Fotoausstellung über Subkultur der 80er

Die Rebellen der Lower East Side

Der amerikanische Fotograf Ken Schles posiert im "Haus der Photographie" in den Deichtorhallen vor seinen Bildern.
Der US-Fotograf Ken Schles: Chronist der Hausbesetzer- und Schwulenszene New Yorks. © dpa/Daniel Bockwoldt
Von Anette Schneider · 09.05.2016
Raus aus der spießigen Enge der Reagan-Ära, rein in die verfallenden Häuser der Lower East Side: Eine Ausstellung im Hamburger Haus der Photographie zeigt Bilder aus dem New York der 80er - die Zeit von Punkrock, Rap und Street-Art, von Hausbesetzer- und Schwulenbewegung. Mit Fotos von Ken Schles, Miron Zownir und Jeffrey Silverthorne.
In grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen sieht man junge Leute beim Feiern: Sie hocken in heruntergekommenen Wohnungen und Innenhöfen. Sie tanzen bei Kerzenlicht, trinken, liegen high auf dem Boden.
Die Aufnahmen stammen von Ken Schles, der Anfang der 80er-Jahre mit einigen Freunden in die Lower East Side zog: raus aus der spießigen Enge der Reagan-Ära, rein in das verfallende Viertel. In heruntergekommenen Straßenzügen besetzten sie einige Häuser und schufen sich ihre eigene Welt. Kurator Ingo Taubhorn:
"Dort war er Teil dieser Gesellschaft, aber auch gleichzeitig Chronist, weil er sich in einer bestimmten Distanz halt auch zurückgenommen hat und die Kamera darauf gerichtet hat. Er hat über zehn Jahre diese Gesellschaft beobachtet und auch deren Veränderungen fotografisch dokumentiert."

Es ist die Zeit von Punkrock und Rap, Hausbesetzer- und Schwulenbewegung, von Street-Art. Junge Menschen stehen auf der Straße beisammen und diskutieren. Sie spielen in einem Kellerraum Theater. Ein Mädchen zeigt ironisch ihren zerrissenen Nylonstrumpf. Jedes Bild ist ein politisches Statement gegen das bürgerliche Establishment: gegen Anpassung und Kommerz, gegen den täglichen Gang ins Büro und angesagte Kleidung. Lieber lebt man von der Hand in den Mund und macht dafür, was einem wichtig ist.

Erwachtes Selbstbewusstsein von Schwulen

"Klar, und aus der Perspektive heute fragt man sich: Wo ist denn heute die Bewegung? Und wie lebt heute die junge Generation?"
Geschminkte Gesichter, verkleidete Körper, Rollenspiele: Jeffrey Silverthorne fotografierte bereits in den 70er-Jahren Transvestiten und Transsexuelle. Von der bürgerlichen Gesellschaft ausgegrenzt, war ihr öffentliches Auftreten ein mutiges politisches Statement.
Nackte Schwänze. Weiße und Schwarze, beim Freestyle-Sex vor alten Lagerhallen am Hudson-River - fotografiert von Miron Zownir, Anfang der 80er-Jahre. Zownir erinnert sich:
"Das war so, dass die Leute hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt waren. Oder auch einen ganz starken exhibitionistischen Drang hatten und nicht davon ausgingen, dass es zwei Stunden später im Internet erscheint."
In seinen New-York-Bildern zeigt Zownir das erwachte Selbstbewusstsein von Schwulen, Transen und Dragqueens.
"Die Stadt ist damals explodiert. Die Schwulenbewegung hat sich emanzipiert. Transen, die hauptsächlich aus den ärmeren Ecken kamen, - das waren ja nicht irgendwie Night-Club-Transen, sondern Transen, die sich dann auch prostituiert haben, die fast alle unter Drogen waren -, die wurden ja in ihrer eigenen Umgebung diskriminiert, auch in ihrer Familie."

Der heute 62-jährige Fotograf zeigt auch die Brutalität der Städte. In New York, Berlin und Moskau fotografierte er zusammengeschlagene Obdachlose, gewaltsame Polizeirazzien gegen Schwule, Tote auf der Straße.
Die drei Blicke auf die Subkulturen der 80er-Jahre sind heute auch historische Dokumente, anregende Dokumente: Sie erinnern an gesellschaftliche Ausbruchsversuche, an erkämpfte Freiräume, gelebte Alternativen. Sie machen bewusst, das anderes möglich ist, als das Vorherrschende.

Einzug der Edelgaleristen und Geschäftemacher

In den 80er-Jahren etwa waren es Millionen Menschen, die sich in in Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung, Frauen- und Schwulenbewegung, Hausbesetzer- und Punk-Szene gegen die neoliberale Politik von Thatcher, Reagan und Kohl engagierten. Ingo Taubhorn, Fotograf, Leiter des Hauses der Photographie und Lehrer vieler junger Studierender:
"Wenn ich in der Hochschulen bin und durch diese Hochschulen gehe, dann bin ich manchmal geneigt, den Studenten eine Sprühdose in die Hand zu drücken, weil ich ihnen sage, dass sie sich mal auszutoben haben und nicht einfach in einem unglaublichgeleckten Umfeld kreativ sein zu wollen!"
Auch solche Fragen provozieren die Bilder: Was ist heute anders als damals? Warum herrscht heute diese Grabesstille?
Ein Grund sieht man auf den späten Bildern von Ken Schles: Ende der 80er-Jahre wurden die Aussteiger der Lower East Side von Edelgaleristen, Geschäftemachern und Bauspekulanten vertrieben. Mit der neoliberalen Politik wurden und werden erkämpfte gesellschaftliche Freiräume privatisiert und dem Profitinteresse Weniger unterworfen: alternative Wohnprojekte, Öko-Bewegung, Musik-Szene, alles Widerspenstige und Unangepasste wird aufgesogen und zu Geld gemacht.
"Das ist in Bahnen gelenkt worden. Das ist kommerzialisiert. Das ist in gewisser Weise für eine Gesellschaft zubereitet und bietet eigentlich keine anarchischen Momente mehr."
Mehr zum Thema