Neue Synagogen braucht das Land

Von Nikolaus Bernau · 09.11.2011
Mit einem hätte man nach 1945 ganz sicher nicht gerechnet: Dass ausgerechnet Deutschland wieder ein Zentrum jüdischen Lebens werden könnte. Und doch, genau so ist es. So manche Gemeinde, die als unrettbar galt, wie jene in Chemnitz oder Potsdam, erlebt eine Wiedergeburt. Doch gibt es oft keine oder nur viel zu kleine Häuser. Eine Folge der Einwanderungswelle ist also ein regelrechter Bauboom.
In den 1950er-Jahren verkauften die wenigen noch existierenden Jüdischen Gemeinden oder die Sachverwalter ihres Erbes die Ruinengrundstücke. Sie würden, war die weit überwiegende Auffassung, nicht mehr gebraucht, provisorische Unterkünfte genügten, und die Pflege der Holocaust-Überlebenden, die Vorbereitung der Auswanderung nach Israel, die Bildungsarbeit hatten Vorrang. Selten blieben deswegen Neubauten wie die Synagoge in Kassel, die 1965 eingeweiht wurde, ein Bau mit zierlichem Davidsterndekor als Schaufassade, was eine leicht arabisierende Wirkung hat.

Eine alte Tradition wurde damit aufgenommen, im 19. Jahrhundert war die Verwendung von, wie man damals sagte, "maurischen" Dekors im Synagogenbau hoch beliebt. Bis heute ist diese Tradition wirkungskräftig: Die vor einiger Zeit nach den Plänen des Kölner Büros Schmitz Klein in Bochum eingeweihte neue Gemeindehaus, auf den ersten Blick ein streng in der Tradition der Klassischen Moderne stehender Bau mit langgestreckten Fassaden und schmalen Fenstern, ist an jenem Kubus, der den Gebetsraum enthält, mit einem reichen Muster aus ineinander verschränkten Davidsternen geschmückt. Orientalismus könnte man das nennen - oder die Berufung auf die große Zeit des deutschen Reformjudentums im 19. Jahrhundert.

So wie die gezackten, schroff aufsteigenden schwarzen Kristallformen der neuen Synagoge in Mainz, die Manuel Herz entwarf, genau das Gegenteil zu vermitteln scheinen: Den Bruch mit jeder Geschichte, jeder gesellschaftlichen Sicherheit, den der Holocaust eben auch bedeutete. Eine Motivlage, die mit dem Jüdischen Museum von Daniel Libeskind in Berlin vorgeformt wurde und seither immer wieder in Bauten für die Zwecke des neuen jüdischen Lebens auftaucht.

Weit abstrakter arbeitet hingegen das Saarbrücker Büro Wandel Hoefer Lorch mit Motiven, die der jüdischen Tradition oder Geschichtsbetrachtung zugeschrieben werden: In der sensationellen neuen Synagoge in Dresden wurde in den außen leicht verzerrten, weitgehend geschlossenen Kubus des Gebetsraums ein zarter Metallvorhang eingehängt, der an den Vorhang im Jerusalemer Tempel erinnern soll. Im Münchner Gemeindezentrum am Jacobplatz wurde eine regelrechte kleine Stadt entwickelt, verkleidet mit jenem strahlendhellen Kalkstein, der jeden, der einmal dort war, sofort an Jerusalems Stadtmauern erinnert.

Eine dritte Richtung schließlich findet man in den postmodernen Bauten des überaus erfolgreichen Synagogenarchitekten Alfred Jacoby: das Spiel mit Formen, die allenfalls auf den vierten Blick eine Beziehung zur Katastrophe des Judentums haben. Leicht und frisch steigt da ein Türmchen in der Synagoge von Chemnitz auf, zeigt sich die neue Kasseler Synagoge mit gestaffelten Baukörpern. Hier zeigt sich die Architektur einer neuen Gemeinschaft, die aufbrechen will, die das Trauma als Teil der Geschichte begreift, aber nicht mehr als Treibkraft ihres aktuellen Tuns. Der 1950 geborene Wiesbadener Architekt hat auch die neue Synagoge in Speyer entworfen.

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