Neuer Ansatz von Stephen Hawking

Schwarze Löcher mit Haaren oder Glatze

Die Illustration zeigt die Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs im Herzen der aktiven Galaxie NGC 3783 im südlichen Sternbild Centaurus (der Zentaur).
In jedem Fall geheimnisvoll, aber hat es auch Haare? Die Illustration zeigt ein Schwarzes Loch im Herzen der aktiven Galaxie NGC 3783 im südlichen Sternbild Centaurus © dpa/ picture alliance / ESO/M. Kornmesser
Von Eva Raisig · 07.04.2016
Stephen Hawking hat vor rund 40 Jahren das so genannte "Informationsparadoxon Schwarzer Löcher" aufgeworfen. Nun schlägt er zusammen mit zwei Kollegen einen Weg vor, wie der damit einhergehende Widerspruch aufgelöst werden könnte. Es um die Frisur der Schwarzen Löcher.
"Can you hear me? - Yes!"
Wie meistens, wenn Stephen Hawking eine Vorlesung hält und gerade nicht zu hören ist, ist es ziemlich still im Saal. Unterbrochen wird die Stille nur manchmal von dem Lachen der Zuhörer, wenn Hawking einen Witz macht, und von dem Piepsen seines Sprachcomputers immer dann, wenn der beinah vollständig gelähmte Physiker ansetzt, um von seinem Lieblingsthema zu sprechen, den Schwarzen Löchern.
"40 years ago I wrote a paper in which I claimed there would be loss of predictability if a black holes evaporates completely ..."
Zuletzt haben Hawking und seine Kollegen diskutiert, ob Schwarze Löcher glatzköpfig sind oder ob sie Haare haben.
Die Antwort auf diese Frisurenfrage könnte den Physikern helfen, einen Widerspruch zu beheben, der ihnen zu schaffen macht, seit Hawking ihn vor 40 Jahren in die Welt gebracht hat: Er hatte entdeckt, dass ein Schwarzes Loch ständig eine feine Strahlung aussendet und deshalb verdampfen kann. Dann aber gingen – und das wäre das Schlimme – auch alle Informationen verloren, die je in das Loch hineingefallen sind.
"If we discover that our laws predict that information is destroyed ... Wenn wir entdecken, dass Information zerstört wird, dann heißt das, dass wir zukünftige Ereignisse nicht vorhersagen können und auch nicht vergangene rekonstruieren."

Unsere Annahme: Die Welt ist deterministisch

Genau auf der Annahme einer deterministischen Welt, sagt Harvard-Physiker Andrew Strominger, beruht aber unsere Physik: Auf der Idee, dass wir bei ausreichenden Informationen von der Gegenwart auf die Zukunft schließen können und prinzipiell auch Dinge rekonstruieren können. Das gilt selbst für informationsreiche Objekte wie Computer oder Bibliotheken, die wir in ein Lagerfeuer schmeißen.
"Rein praktisch betrachtet wärest du natürlich nie in der Lage, aus dem Rauch, der Hitze, dem Licht, aus denen das Feuer besteht, zu rekonstruieren, was du genau hineingeworfen hast. Aber prinzipiell, also nach den physikalischen Gesetzen, die wir verwenden, wäre es möglich – indem du jeden Lichtstrahl und jedes Rauchpartikelchen zurückverfolgst. Es ist eine Frage des Prinzips, keine Frage der praktischen Anwendbarkeit. Und es gibt allen Grund zu der Annahme, dass diese Betrachtung richtig ist – aber eben nur, solange es nicht um ein Schwarze Loch geht: Wenn ein schwarzes Loch auftaucht, dann ist alles möglich! Und das ist das Paradox, an dem wir die letzten vierzig Jahre gearbeitet haben."
Schließlich wäre es zumindest prinzipiell auch denkbar, dass unsere Vorstellung einer deterministischen Welt einfach falsch ist. Zwar hat sie seit ziemlich langer Zeit ziemlich gut funktioniert. Aber es wäre auch nicht das erste Mal, dass die Physik mit grundlegenden Erschütterungen fertig werden müsste – und gerade an der extremen Natur der Schwarzen Löcher ist schon so manche Formel an die Grenze ihrer Belastbarkeit gestoßen.
"Wir können aber nicht einfach unsere Hände heben und sagen, wir haben keine Gesetze, um das Universum zu beschreiben. Wir können nicht einfach alle Physikinstitute schließen, weil es angeblich keine physikalischen Gesetze gibt. Wir brauchen andere Wege, um zu beschreiben, was wir sehen."

Die Physiker diskutieren darüber seit 40 Jahren

40 Jahre lang ist allerdings nichts wirklich Brauchbares auf der Bildfläche aufgetaucht, das die Idee der Zurückverfolgbarkeit und auch Vorhersehbarkeit von Ereignissen hätte ablösen können. Nach und nach fassten die Physiker deshalb immer mehr die Möglichkeit ins Auge, dass an Hawkings ursprünglichen Annahmen etwas nicht stimmen könnte - und sie stellten die Frisurenfrage.
Grundlage der ursprünglichen Argumentation war nämlich auch das "Keine-Haare-Theorem". Schwarze Löcher lassen sich demnach vollständig durch ihre Masse, ihre Ladung und ihren Drehimpuls beschreiben, ansonsten sind sie kahl. Sie haben keine ausgefallenen äußeren Unterscheidungsmerkmale wie unsereiner Frisuren.
"This represents a flaw in the assumptions underlying Hawking's argument from 1974 …"
Diese Annahme in Hawkings ursprünglicher Argumentation sei nicht korrekt, sagt Andrew Strominger. Auch Hawking selbst sieht das heute so. Gemeinsam mit ihm und einem weiteren Kollegen hat Strominger nun eine Idee veröffentlicht, die zeigt: Schwarze Löcher können durchaus Haare haben.
"Was wir zeigen ist, wenn du zum Beispiel einen Computer in ein schwarzes Loch wirfst, dann verändert dieser Computer, also die hineinfallende Information, den Ereignishorizont. Der Ereignishorizont ist gewissermaßen die Grenzfläche des Schwarzen Lochs. In anderen Worten: Die Informationen hinterlassen einen Fingerabdruck auf der Grenzfläche des Schwarzen Lochs, die Information wird quasi aufgezeichnet. Und das nennen wir dann Haare, die ein schwarzes Loch hat."
Die Haare sind also eine Metapher für die Unterscheidbarkeit der Schwarzen Löcher. Die Informationen, die in das Schwarze Loch hineinfallen, pflanzen dem Himmelsobjekt Haare auf das blanke Haupt - abhängig davon, welche Information in das Loch gefallen ist, soll dann die Frisur ausfallen.
Welcher Haartyp es sein muss, das haben die drei Physiker in ihrem Paper präsentiert: Es sollen weiche Haare sein, benannt nach den Photonen und Gravitonen, aus denen das Haar bestehen soll und die wegen ihres Energiezustands weich genannt werden.
Strominger und seine Kollegen konnten zeigen, dass bestimmte Teilchen – also Informationen – die in ein schwarzes Loch hineinfallen, die aus dem Loch entweichende Strahlung verändern.
Aus ihr könnte sich dann herauslesen lassen, welche Teilchen genau die Veränderung hervorgerufen haben - die Information bliebe also erhalten.

Frisurenvielfalt herrscht noch lange nicht

Wirkliche Frisurenvielfalt herrscht damit aber noch lange nicht. Feinere Unterscheidungsmerkmale und ausgefeiltere Ansätze, um die Informationen aus den Haaren zurückzugewinnen, gibt es bis jetzt nicht.
"Es wird Information gespeichert. Wir wissen aber nicht – und wir werden es auch nicht morgen wissen, vielleicht wissen wir es in fünf Jahren, ob wirklich alle einfallenden Informationen gespeichert werden oder nicht."
Es ist also unklar, ob die Schwarzen Löcher überhaupt je zu Bürstenschnitt, Vokuhila und Strähnchen kommen werden. Ob der Ansatz also tatsächlich aussichtsreich ist, um irgendwann das Informationsparadoxon hinter sich zu lassen. Die Physikgemeinde jedenfalls ist sich auch seit der neuen Veröffentlichung nicht einig.
"Ich bin mir nicht mal sicher, ob selbst zwischen uns drei Autoren komplette Einigkeit besteht. Ich bin mir ja nicht einmal sicher, ob ich mit mir selbst übereinstimme darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Idee zu einer vollständigen Lösung des Problems führt. Meine Sicht darauf ändert sich von Tag zu Tag. Aber so ist es eben, wenn du an den Grenzen des Wissens forschst – du weißt einfach nicht, was vor dir liegt."
Stephen Hawking derweil wäre nicht Stephen Hawking, wenn er seinen Zuhörern aus den hochkomplexen Formeln nicht auch gleich ein paar praktische Erkenntnisse für den Alltag mitgeben würde.
"Black Holes are not as black as they were painted, they are not eternal prisons …"
Schwarze Löcher seien nicht so schwarz, wie man sie sich ausgemalt habe und sie seien auch keine ewigen Gefängnisse. Falls man also mal reinfällt: Bitte nicht aufgeben.
"So if you feel you are in a black hole, don't give up – there's a way out."
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