Neue und ungewöhnliche Wege

Von Sigried Wesener · 13.10.2011
Es sind nur vier Buchstaben, die den Grund geben für die Betriebsamkeit, mit der Tausende in den Frankfurter Messehallen unterwegs sind. Vier Buchstaben, die in jedem Herbst eine ganze Branche zur weltgrößten Show zusammenbringen: Buch. Sigried Wesener blickt zurück auf den zweiten Tag.
Das Wort Buch löst Vorstellungen aus, die mit bisherigen Gewohnheiten verknüpft sind, für die es ganze Industriezweige gibt: Papierwerke, Möbelhersteller, Druckereien.

Am Buch orientieren sich auch die elektronischen Medien, allerdings schlagen sie, losgelöst von den bisweilen zu langen Distributionswegen andere Seiten auf. Der Markt, Lesegewohnheiten und Vertriebswege ändern sich. Und die Messe möchte in diesem Run ganz vorn dabei sein: Statt Produkte Plattformen entwickeln, auf denen Content für unterschiedliche Produkte steht. Und der Börsenverein als Vertreter der Verlage und des Buchhandels wägt im Zukunftsspiel Interessen ab, am Nachmittag lud er zu einer Debatte "Wann ist das Buch ein Buch".

Das Prinzip Buch – so der neue sprachliche Ausdruck - spielt damit, dass Inhalte analog und digital verlegt werden. Ihre Gleichstellung ist dennoch bisher nicht garantiert. Kein Widerspruch für Alexander Skipis, Börsenvereinsgeschäftsführer:

"Wir sehen das nicht als Attacke, wir sehen darin weiterhin absolut eine Daseinsberechtigung für Verlage. Wir glauben eher, dass neben dem klassischen Weg, ein Buch zu veröffentlichen, werden mehr und mehr Wege frei links und rechts, die wir natürlich auch besetzen möchten, aber mit dem Preis wollen wir in erster Linie eine Lanze brechen für diesen neuen und innovativen Weg, sein Buch zu veröffentlichen."

Dass an der Diskussion, wann ist das Buch ein Buch im Paschen-Palais auf der Buchmesse, auch mit dem "neuenbuchpreis" ausgezeichnete Autoren teilgenommen haben, kann man zumindest als ein Zeichen sehen. Zu den Stiftern, die sich mit bekannten Publizisten, Literaturargenten und Kritikern verbündet haben, gehört die selfpublishing Plattform epubli. Sie richtet sich an Autoren, die ihre Werke per digitaldruck beziehungsweise als e-book veröffentlichen. Max Franke von epubli:

"Also, ich würde sagen, das ist eine positive Aufregung. In der Tat, es stehen Veränderungen an. Es stehen Veränderungen durchaus auch für manche Brachenteilnehmer zum Nachteil an. Aber es ist immer so, dass, wenn Veränderungen anstehen, eine Beunruhigung da ist. Wir suchen die Chance darin und leisten als Börsenverein als Verband für unsere Mitglieder die Hilfestellungen, um ihnen zu ermöglichen, an diesem Wandel teilnehmen zu können."

Ein Preis will die Aufmerksamkeit der etablierten Bücherwelt gewinnen. Am Abend wurde "derneuebuchpreis" – klein und in einem Wort geschrieben - auf der Agora erstmals in den Kategorien: Belletristik, Sachbuch, Wissenschaft und Buchgestaltung übergeben.

Mehr als 20.000 Stimmen der Web-Community voteten unter anderem für Annette Kautts Abenteuergeschichte – Flupp, für Matthias Matting – Reise nach Fukushima und für eine Lernhilfe, an der 80 Wissenschaftler und Pädagogen aus Deutschland und Österreich über das Web 2.0 mitgewirkt haben. Ein Beispiel für neue, ungewöhnliche Wege, mit denen sich Autoren auf dem Markt behaupten.

Der Draht zur Welt sind im elektronischen Zeitalter Handy, Twitter und Facebook. Für Protagonisten des arabischen Frühlings sorgten sie für Kontakte zu Gleichgesinnten und zur Außenwelt.

Einer der Vorreiter des Aufbruchs ist der 53-jährige Mohamed Hashem. Hashem ist Mitglied der ägyptischen Reformbewegung Kefaya (Es reicht!), er zählt zu den Begründern der ihr angeschlossenen Initiative Schriftsteller und Künstler für den Wandel. Auf einer Pressekonferenz wurde er heute als diesjähriger Träger der Hermann-Kesten-Medaille des deutschen PEN vorgestellt. Hashem gründete 1998 in Kairo den unabhängigen Merit Verlag. Der 53-Jährige, der auch als Autor von Reportagen und Kurzgeschichten bekannt ist, hat an seinem kleinen Stand in der Halle 5.0, umgeben von syrischen, lybischen, marokkanischen Kollegen.

An den Wänden Plakate, die den Aufbruch symbolisieren: ein Mubarak-Porträt mit dem Datum 25. Januar, als er von seinem Thron gestoßen worden ist und daneben ein Flugzeug als Hinweis darauf, dass er endgültig weg ist. Das Shampoo steht für die Selbstreinigung der Gesellschaft, der Kamelkopf als Hoffnung (43), der Granatapfel symbolisiert den Aufbruch als Herzenssache und das Handy mit der Waage die Gerechtigkeit, - zeigt mir Mohamed Hashem. Als ich nach der Ehrung durch den deutschen PEN frage, steigen ihm Tränen in die Augen:

"Der Mann, der ist einfach ganz ruhig geworden, als er die Nachricht bekommen hat, und er hat gedacht an den Moment, als er einfach so festgenommen und geschlagen wurde von den Regierungsanhängern. Und er hat sich gefreut, dass es noch andere Menschen gibt, die ihn tolerieren."

Der kleine zierliche Mann hat selbst unter Mubarak im Gefängnis gesessen. Und verfolgt täglich die Meldungen aus Kairo:

"Ich sehe das einfach mit voller Hoffnung immer noch und sehr stark. Die Menschen haben keine Angst mehr. Es gibt keinen Rassismus gegeneinander. Wir haben von unserer Regierung nur Terror, Angst und Unterdrückung bekommen. Aber keiner von uns hat aufgehört zu träumen vom Recht auf Freiheit."

Plakate statt Büchern. Die wirklich guten Texte über den Tahir sind – so Mohamed Hashem, noch nicht geschrieben. Man hat seinen kleinen, in der Nähe des Tahir Platzes gelegenen Verlag eine Kaaba für die Intellektuellen genannt. Als ich ihn darauf anspreche, sagt er:

"Nach der Revolution sind alle Revolutionäre geworden."

Links bei dradio.de:

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