Neue Platten

Gewummer, freier Atem und Steuermänner

Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger steht am 28.07.2013 auf dem Greenville Festival in Paaren/Glien (Brandenburg) vor den Toren Berlins auf der Bühne.
Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger beim Greenville Festival 2013 © picture-alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Martin Risel · 24.04.2015
Das neue Album "Supermoon" von Sophie Hunger ist für unseren Kritiker Martin Risel wie frische Bergluft. "MG" von Depeche-Mode-Mann Martin L. Gore dagegen empfindet er wie einen Horror-Soundtrack - und auch beim Blur-Comeback "The magic whip" will er erst mal Dampf aus dem Kessel lassen.
Martin L. Gore: "MG"
Dumpfes Gewummer wie bei einem alten "People Are People"-Remix, düster gefärbte Klanglandschaften wie ein Horror-Soundtrack – aber es gibt zu diesen seelenlosen Klängen keinen Film, nur die frustverstopften Synapsen des Martin L. Gore. Wieder und wieder und diesmal direkt nach der jüngsten Depeche-Mode-Welttournee musste der blondeste der blassen Buben aus dem britischen Basildon diese Frusterfahrung machen, eben nicht der Frontmann zu sein. Zog sich in sein Kellerstudio zurück und bastelte an seinem ersten Solo-Album mit eigenen Werken, allesamt instrumental.
Wenn Gore es da mal nicht wummern lässt wie ein 53-Jähriger sich heute harte Technobeats so vorstellt, dann klingt "MG" wie eine schlechte Kopie der Sounds, die Brian Eno damals in den Berliner Hansa-Studios eingespielt hat. Vielleicht hat Martin Gore dort ein paar Klangfetzen gefunden, als später Depeche Mode da waren. Was "MG" fehlt, das ist dieser Tiefgang, Zeitgeist und Zeitlosigkeit eines Eno.
Sophie Hunger: "Supermoon"
Diese Tiefe erreicht Sophie Hunger dagegen fast immer. Geboren zur Hansa-Zeit von Depeche Mode haut das Schweizer Supertalent ein grandioses Album nach dem anderen heraus. "Supermoon" heißt das neue, das die in Berlin lebende Bernerin wieder mal als höchsten Gipfel aus der popmusikalischen Alpen-Offensive herausragen lässt, die da zuletzt aus Österreich und schon länger aus der Schweiz auf uns niederrollt.
Sophie Hunger intoniert das Kaputte und das Schöne, schräge Töne und melancholische Melodien. Genregrenzen sind gesprengt. Musik wie der freie Atem auf 3000 Meter Höhe.
Blur: "The magic whip"
Und dann ist da noch das meisterwartete Album dieser Woche: "The magic whip", das Comeback von Blur. "Ein Triumph" meint das britische Pop-Zentralorgan NME, der Musikexpress schreibt vom "Sensations-Comeback" und fragt: "Hören wir hier die Platte des Jahres?"
Da will ich mal etwas Dampf aus dem Kessel lassen und mich nicht an der Geschichtsverklärung beteiligen, die da jetzt Blur im Nachhinein zur einzig bedeutenden Britpop-Band macht. Oasis waren und sind Geschichte, wiedervereinigt sind schon The Verve, Pulp, Suede - und jetzt eben auch Blur.
Klar, dass deren Sänger-Komponist Damon Albarn inzwischen zum emsigen Pop-Entrepreneur aufgestiegen ist mit den Gorillaz, solo und sowieso, das hört man diesem ersten Blur-Album seit zwölf Jahren überdeutlich an.
Ausgestiegen war damals Gitarrist Graham Coxon. Und ist jetzt zurück im Blur-Boot, ein Vierer mit zwei Steuermännern auf Kurs Richtung – nein, nicht nur Vergangenheit. Auch wenn die Cockney-Chemie wieder zu stimmen scheint – den BritPop der 90er lassen Blur ruhen, mischen verwischte Gitarren-Genialitäten von Coxon mit dem Besten aus Albarns Songwriting-Ideen der letzten Jahre. Und das waren eine ganze Menge.
Die Zukunft höre ich da nicht, aber vieles klingt nach geistreicher Gegenwart einer richtungsweisenden Rockband von heute. Und für die Top Ten des Jahres wird es dann im Dezember für Blur sicher auch reichen.
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