße mit Sicherheit nicht ab – im Gegenteil. Wenn ich als Beispiel jetzt die Milchviehhaltung heranziehen darf, die heutigen modernen Boxenlaufställe mit den Ställen, die wir in den 50er Jahren hatten, vergleiche, obwohl wir heute in diesen Ställen das Zehnfache an Tieren halten, dann sind diese Ställe wesentlich tiergerechter. Die Tiere können sich frei bewegen. Die haben Liegezonen. Da ist irgendwo Stroh eingestreut. Da gibt’s Bürsten, wo sie sich dann kratzen lassen können. Da haben wir vieles, vieles entwickelt. Und wir bleiben ja nicht stehen. Wir arbeiten daran weiter, dieses Tierwohl noch weiter zu verbessern.

Deutschlandradio Kultur: Und dieses Tierwohl von Hühnern ist auch gerechtfertigt, wenn beispielsweise 20.000 in drei, vier Ställen sich bewegen auf enger Fläche?

Joachim Rukwied: Also, ich hab mir jüngst in Baden-Württemberg einen Stall angeguckt bei einem Landwirt, einem Familienbetrieb, der von der Landwirtschaft lebt, 110 ha Ackerland und dann hat er noch 70.000 Masthähnchen in zwei Ställen. Ich hab mir da ein Bild machen können. Ich hatte den Eindruck, dass die Tiere sich absolut wohl fühlen. Das Stallklima war hervorragend. Ich kenn das noch aus den End-60ern. In unserem kleinen Hühnerstall, den wir damals hatten, hat’s mehr gestunken. Da war es feuchter. Das Klima hat sich verbessert.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir mal auf die gesamte europäische Agrarpolitik zu sprechen. Die soll sich noch mal ändern, kleine Änderungen bekommen nach 2013. Das fordert EU-Kommissar Dacian Ciolos. Und er möchte gerne, dass die Agrarpolitik grüner und gerechter wird. Und die Subventionen sollen stärker an Umweltauflagen geknüpft sein.

Ist das eine Richtung, wo Sie sagen, das geht trotzdem, auch wenn die Betriebe effizient arbeiten müssen?

Joachim Rukwied: Also, gerade unsere modernen Produktionsverfahren im Ackerbau, unsere modernen Tierhaltungsverfahren werden meines Erachtens den gesellschaftlichen Anforderungen an Tier- und Umweltschutz ganz besonders gerecht. Wir werden das, was wir in Deutschland federführend, aus meiner Sicht kann man das sehr wohl Greening nennen, bereits in den 80er Jahren auf den Weg gebracht haben, beispielsweise Mulchsaatverfahren, Begrünung nach der Ernte, ich hab die Boxenlaufställe angesprochen, wo sich die Kühe frei bewegen können, das werden wir fortsetzen.

Insofern ist das für mich kein Widerspruch für eine umwelt-, noch umweltgerechtere, naturnahere Landbewirtschaftung und Effizienz. Das kann man miteinander vereinbaren. Und da gibt’s neue Ansätze. Und ich denke, die müssen wir nutzen, beispielsweise die Präzisionslandwirtschaft – GPS-gesteuert. Hier kann ich wesentlich exakter Pflanzenschutzmittel ausbringen. Hier kann ich dann beispielsweise auch die Düngung noch exakter dem Pflanzenbedarf anpassen, indem ich a) Sensoren auf dem Schlepper aufsetze, die den Chlorophyllgehalt messen, gleichzeitig übern Rechenprogramm auch das Ertragspotenzial des Bodens, weil, das ist ja gewaltig unterschiedlich, mit berücksichtigt wird. Und dann kann ich wirklich bedarfsgerecht und der Ertragserwartung entsprechend düngen.

Das sind für mich Zukunftswege, die beidem gerecht werden, nämlich dem Umweltschutz und der Forderung nach einer effizienten Landwirtschaft.

Deutschlandradio Kultur: Ja, das, was Sie beschrieben haben, macht sicherlich Sinn für Großbetriebe. Was macht aber der Kleinbauer im Voralpenland, der an irgendwelchen Hügeln versucht das Gras zu mähen und der eigentlich eher der Landschaftserhalter ist? Der wird doch nicht mit GPS unterstützt versuchen, seine Wiesen zu mähen.

Joachim Rukwied: Also, ich kenne einige Betriebe, jetzt in Baden-Württemberg, das eben meine Heimat, da hab ich viele Kontakte in die praktische Landwirtschaft hinein, und da wird mit GPS gearbeitet. Die drillen den Mais mit GPS. Ich hab einen Kollegen vor kurzem getroffen, der hat jetzt in einen neuen Traktor investiert, der mit GPS ausgerüstet ist. Der sagt, das lege ich an. Das ist für mich ein Weg in Richtung Umweltschutz. Den gehe ich.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt noch ein anderes Problem, was die EU-Agrarpolitik zu verhindern versucht – Sie sicherlich auch. Das ist das Bauernsterben. Viele kleine Landwirte geben auf. Es werden weniger. Jetzt sagt Herr Ciolos: Um das zu verhindern, müssten wir vielleicht auch versuchen, EU-Beihilfen künftig stärker von der Zahl der Mitarbeiter in den Betrieben abhängig zu machen, nicht unbedingt von der Effizienz, damit die Leute auf dem Land Arbeit haben. Und dann bekommen die zusätzliche Förderung.

Ist das auch ein Weg, wo Sie sagen, ja, um zu verhindern, dass wir die Leute auf dem Land verlieren, müssen wir das machen?

Joachim Rukwied: Eines in aller Deutlichkeit: Auch die seitherigen Agrarzahlungen, die aus Brüssel kommen, sind umweltgebunden. Wir haben unzählige Cross-Compliance-belegte Vorschriften im Umweltbereich, im Tierschutzbereich einzuhalten, die weit über die gesetzlichen Vorschriften, den gesetzlichen Rahmen hinausgehen. Auch das ist seither schon Kriterium.

Und nun zu Ihrer Bemerkung Höfesterben: Dieses Wort hab ich noch nie in den Mund genommen als politischer Vertreter der Landwirtschaft.

Deutschlandradio Kultur: Aber wir haben Zahlen.

Joachim Rukwied: Nun ja, dies ist richtig. Wir haben Strukturwandel, Strukturwandel in einer Größenordnung von ungefähr 3 %. Und ich sage eines ganz offen: Solange es sich um einen sozial verträglichen Strukturwandel handelt, gehe ich da mit. Strukturbrüche darf es nicht geben. Die hatten wir bis dato Gott sei Dank nicht.

Deutschlandradio Kultur: Dann werden Sie doch mal konkret, wenn Sie sagen, Strukturbrüche darf es nicht geben. Sie sagen, Sie wollen also, wenn ich das übersetze, verstärkt weiterhin Beihilfen, damit die kleinen Unternehmen weiterhin arbeiten können und einen behutsamen Wandel? Oder was steckt dahinter?

Joachim Rukwied: Nein, wir haben in Europa und insbesondere in Deutschland, auch im globalen Vergleich, die höchsten Auflagen im Umweltbereich, bei Tierschutz, bei den Sozialstandards. Und diese Auflagen sind schlichtweg in der Erzeugung dann, in der Produktion mit höheren Kosten verbunden. Und diese höheren Kosten müssen über EU-Agrarzahlungen zum Teil ausgeglichen werden.

Und eines sag ich auch, ganz bewusst, das füge ich hinzu: Auf der ganzen Welt wird Wirtschaft, nicht nur Landwirtschaft, wird Wirtschaft gefördert über Investitionsbeihilfen. Das machen beispielsweise die Südamerikaner bei der Wirtschaft, bei der Landwirtschaft. Über Versicherungssysteme, das macht man in Nordamerika. Und die EU hat eben den Weg gefunden, gekoppelt an Umweltauflagen, hier Direktzahlungen per Hektar zu leisten.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt’s aber vielleicht ein Problem, europaweit betrachtet. Denn derzeit bekommen, wenn ich das richtig gelesen habe, deutsche und französische Landwirte noch knapp 300 Euro EU-Hilfe pro Hektar, Bauern in Osteuropa dagegen mitunter weniger, deutliche weniger, bis gerade mal 100 Euro. Jetzt sagt Brüssel, das müssen wir gerechter verteilen nach 2013. In der Konsequenz heißt das, einer muss abgeben, damit der andere vielleicht mehr bekommt, weil insgesamt der Topf ja nicht größer wird. Also, das heißt, die deutschen Bauern müssen an der Stelle etwas abgeben.

Joachim Rukwied: Sie haben die erste, so genannte erste Säule angesprochen, die Direktzahlungen. Da gibt es dann noch die zweite Säule, nämlich die Säule der Entwicklung der ländlichen Räume. Und wenn ich da das Beispiel Polen heranziehe: In der ersten Säule bekommen die deutschen Landwirte mehr wie die polnischen Landwirte. Wenn ich aber die erste und zweite Säule, die Landwirtschaft betreffend, in Deutschland zusammenzähle und in Polen zusammenzähle, dann sind wir in etwa auf dem gleichen Niveau. Das mal zu den Fakten, wie sie sich im Moment darstellen.

Deutschlandradio Kultur: Also, da gibt’s keinen Reformbedarf? Die Vorstellungen sind falsch?

Joachim Rukwied: Es herrscht Konsens in der Form, dass auch seitens Deutschlands Bereitschaft signalisiert wurde, zu einer marginalen Umverteilung in der ersten Säule. Und wissen Sie, eines muss ich auch ansprechen, nämlich die unterschiedliche Kaufkraft eines Euros. Ein Euro hier in Stuttgart hat eine deutlich geringere Kaufkraft wie derselbe Euro in Rumänien beispielsweise oder in Polen. Und das muss man berücksichtigen. Und insofern ist die Differenzierung mehr als gerechtfertigt.

Deutschlandradio Kultur: Das gesamte Volumen für die EU-Agrarpolitik soll auch nach 2013 nicht verringert, aber auch nicht erweitert werden. Es wird wahrscheinlich relativ stabil bleiben. Sie als Präsident des Deutschen Bauernverbandes, auf was werden Sie denn besonders achten, wenn es dann noch mal in die Endrunde geht? Sie werden natürlich die Interessen der deutschen Bauern vertreten, aber wie machen Sie das, wenn die Europäer und wenn der EU-Kommissar mit anderen Vorstellungen rankommt? Wie stark ist Ihr Einfluss? Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Joachim Rukwied: Also, im Moment setze ich auf Bundesfinanzminister Schäuble. Er hat sich klar dahingehend ausgesprochen, dass nominal die Zahlungen und das Agrarbudget stabil bleiben. Und was jetzt die Bauernverbände und deren Arbeit anbelangt, gibt es ja den Europäischen Bauernverband, COPA. Da ist mein Vorgänger, Gerd Sonnleitner, ja Präsident. Und ich hab jetzt auch vor zwei Wochen meinen Antrittsbesuch bei meinem französischen Präsidentenkollegen, bei Herrn Beulin, gemacht. Wir versuchen da natürlich uns zusammenzuschließen und dann gemeinsam über COPA mit einer Stimme für die europäischen Bauern zu sprechen.

Und, wissen Sie, das Geld, das die EU hier setzt, ist hervorragend investiertes Geld, nämlich eine Investition in die Zukunft der ländlichen Räume. Und die machen einen Großteil Europas aus.

Deutschlandradio Kultur: Welche Schwerpunkte würden Sie setzen? Wo, würden Sie denn sagen, wo geht die Landwirtschaft in die Zukunft? Was ist ihre Zukunft? Ist sie eher gelb, also marktwirtschaftlich orientiert, oder ist sie eher grün, sprich, stärker ökologisch ausgerichtet – wenn man das in politischen Farben mal betrachten möchte?

Joachim Rukwied: Die Zukunft der Landwirtschaft kann man nicht beschreiben, indem man sagt, die wird jetzt grün sein oder die wird gelb sein. Landwirtschaft ist absolut komplex. Wir werden ökonomische Dinge berücksichtigen müssen, weil die EU den Markt immer weiter öffnet. Und das heißt für uns schlichtweg Wettbewerb. Aber gleichzeitig gibt es eben auch die gesellschaftlichen Anforderungen an uns – beispielsweise im Bereich der Tierhaltung, im Bereich des Umweltschutzes. Und ich glaube, der richtige Weg ist der, dass man die Ökonomie immer berücksichtigt, aber in diese Verfahren eben auch Naturschutz, Tierhaltung, Tierwohl mit integriert.

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