Neuauflage

Ein Roman wie ein Film

Besprochen von Stefan May · 04.12.2013
Graham Greene, 1904 in Großbritannien geboren, schrieb zahlreiche Romane, die weltbekannt wurden. In diesem hier geht es um die Rivalität zweier Männer, aber auch um die Rolle der Amerikaner im Vietnam-Krieg. Schon nach wenigen Seiten liest sich der Roman wie ein Film.
Zwei vollkommen unterschiedliche Charaktere begegnen einander während des Indochina-Krieges Anfang der 50er-Jahre in Saigon: Der bis zum Zynismus abgeklärte Ich-Erzähler, der britische Schriftsteller Thomas Fowler, und der junge US-Amerikaner Alden Pyle, der soeben vollgepumpt mit angelesener Theorie über Nation und Demokratie ins Land kommt, vorgeblich um medizinische Produkte einzuführen.
Fowler kennt Vietnam bereits lange, seit Jahren schreibt er Reportagen für eine britische Zeitung. Ihm ist das schüchterne, wohlerzogene Greenhorn aus Boston von Anfang an sympathisch und bleibt es selbst dann noch, als Pyle dem Älteren ganz unverfroren dessen Geliebte, die einheimische Tänzerin Phuong, ausspannt.
Graham Greene schildert im Roman einen Konflikt auf zwei Ebenen. Zum einen geht es um die Rivalität zweier Männer: Der eine beseelt von romantischen Ideen, der andere in emotionaler Distanz und doch steter Angst vor der Einsamkeit des Alters. Im Hintergrund der Dreiecksbeziehung steht die Auseinandersetzung Alt gegen Jung.
Zum anderen geht es um den Krieg in Vietnam, um die Brutalität, mit der er zwischen der früheren Kolonialmacht Frankreich und den kommunistischen Kämpfern, aber auch kleinen sektiererischen Gruppen geführt wird. Hinzu kommen die Amerikaner, die ein eigenes Spiel, und auch dies keineswegs unblutig, betreiben. Dies weiß Fowler, bald aber auch, dass der unbeholfene junge Mann, nicht gar so unschuldig ist, wie er ihn eingeschätzt hat. Diesen "stillen Amerikaner" schließt man trotz seiner Artigkeit nicht ins Herz. Und auch die übrigen Amerikaner des Buches kommen nicht sympathisch weg, sondern bestätigen das Klischee einer in fremde Länder platzenden ignoranten Großmacht: Ungehobelt, undiplomatisch, überheblich.
Ein Geheimdienstagent nahm Einfluss auf die Verfilmung
Kein Wunder, dass ein hoher US-Geheimdienstagent in Vietnam, von dem manche meinen, er sei das Vorbild für den stillen Amerikaner gewesen, die Verfilmung des Romans erfolgreich dahingehend beeinflusste, dass Pyle positiv und Fowler negativ gezeichnet wurden, weshalb Greene später von einem "Propagandafilm für Amerika" sprach. Eine Neuverfilmung vor wenigen Jahren hat sich stärker am Roman orientiert.
Schon nach wenigen Seiten liest sich der Roman wie ein Film, Greene schreibt Bilderfolgen. Was umso erstaunlicher ist, als er mit Beschreibungen sparsam umgeht. Es ist wie beim Kochen: Greene schafft exakt die richtige Mischung aller Zutaten, um ein stimmiges Gericht zuzubereiten. Er benötigt keine seitenlangen Orts- oder Wetterbeschreibungen, um Spannung zu halten, malt nicht umständlich Gesichter oder Charaktere – ihm genügen wenige Worte, um eine Situation darzustellen.
Hinzu kommen Greenes immer wieder köstliche Dialoge voll trockenem Humor. Die Neuübersetzung gibt dem Text frischen Schwung - wenngleich nicht unbedingt eine Wendung wie "vor Ort" Eingang in die aktuelle Fassung finden müsste.
Insgesamt war die Neuauflage des "stillen Amerikaners" eine gute Entscheidung, weil die Grundmuster aktuell geblieben sind: Am Verhalten der USA in fremden Staaten hat sich ebenso wenig geändert wie an jenem entwickelter Nationen gegenüber weniger entwickelten generell. Auch Fowlers uneingestandene Suche nach Geborgenheit und Glück und seine dem entgegenstehende permanente Flucht davor sowie das Leiden am eigenen Altern bleiben Themen über die Zeit.
Letztlich ist es eine Begegnung mit einem genialen Schriftsteller, der nicht nur großartig Geschichten komponieren, sondern auch souverän mit Sprache umgehen kann. Graham Greene zu lesen ist immer ein Gewinn. "Der stille Amerikaner" wurde von Nikolaus Stingl übersetzt.

Graham Greene: Der stille Amerikaner

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013

256 Seiten, 19,90 Euro