Neu im Kino: "Von Glücklichen Schafen"

Universelles Schicksal einer Kleinfamilie

Happy Familiy: Can (Jascha Baum) , Elmas ( Narges Rashidi) und Sevgi (Marlene Metternich) bei einem unbeschwerten Familienausflug. Szene aus aus dem Film "Von glücklichen Schafen" von Kadir Sözen.
Ein unbeschwerter Moment in "Von glücklichen Schafen": Can, Elmas und Sevgi machen einen Familienausflug. © Bernd Spauke / Filmfabrik / Via Berlin
Kadir Sözen im Gespräch mit Susanne Burg · 21.03.2015
Ein Film über Liebe, Sprachlosigkeit und Sex. In "Von Glücklichen Schafen" will der Regisseur Kadir Sözen das Schicksal einer modernen Familie in Deutschland erzählen – mit allen Problemen. Die kulturelle Herkunft seiner Hauptfiguren habe er dabei ausgeblendet.
Susanne Burg: Eine Mutter liegt im Bett und liest ihrer Tochter eine Geschichte vor. Der halbwüchsige Sohn hat Geburtstag und bläst die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen aus. Und wir erfahren, dass die Mutter im Krankenhaus arbeitet. Es ist das Bild einer bürgerlichen Kleinfamilie, das der Film "Von glücklichen Schafen" anfangs entwirft. Dann allerdings kommt mit einem Schlag die Entdeckung, die alles ändert: Can stellt fest, dass seine Mutter eigentlich als Prostituierte arbeitet. Alles bricht zusammen in der Welt von Can. Jeder Versuch von Elmas, der Mutter, mit Can zu reden, scheitert.
O-Ton Film: "Can, kann ich mit dir reden? Du hast ja recht, wenn du mich hasst. Lass uns nur kurz reden! Ich weiß, du hast ein großes Herz!"
"Einen Scheiß weißt du!"
"Du bist nicht ... Ich habe das doch nur für uns gemacht, aber ..."
"Für uns? Du hast meine Mutter genommen, du Fotze!"
"Aber deine Mutter ist doch hier! Schau mich an, schau mich an, ich bin doch hier!"
Burg: Can nimmt seine kleine Schwester und zieht zum Opa. Er will Rache üben, er will seine Mutter umbringen. Elmas kündigt zwar ihren Job im Bordell, aber das Unglück nimmt seinen Lauf. Unaufgeregt, aber eindrücklich erzählt der Film diese Geschichte. Verantwortlich dafür ist der Drehbuchautor und Regisseur Kadir Sözen, guten Tag!
Kadir Sözen: Guten Tag, hallo!
Burg: Das, was Sie so wunderbar erzählen, ist auch die Schwierigkeit der beiden, Mutter und Sohn, miteinander zu reden, nachdem Can herausfindet, dass seine Mutter als Prostituierte arbeitet. Was macht das Reden so schwer?
"Eine Tragik, die über drei Generationen geht"
Sözen: Na ja, die Kommunikation ist schon ein schwieriges Problem innerhalb der Familie, die Sprachlosigkeit, viele Sachen im Verborgenen zu behalten. Das hat die Mutter mit ihrem Sohn genauso wie die Mutter mit ihrem Vater, also eine Tragik, die über drei Generationen eigentlich geht.
Burg: Can weiß, als er das erfährt, gar nicht, wohin mit seinem Problem. Er wirkt zwischenzeitlich, finde ich, nicht wirklich sympathisch in der Radikalität, mit der er jegliche Kommunikation verweigert und, wenn er angesprochen wird, nur aggressiv reagiert. Sie haben ja auch das Drehbuch geschrieben, wie sehr mögen Sie die Figur des Can?
Sözen: Oh, ich liebe die Figur von Can, ich kann ihn auch sehr gut nachvollziehen. Aber Sie haben recht, er ist natürlich in dieser Phase unsympathisch, weil er auch nicht klar denken kann. Er ist komplett neben der Spur. Man muss sich vorstellen, das ist ein Jugendlicher in der Pubertät und erfährt, dass seine Mutter als Prostituierte arbeitet, und seine Welt, seine heile Welt bricht in sich zusammen. Er kann einfach nicht mehr klar denken. Und das verleitet oder das bringt ihn natürlich auch dazu, viele Sachen zu machen, die er normalerweise vermutlich nicht machen würde. Und in dieser Phase ist er auch natürlich unsympathisch.
Burg: Es ist ja eine türkischstämmige Familie mit ihrem Schicksal. Inwieweit wollten Sie auch eine Geschichte erzählen, die in diese Community gehört?
Sözen: Eigentlich gar nicht. Eigentlich hat mich beim Schreiben des Drehbuchs nicht interessiert, woher die Familie kommt, ich glaube sogar, das ist eine universelle Geschichte. Es geht um eine alleinerziehende Mutter, die mit zwei Kindern versucht, das Leben zu meistern. Ich habe eigentlich versucht, diesen Migrationshintergrund, die Herkunft der Familie auszublenden. Wir sehen natürlich, dass es eine Familie mit türkischer Herkunft ist, aber es spielt keine große Rolle. Es wird nicht thematisiert in dem Film. Und das war mir auch sehr wichtig, weil ich eben nicht die Migrationsgeschichte erzählen wollte, sondern ich wollte ein Schicksal einer modernen, offenen Familie in Deutschland, in diesem Fall in Köln erzählen.
Burg: Prostituierte kämpfen ja seit Jahren um Anerkennung und um Rechte. Sie sind mehr in der Öffentlichkeit auch. Wie tabuisiert ist das Thema Prostitution in Deutschland aus Ihrer Sicht?
"Es geht um ein Familienschicksal"
Sözen: Na ja, es ist schon sehr tabuisiert. Ich glaube sogar, dass in der türkischen Gemeinschaft dieses Tabu noch viel, viel größer, viel, viel extremer ist als in der deutschen Öffentlichkeit. Aber ich wollte dem auch ein bisschen entgegenwirken, ich wollte aus der Prostitution eigentlich auch kein großes Thema machen. Es ist beiläufig, es spielt keine große Rolle bei uns in dieser Geschichte. Wir erfahren zwar, dass die Mutter natürlich als Prostituierte arbeitet, aber wir thematisieren das nicht so sehr, weil unsere Geschichte mehr das Familiengefüge ist. Es geht um ein Familienschicksal. Und dass die Mutter als Prostituierte arbeitet, wird eigentlich nur angeschnitten.
Burg: Nun wird der Film auch in der Türkei zu sehen sein, im Mai kommt er dort heraus. Wird er dort auch als Familiengeschichte gesehen werden? Was ist Ihre Vermutung?
Sözen: Unsere Vermutung ist schon, dass der Film in der Türkei noch viel provokativer aufgenommen wird, weil eben dieses Tabu in der Türkei noch viel, viel extremer ist. Das fängt schon damit an, wie freizügig man ein Plakat skizzieren kann, wie man einen Filmtrailer dann für die Türkei platzieren kann, ob man da Änderungen vornehmen muss et cetera, et cetera. Also, der Film wird in der Türkei sicherlich ganz anders wahrgenommen, weil eben dieser Tabubruch auch im Mittelpunkt in der Türkei stehen wird.
Burg: Sie bewegen sich filmisch häufig zwischen der Türkei und Deutschland. Der Fernsehfilm "Takiye. Spur des Terrors" von 2009 lief hier im Ersten, und in der Türkei auch als Kinofilmversion. Da geht es um islamistische Anlagefonds, die für politische Zwecke veruntreut werden von fundamentalistischen Gruppen. Sie haben daraufhin in der Türkei Morddrohungen bekommen. Wenn Sie Filme machen, wie sehr denken Sie beide Zuschauergruppen mit, das deutsche und das türkische Publikum?
"Ich kenne mich natürlich in beiden Kulturen aus"
Sözen: Um ehrlich zu sein, eigentlich gar nicht. Ich versuche auszublenden, ob der Film jetzt in der Türkei gezeigt werden soll, in Deutschland gezeigt werden soll. Da ich eben auch aus der Türkei komme, in Deutschland zwar groß geworden bin, studiert habe und so weiter, kenne ich mich natürlich in beiden Kulturen aus. Und dies fließt automatisch zwangsläufig auch in meine Drehbücher mit ein.
Burg: Für Sie sind das ja universelle Geschichten. Aber ich frage deswegen, weil die Rezeption in beiden Ländern ja so unterschiedlich ist.
Sözen: Ja, absolut, das ist es in der Tat. Aber auch das versuche ich eigentlich im Nachhinein ... Wenn ich die Geschichte schon fertig habe, wenn das Drehbuch einigermaßen vorhanden ist, mache ich mir dann eigentlich Gedanken, okay, wie wird das in der Türkei aufgenommen, wie wird das in Deutschland aufgenommen, wie kann man das noch verändern, dass es mehr ein deutsches Publikum erreicht oder mehr ein türkisches Publikum erreicht. Das sind strategische Überlegungen, die aber erst viel, viel später kommen.
Burg: Noch vor ein paar Jahren musste man in Deutschland in spezielle Video- oder DVD-Läden gehen, um Filme wirklich aus der Türkei zu bekommen, zu sehen. Nun, habe ich so den Eindruck, laufen immer mehr türkische Filme ganz regulär in deutschen Kinos an. Am Donnerstag startet zum Beispiel "Kocan kadar konus", eine Komödie. Ist der kulturelle Transfer einfacher geworden?
Sözen: Na ja, ich glaube nicht, dass man da von Transfer sprechen kann. Es ist eher ein Transfer, wenn überhaupt, nur in eine Richtung. Also, in den letzten Jahren haben wir sehr viele rein türkische Filme, die in Deutschland in den Kinos gezeigt werden, für ein rein türkisches Publikum. Und das funktioniert auch gut, weil natürlich auch sehr viele Migranten aus der Türkei immer noch sehr viel türkisches Fernsehen, sehr viele türkische Zeitungen lesen, türkisches Radio hören und somit auch ein Teil der kulturellen Entwicklung in der Türkei immer noch sind.
Burg: Der Film von Kadir Sözen, der am Donnerstag bei uns in die Kinos kommt, der heißt "Von glücklichen Schafen". Ihnen vielen Dank fürs Gespräch!
Sözen: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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