Neu im Kino

Rachefeldzug durch die Alpen

Die Schauspieler Sam Riley und Paula Beer stehen vor dem Eingang des Gartenbaukinos Wien.
Die Schauspieler Sam Riley und Paula Beer auf der Premiere von "Das finstere Tal" im Gartenbaukino Wien. © dpa / picture alliance / Herbert Pfarrhofer
Von Hartwig Tegeler · 12.02.2014
Mit dem Film "Das finstere Tal" kommt ein Western mit Alpenpanorama neu in die Kinos. "Und morgen Mittag bin ich tot" widmet sich dagegen einem sehr ernsten Thema: der Sterbehilfe.
Sünde, was ist das?
"Es gibt Sachen, die lassen sich nie mehr vergessen."
Für "Das finstere Tal" braucht man den Begriff "ius primae noctis", das der Gutsherr, der Patriarch in Anspruch nahm: Recht des ersten Beischlafs mit der Braut.
Ein Mann wird am Anfang umgebracht in Andreas Prochaskas Film "Das finstere Tal"; seine Braut kann entkommen. Jahre später in derselben majestätischen Landschaft: Ein Reiter erreicht das einsame Tal. Währenddessen singt die Stimme vom Sünder: Oh Sünder, wohin rennst du. Das ist der Grundton der Geschichte. Wer hier allerdings Sünder ist, wer nicht, das ist so genau nicht auszumachen. Auch beim Beichten nicht.
"Ich möchte beichten." - "Jetzt?" - "Ich habe das fünfte Gebot gebrochen. Ich habe getötet. Einen im Holz. Einen beim Jagen." - "Wer bist du?" - "Du hast meine Mutter gekannt."
Der einsame Fremde im Alpendorf. Im Gepäck die Winchester, das düstere Geheimnis und den Wunsch nach Rache.
"Und dann haben sie den Fremden zu uns gebracht. - Über den Winter."
Getrieben vom Wunsch nach Rache
Warum Greider hier ist, das weiß niemand. Natürlich hätten die Brenners ihn verjagt, die Herrscher im Tal, aber der Sack mit Goldmünzen ist ein Argument, ihn den Winter über der Witwe und ihrer Tochter Luzi unterkommen zu lassen.
"Begrüße den Gast. Und das ist jetzt euer Kostgänger."
Hätte der älteste Brenner-Sohn nur geahnt, was es bedeutet, wenn dieser angebliche Fotograf auf die Frage antwortet, warum er deutsch spricht:
"Meine Mutter hat es mir beigebracht."
Der Film "Das finstere Tal", den Andreas Prochaska nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Willmanns inszeniert hat, ist eine tiefe Verbeugung vor dem Western. Die Geschichte vom kühlen, von der Rache getriebenen Helden und den Erzbösewichten, die das "finstere Tal" seit Generationen terrorisieren. Inklusive des "Rechts der ersten Nacht". Sam Riley sozusagen im Dauer-Duell des kühlen Blicks gegen Tobias Moretti als ältestem Sohn der Brenner-Sippe - wunderbar furchterregend -, der seinem Vater-Despoten Hans-Michael Rehberg in nichts nachsteht.
"Sie werden kommen und mich suchen."
Dass am Ende diese formal und visuell großartige Hommage an den "Schneewestern" à la Corbuccis "Leichen pflastern seinen Weg", unter der Last der Stilisierung von Bildern, Motiven und Figuren fast in die Knie geht, das ist die Kehrseite dieses Alpen-Western, wo sich das Blut des Showdown ...
"Sie werden kommen und mich suchen."
... natürlich visuell gut macht auf dem Weiß des Schnees. Und am Ende reitet der einsame Held, nicht minder einsam als vor seinem Rachefeldzug, wieder hinaus aus dem Tal, auf dem gleichen Pfad, auf dem er gekommen war. Lonesome Rider. Auf ewig - so, wie es uns der Western, auch hier in seiner aktuellen "Alpen-Version" immer erzählt hat.
Leben am Rande des Erstickens
Röchelndes Atmen - das ist der Rhythmus, besser der Anti-Rhythmus von Leas Leben. Unheilbare Krankheit. Mukoviszidose. Lea, die Hauptfigur im Film "Und morgen Mittag bin ich tot", wird nicht irgendwann, sondern sehr bald sterben. Sie wird ersticken, wie ihr Bruder vor ihr erstickt ist. Am Anfang von Frederik Steiners Kinodebüt hat sich die junge Frau - herausragend gespielt von Liv Lisa Fries, gerade eben in "Staudamm" zu sehen -, am Anfang hat sich Lea genau aus diesem Grund, um nicht einfach zu ersticken, auf dem Weg nach Zürich gemacht.
"Zürich. Was will sie denn in Zürich?"
... fragt Leas Mutter - Lena Stolze, die sich vormacht, dass ihre todkranke Tochter noch auf eine Lungentransplantation hofft. Doch Lea ist in Zürich, um mit Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation aus dem Leben zu scheiden. Und deswegen wird sie ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre - gesunde - Schwester zu ihrem letzten Geburtstag nach Zürich einladen. Der Tag, der auch ihr Todestag sein soll.
"Sie sind sich ihrer Sache sehr sicher." - "Ich kenne meine Optionen, sagen wir mal so."
Lea im letzten Gespräch mit dem Arzt der Sterbehilfe-Organisation:
"Warum wollen Sie sterben, Lea?" - "Weil ich sowieso sterben werde. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber spätestens in ein paar Monaten. Und ich sehe nicht ein, warum ich mich noch länger quälen soll. Ich weiß, wie das Ende bei Mukoviszidose aussieht. Ich habe es selbst gesehen. Ich lebe mit dieser Scheißkrankheit schon mein ganzes Leben lang, und ich habe keine Lust mehr."
Bewusste Entscheidung für den Tod
Das Leid von Lea steht im Film "Und morgen Mittag bin ich tot" genauso wenig in Frage wie die Entscheidung der jungen Frau. Aber mit Leas Mutter, ihrer - gesunden - Schwester oder dem lebensmüden kranken Jungen, den Lea in Zürich kennenlernt und der von den Sterbehelfern abgelehnt wird - er hätte eben noch viele Optionen außer dem Tod -, mit diesem Geflecht aus durchaus widersprüchlichen Motiven und Interessen wird das Thema Sterbehilfe bei Filmemacher Frederik Steiner komplex und behält dadurch seine Ambivalenz, ja Widersprüchlichkeit.
Und so kinomäßig dieser Satz der Tochter zu ihrer Mutter auch klingt, in diesem Film mit all seinen Ecken und Kanten ist er vollkommen legitim:
"Was soll ich denn machen ohne dich?" - "Weiterleben."
Das Thema des Films ist auch Würde.