Neue Jugendbücher

Warum wird man Terrorist?

Salafistenprediger Sven Lau wird am 15.12.2015 in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) nach seiner Festnahme zu einem Auto geführt.
Salafistenprediger Sven Lau bei seiner Festnahme in Mönchengladbach; Aufnahme vom 15. Dezember 2015 © picture alliance / dpa / Rene Anhuth/ANC-News
Von Susanne Billig und Kim Kindermann · 23.11.2016
Es ist Alltag in Europa: Mädchen und Jungen ziehen in den Dschihad, den so genannten Heiligen Krieg. Inzwischen gibt es einige, sehr empfehlenswerte Jugendbücher, die die Motive der sich radikalisierenden Heranwachsenden reflektieren.
Laut Verfassungsschutz sind allein im vergangenen Jahr 820 zumeist junge Menschen nach Syrien und in den Irak gereist, um sich einer islamistischen Gruppierung anzuschließen. Gleichzeitig werben über 8000 Salafisten hierzulande für den IS aktiv.
Doch was fasziniert Jugendliche an diesen Bewegungen? Warum wollen sie mitmachen beim sogenannten heiligen Krieg, auch wenn sie sich in tödliche Gefahr begeben? Was reizt sie an den Hass-Parolen? All das sind Themen, mit denen sich auch immer mehr Jungendbücher befassen.

Bücherliste:

Anna Kuschnarowa: Djihad Paradise
Gulliver, Weinheim 2016, 416 Seiten, 8,95 Euro
Antonia Michaelis: Die Attentäter
Oetinger, Hamburg 2016, 448 Seiten, 18,99 Euro
Morton Rhue: Dschihad Online
Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Ravensburger Verlag, Ravensburg 2016
255 Seiten, 14,99 Euro
Benno Köpfer / Peter Mathews: Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten
dtv, München 2016, 340 Seiten, 14,95 Euro
Stephen Davies: Blood&Ink
Aladin, Hamburg 2016, 287 Seiten, 14,95 Euro
Agnes Hammer: Nächster Halt Dschihad
Loewe Taschenbuch Verlag, Bindlach 2016, 160 Seiten, 5,95 Euro
Dominic Musa Schmitz: Ich war ein Salafist - Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt
Econ, Berlin 2016, 256 Seiten, 18 Euro
Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist ein Terrorist?
Übersetzt von Christiane Kayser
Berlin Verlag, Berlin 2016, 128 Seiten, 14 Euro

Auszüge aus dem Gespräch zum Nachlesen:
Joachim Scholl: Wir sind beinahe täglich konfrontiert mit Schreckensnachrichten zum islamistischen Terrorismus. Da geht es um Hass, Gewalt, unvorstellbare Grausamkeiten. Kann das gelingen – Jugendliche in der Literatur an dieses Thema heranzuführen?
Kim Kindermann: Eins der Bücher, das das vorbildlich macht, ist "Djihad Paradise". Da geht es um zwei Jugendliche, sie heißen Romea und Julian. Sie ist die Tochter reicher Eltern, er der Sohn eines Trinkers, der von der Mutter verlassen wurde, die ihn einen Loser schimpft. Und wie diese zwei fühlen, was ihnen wichtig ist und wie sie sich aus unterschiedlichen Gründen immer mehr verlieren und dann schließlich Halt in der Religion suchen – all das ist wird hier großartig individuell geschildert.
Auch wenn es bei mir schon ein bisschen her ist, ich war wieder voll in der Pubertät, während ich das hier gelesen habe. Habe mich erinnert, wie diese Gefühlswelt auf- und abebbt, wie man nach Halt sucht und nach Freunden, wie man sich an den Eltern reibt und wie wichtig die trotzdem sind: einem Halt geben, trotz aller Widerstände. Und das schafft Anna Kuschnarowa großartig. Man kann den Strudel, in den die Jugendlichen geraten, nachvollziehen. Toll auch: Das hier mal ein Mädchen mitmacht, in den anderen Büchern gibt es nur männliche Protagonisten. Zudem ist das noch eine Art Romeo-und-Julia-Geschichte. Passt perfekt.
Auch ziemlich lebensnah ist das Buch "Dschihad online", geschrieben von Morton Rhue. Bei ihm fällt sein Stil sehr positiv auf: kurze Sätze, prägnant formuliert. Die Geschichte zweier ungleicher Brüder geht deswegen auch gut auf.
Scholl: Wie weit gehen die Bücher in ihrer Schilderung des Grauens, das terroristische Akte über andere Menschen bringen?

"Den Jugendlichen wird hier nichts erspart - das geht oft an die Grenze"

Kindermann: Das ist schon ziemlich heftig. In "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" reist Kadir als Kämpfer nach Syrien. Sein bester Freund wird in die Luft gesprengt, er bekommt eine Hinrichtung mit, erlebt die Willkür der Extremisten, trifft in einem Bordell eine gefangene Jesidin. Die ist 15 Jahre jung und wird missbraucht.
Es wird erzählt, wie die jungen Männer gelockt werden, eben auch mit Frauen, und wie sehr man ihnen eintrichtert, sie seien die Auserwählten. Das ist tatsächlich in all den Büchern, die dann irgendwann in Syrien spielen, immer so: Keine Grausamkeit bleibt aus. Das ist auch in "Djihad Paradise" so. Den Jugendlichen wird hier nichts erspart. Das geht oft an die Grenze. Auch in "Blood &Ink". Das Buch spielt in Timbuktu, als der IS die Kontrolle übernimmt und alles verbietet: Musik, Bücher, Rauchen, Reden, Radio hören. Auch das, das wir schnell klar, ist Terror.
Scholl: Sie sagten vorhin, diese Bücher versetzen sich in die Welt der Jugendlichen hinein. Dennoch muss es ja auch eine Grenze des Verständnisses geben – den Punkt, an dem auch ein Jugendlicher sagen muss: "Ich mache nicht mit, ich steige aus". Steigen die Figuren in diesen Romanen aus? Oder gehen sie bis zum Äußersten?
Kindermann: Das ist unterschiedlich. Da gibt es die Jungen, die dann mit Sprengstoffgürtel um den Bauch in Berlin stehen, um sich in der Weihnachtszeit in die Luft zu sprengen, - oder vor einem Fußballstadion, einer Polizeiwache. Oder die ihre Liebsten verraten an die Islamisten. Das ist das eine. Dabei wird deutlich, wie schwer das ist, sich diesem Sog zu entziehen, nicht mitzumachen, denn jede Form von Widerspruch wird mit Verstoß geächtet. Romea aus "Djihad Paradise" etwa bleibt - obwohl sie konvertiert ist- kritisch, und das kommt gar nicht gut an: Sie muss die Moschee verlassen. Wird eine Ausgestoßene.
Scholl: Bleiben wir noch einen Moment bei den Romanen: Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass diese Bücher sich recht ähnlich sind und ein ähnliches Grundprinzip bedienen. Ist das so, oder täuscht mich mein Eindruck?

"Junger Mann, frustriert, einsam, aus schwierigen Lebensumständen"

Kindermann: Das stimmt, das Muster ist immer gleich: Junger Mann, frustriert, einsam, aus schwierigen Lebensumständen, gerät in die Fänge der Islamisten, weil er Halt und Anerkennung sucht und auch Rache will für die Erniedrigungen, die er vermeintlich erfahren hat. Und selbst wenn die Frauenfiguren ein wenig anders gestrickt sind, gibt es bei ihnen auch Überschneidungen: Sie geraten oft an die falsche Freundin, die ihnen Nähe vorgaukelt und sie eigentlich indoktriniert.
Aber lassen Sie uns ruhig auf der Ebene des Büchermachens bleiben: Literatur muss ja individuelle Verläufe erzählen, packende Figuren, um die Leser mitzunehmen, zu erreichen. Gelingt das nicht, dann wirken sie schematisch, konstruiert und wollen zu viel: "Kadir" ist so ein Beispiel. Das ist zu viel drin, zu viel Info. Da hätten die Autoren besser ein gutes Jugend-Sachbuch geschrieben, denn die fehlen fast völlig in diesem Themenbereich noch.
Scholl: Es wird ja sicherlich noch weitere Bücher zu diesem brandaktuellen Thema geben: Was kann Literatur leisten, um Fundamentalismus, Abgleiten in Terrorismus, für Jugendliche zum Thema zu machen?
Natürlich lernt man durch das Lesen der Geschichten viel: Die Spannung am Anfang, das ist der Kick. Den es braucht es, um in die Geschichte reinzukommen, wie bei jedem guten Krimi – denn im besten Fall steckt dahinter dann der eigentliche Kern: Wer bist du selbst? Wie fühlst du dich? Was denkst du? Spricht dich die Geschichte an? Was kannst du tun, um nicht in denselben Kreis zu geraten? All so was. Die Kids erwerben Sachwissen, auch indem sie die typischen "verführerischen" Situationen kennenlernen. Sie lernen: Kritisch bleiben!
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