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Paris darf nicht sterben

Andre Dussollier (l) als schwedischer Generalkonsul Raoul Nordling und Niels Arestrup als General Dietrich von Choltitz in einer undatierten Szene des Films "Diplomatie". Der Film kommt am 28.08.2014 ins Kino.
Andre Dussollier (l) als schwedischer Generalkonsul Raoul Nordling und Niels Arestrup als General Dietrich von Choltitz in einer undatierten Szene des Films "Diplomatie" © dpa / picture alliance / Koch Media / Film Oblige / Gaumont / Blueprint Film / Arte France Cinema / NFP
Von Hans-Ulrich Pönack · 27.08.2014
Im August 1944 wurde General Dietrich von Choltitz Kommandant von Groß-Paris und sollte auf Befehl Hitlers die Stadt in ein "Trümmerfeld" verwandeln. Dass er diesen Befehl verweigerte, ist dem schwedischen Generalkonsul Raoul Nordling zu verdanken - zumindest in Volker Schlöndorffs Film "Diplomatie".
Pardon, aber kurz privat - ich liebe Paris. Vor allem wegen seiner vielen alten Häuser, erhalten gebliebenen alten Gemäuer. Diese Architektur, diese wunderbaren Fassaden, dieser feine bauliche Atem. Diese vielen herrlichen Brücken, Museen und Gärten. Straßen. Paris, ein beeindruckendes, wunderschön lebendiges europäisches Herz. Zum (An-)Schauen, Genießen, eben als einzigartiges Empfinden. Lieben.
Dabei hatte nicht viel gefehlt und Paris wäre damals, 1944, von den Nazis platt gemacht worden. Am 23. August gab Hitler den Befehl: "Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen". Das ist Fakt. Nicht real ist das, was dieser Film erzählt. Jedenfalls weitestgehend nicht. Doch wahr ist, dass der deutsche General Dietrich von Choltitz den Befehl des Führers, Paris dem Erdboden gleich zu machen, nicht befolgte. Und somit Paris vor der totalen Zerstörung bewahrte.
Brisante historische Frage
Was hat diesen, als gnadenlos befehlstreu geltenden General, der noch nie einen Befehl infrage gestellt hatte, bewogen, den Anweisungen aus Berlin nicht Folge zu leisten? Seinem Eid-Schwur auf Hitler "diesmal" nicht (mehr) zu folgen? Ihn zu ignorieren, zu brechen? Eine ewig brisante historische Frage. Die sich auch der 45-jährige französische Autor Cyril Gély in seinem Theaterstück gestellt hat, das 2011 im Pariser "Theatré de la Madeleine" uraufgeführt wurde.
In den Film-Hauptrollen: Der französische Schauspieler Niels Arestrup, 64, Sohn dänischer Einwanderer, 2009 für seinen überwältigenden Part als korsischer Mafia-Pate in dem Gefängnis-Film "Ein Prophet" (von Jacques Audiard) mit dem französischen "Oscar", dem "Cesar", ausgezeichnet und André Dussolier, 67, dreifacher "Cesar"-Preisträger und auch hierzulande unvergessen als einer der originalen "Drei Männer und ein Baby" (von Coline Serreau /1985). Diese beiden darstellerischen Kraftpakete spielen auch in der Verfilmung von "Oscar"-Preisträger Volker Schlöndorff ("Die Blechtrommel") die überragenden Kontrahenten.
Verbales Kräftemessen
Und treten dabei in starke Vorgänger-Schuhe: "Brennt Paris?" hieß 1966 eine französisch-britische Co-Produktion, die unter der Regie von René Clément dasselbe Thema, aber "breiter" ansprach und mit Gert Fröbe als Dietrich von Choltitz und Orson Welles als schwedischer Konsul Raoul Nordling hochkarätig besetzt war. Es ist die Nacht vom 24. auf den 25. August 1944, als beide im Hauptquartier des Generals, im Pariser Hotel Meurice, aufeinander treffen.
Während der kommandierende General von Groß-Paris alle Vorbereitungen getroffen hat, dem Hitler-Befehl Folge zu leisten und Paris in ein paar Stunden auszuradieren, bemüht sich der "neutrale" schwedische Diplomat, ihn von diesem Vorhaben abzuhalten. Abzubringen. Ein wahnwitziges Unterfangen. Denn was auch immer der Diplomat für Argumente vorbringt, wird von der Gegenseite mit der "Notwendigkeit" einer Kriegshandlung abgebürstet.
Dennoch beginnt jetzt ein ungeheuer intensives Duell als verbales Kräftemessen, das von der faszinierenden Spannung von Worten und Sätzen lebt. Weil diese beiden Schauspieler mit einer sagenhaften Intensität in ihre Figuren schlüpfen und sie großartig spielend "sind". Körperlich wie seelisch.
Raffinierter Historien-Thriller
Worte als Kugeln, die immer wieder versuchen, den Anderen treffend zu überzeugen. Zum "Verlierer" zu erklären. Ein Mund-Kampf auf Augenhöhe. Der Soldat gegen den Zivilisten. Und umgekehrt. Als Entscheider über Leben oder Sterben. Für eine Stadt wie für ihre Millionen Bürger. Man kriegt "Schweiß", an den Händen wie im Kopf. Wie vehement die Kontrahenten sich verbal beharken.
Mal sammelt "Schweden" verblüffende Punkte, mal die barbarische Gegenseite. Und - es kommt, wie wir wissen, schließlich zu einem der bedeutsamsten "K.O.'s" in der europäischen Kriegs-Geschichte. Ein Knockout, der, mit Sicherheit, die Grundlage bildet für die Jahre später entstehende deutsch-französische Freundschaft. Als Anstoß für das heutige gemeinsame Europa.
Packend. Intensiv. Obwohl der Ausgang bekannt ist, tief aufwühlend. Wunderbar Wort-prasselnd.
Grandios emotional in diesem Denk-Fight zwischen Gehorsam und Menschlichkeit. Fabelhaft gespielt von zwei Großen der Darstellungskünste. Absolut authentisch wirkend. Und deshalb so beängstigend. Mit dem Ahnen, was wäre wenn es "andersrum" gekommen wäre. Nicht auszudenken?: Doch - auszudenken. Und das gerade macht dieses blitzgescheite, faszinierende Kammerspiel zu einem raffinierten meisterhaften Historien-Thriller. Formidabel.
Alle (Be-)Achtung: Volker Schlöndorff, inzwischen kluge 75, hat mit "Diplomatie" einen brillanten Spannungsfilm geschaffen.

Frankreich/Deutschland 2013
Regie: Volker Schlöndorff
Hauptdarsteller: André Dussollier, Niels Arestrup, Burghart Klaußner
Länge: 84 Minuten

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