Neue Dramatik

Feuer frei! - Aufs Publikum!

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Laura Naumann (3. Person von links), hier bei Proben, überzeugt Kritiker und Publikum © dpa picture alliance / Horst Ossinger
Von Stefan Keim · 13.03.2014
Laura Naumann erobert mit ihrem Stück "Demut vor deinen Taten, Baby" nicht nur die Bühne in Bochum - sie sorgt in der Theaterwelt für Aufregung. Und dabei ist jeder ihrer Texte ein neuer Anfang.
Die Bombe tickt. Sie ist am Körper eines Professors fest geschnallt, der eine bedeutende Entdeckung gemacht hat. Die Zuschauer in der Performance "15 000 Gray" werden zu Spielern. Wir müssen Aufgaben lösen, Hinweise finden und richtig deuten, die Katastrophe verhindern.
In einem Computerspiel müsste man auf Icons klicken, im Theaterraum geschieht alles haptisch, körperlich, im direkten Kontakt mit den Performern, die sich wie Figuren in einem Game verhalten. Nur wenn man die richtigen Codes weiß, kommt man weiter. Manchmal helfen sie einem allerdings ein bisschen, wenn man ganz von der Spur abgewichen ist. In diesem Kollektiv, das "machina eX" heißt, spielt eine der interessantesten jungen Dramatikerinnen mit: Laura Naumann.
Ein rauer Text, ein witziger Tonfall - beides begeistert
"Ich wollte immer schreiben", sagt die 22jährige, "das kommt aus mir heraus. Performerin bin ich so geworden. Manchmal finde ich, das ist der geilste Job der Welt, manchmal sitze ich vor Aufführungen da und finde das alles etwas komisch." Vielleicht ist Laura Naumann eine Theaterautorin neuen Typs, flexibel, offen für die verschiedensten Formen, nah dran an der Theaterpraxis.
Schon vor vier Jahren war sie zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen; seitdem hat sie an einigen Autorenlaboren teilgenommen und Förderpreise gekriegt. Ihr Stück "Demut vor deinen Taten Baby" wird nach der Uraufführung in Bielefeld am Burgtheater Wien und in Braunschweig nachgespielt. Zu Recht, denn der raue, witzige Tonfall des Textes begeistert.
Sie stürmen die Bühne und schießen mit scharfen Sätzen. Drei Frauen rotzen ihre Schicksale heraus. Lore taumelt durch die Welt und hat eine Riesenwut in sich aufgestaut. Bettie nennt ihren Lebensgefährten "Junge" und nimmt es hin, dass er zu Pornofilmen onaniert. Und Mia träumt sich in eine Westernwelt, in der sie ein Cowboy ist und ein sprechendes Pferd reitet. Hart, direkt und ganz ohne Selbstmitleid gehen die drei miteinander und dem Publikum um.
Ein herrenloser Koffer auf dem Damenklo
Weniger als eine Stunde dauert die Uraufführung im "TAM zwei" des Theaters Bielefeld. Und doch packt Laura Naumann eine Menge Handlung und Situationen in ihren pointierten, tempogeladenen Text. Die drei Frauen lernen sich auf der Toilette eines Flughafens kennen. Sie sitzen in ihren Kabinen, als plötzlich Alarm ausgelöst wird. Ein herrenloser Koffer auf dem Damenklo - das ist schon sprachlich eine Absurdität. Der Flughafen wird geräumt, das Trio muss sitzen bleiben. Sie haben Angst, knien sich auf den Boden und halten sich durch die Öffnungen zwischen den Kabinen an den Händen. Ein tolles, seltsames, gefühlvolles Bild. Der Beginn einer Schicksalsgemeinschaft.
Die bleiben zusammen und bilden eine Spaßguerilla. Die Frauen überfallen Clubs und einen Supermarkt, ballern mit Platzpatronen herum, nehmen Geiseln. Damit geben sie weiter, was sie selbst erfahren haben. Durch das Erlebnis von Todesangst fühlen sich die Menschen befreit. Bald wird das Trio von der Wirtschaft gesponsert, weil die Aktionen die Konsumfreude anstacheln. Doch als die drei zu erfolgreich werden, die Leute nicht mehr arbeiten und ihre Versicherungen kündigen, gefährden sie das System.
Wie sich die drei eine rasante Mischung aus Prosa- und Dialogsätzen um die Ohren hauen, erinnert ein bisschen an René Pollesch. Ein Vorbild für den Plot könnte Ridley Scotts Frauen-Roadmovie "Thelma & Louise" gewesen sein. Doch Laura Naumann ist vor allem eine frische, eigenständige Stimme in der jungen Dramatik. Neben dem hohen Unterhaltungspotential enthält "Demut vor deinen Taten Baby" auch einen bösen Blick auf die Generation der Zwanzigjährigen. Denn politisches Bewusstsein haben die drei Spaßterroristinnen nicht. Dass sie plötzlich vom kapitalistischen System aufgesaugt werden und Konsumbeschleuniger sein sollen, macht ihnen überhaupt keine Sorgen.
Oft suchen die Regisseure bei Uraufführungen neuer Stücke nach abstrahierenden Formen und Spielweisen. Kaum jemand vertraut einem Text. Deshalb ist die Leistung der Regisseurin Babett Grube hoch einzuschätzen. Denn sie verzichtet auf überflüssigen Schnickschnack und inszeniert ein kraftvolles, explosives Textfeuerwerk. Isabell Giebler, Christina Huckle und Ann Kathrin Doerig zeichnen ihre Charaktere mit schroffen, klaren Strichen und feuern dem Publikum ein Rockkonzert aus Sprache um die Ohren. Krass, laut, brodelnd. Wer nicht mehr jung ist, fühlt sich wieder so während dieser starken Theaterstunde.
Fast immer sind Jugendliche die Helden
Laura Naumann schreibt selten, aber dann schnell. "Es sind immer lange Phasen", erzählt sie, "bis das Schreiben beginnt. Und dann produziere ich einen Wust an Material, durch den ich mich erst mal wieder durcharbeiten muss." Die Stücke haben viel Handlung, es passiert eine Menge, dabei gibt es oft überraschende Wendungen. "Das ist nicht alles vorher konzipiert, vieles passiert spontan beim Schreiben." Bisher sind fast immer Jugendliche die Helden, die in Ermangelung eines schöneren Treffpunktes auf einem Hügel in tiefster Provinzverlorenheit nach Zukunftsentwürfen suchenden Kids wie in "süßer vogel undsoweiter".
Schon der Titel zeigt, dass Laura Naumann die literarischen Vorbilder gut kennt und sie mit heutigem Lebensgefühl neu füllt oder auch demontiert. Ihr neuestes, noch zur Uraufführung freies Stück "zwischen den Dingen sind wir sicher" spielt in einer postapokalyptischen Welt, wie sie aus den "Mad Max"-Filmen oder dem Roman "The Road" von Cormac McCarthy kennen. Drei Geschwister leben ohne Eltern- die Mutter ist gestorben, der Vater abgehauen - in einer zerstörten, verwahrlosten Siedlung. Sie sammeln und klauen Nahrung sowie alles Material, das sie für den Schutzwall brauchen können, den sie um ihr Haus gezogen haben. Zwischen Müll, Plastik, Krempel, allen möglichen Dingen leben sie, während draußen manchmal Soldaten patrouillieren und sich im Hafen eine Gang gebildet hat. Wer von ihnen die größere Bedrohung darstellt, ist nicht überschaubar.
Ein harter, gnadenloser Tonfall
"Zwischen den Dingen sind wir sicher" hat einen ähnlich harten, gnadenlosen Tonfall wie "Demut vor deinen Taten Baby". Aber sonst ist es ein völlig anderer Theatertext, nicht für den Blickkontakt mit dem Publikum geschrieben, sondern eine dichte, traurige Beschwörung des Verfalls. Der jüngste von den drei Geschwistern erzählt immer, wenn er die Welt um sich herum nicht mehr aushält, das Märchen von einem Jungen, der durch die Berührung eines Schwans selbst zum Schwan wird. Er beruhigt sich durch die Fantasie, dass er nicht immer Mensch bleiben muss. Den ohne Punkt und Komma durchweg klein geschriebenen Text kann man sich ebenso als Drehbuchvorlage für einen Independentfilm wie als pure Sprechperformance vorstellen, bei der die Bilder im Kopf entstehen.
Laura Naumann hat keinen Ehrgeiz, sich zu einer Autorenmarke zu entwickeln, bei der man weiß, wofür sie steht. Jeder Text ist ein neuer Anfang. Ihr Studium des kreativen Schreibens und des Kulturjournalismus an der Uni Hildesheim ist so gut wie beendet. Über Karriereplanung macht sie sich nicht so viele Gedanken. Auch wenn "Demut" gerade gut ankommt. "Man weiß ja nie, wie lange so was hält." Sie arbeitet weiter mit "Machina eX", wo sie im Team die Konzepte mitschreibt. "Das ist so ähnlich wie die Entwicklung einer Serie." Eine vielseitige, sprachlich enorm begabte Autorin, die Lust auf packende Geschichten hat.
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