Neu im Kino

Getrieben von FBI und Mafia

US-amerikanische Regisseur David O. Russell verfolgt am 07.02.2014 in Berlin die Pressekonferenz für seinen Film "American Hustle".
Der US-amerikanische Regisseur David O. Russell © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Hans-Ulrich Pönack · 12.02.2014
Der Film "American Hustle" über die Geschichte eines Trickbetrügers ist für zehn Oscars nominiert. Auch unser Kritiker Hans-Ulrich Pönack ist begeistert. Sein Fazit: Ein raffinierter, selbstironischer und clever inszenierter Film.
Geboren wurde er am 20. August 1958 in New York City, er wuchs in einem atheistischen Haushalt auf (der Vater war russisch-jüdischer, die Mutter italienisch-amerikanischer Abstammung), und mit seinen bisherigen Filmen balancierte David O. Russell ständig zwischen Arthouse und Mainstream. Siehe beispielsweise die auch bei uns bekannt gewordenen Streifen "Flirting with Desaster" (1996; mit Ben Stiller); "Three Kings" (1999; mit Georg Clooney), natürlich "The Fighter" (2010; Nebendarsteller-Oscars für Christian Bale und Melissa Leo) sowie zuletzt der auch wegen seines unverständlichen deutschen Originaltitels zu wenig beachtete tragikomische Spaß "Silver Linings" von 2012 mit gleich acht Oscar-Nominierungen (Beste Hauptdarstellerin: Jennifer Lawrence).
In "American Hustle" geht es um Lebens- und Überlebensstrategien von skurrilen amerikanischen Figuren, die sich viel verrenken und dabei immer wieder neu erfinden, um am großen Segen des Dollar-Kuchens bequem teilzuhaben. Das Dasein als ständiges Spiel. Spielen. Teils aus Lust und Tollerei, viel aber auch um nicht vernünftig arbeiten und leben zu müssen. Der erste Spieltag fällt auf den 28. April 1978. Und die erste Szene ist unglaublich. Bekloppt-komisch. Da mischt und verklebt ein ziemlich feister Bart-Typ mittleren Alters vor dem Spiegel in seinem Hotelzimmer in New York City sein Kopfhaar-Toupet. Auf sein schütteres Haupthaar. Sieht schließlich schlimm aus. Was man ihm aber keinesfalls sagen sollte. Denn dann flippt er sogleich mächtig aus.
Also Slapstick? Denkste. Gleich sind wir in einer verkorksten FBI-Aktion, bei der ein korrupter Bürgermeister mit einem Koffer voller Geld überführt werden soll. Doch der übereifrige und dem feisten Haar-Helden überhaupt nicht wohlgesonnene FBI-Agent verbockt alles. Und wir kriegen nun vorerzählt, wie das alles einmal begonnen und sich kurios entwickelt hat.
In der Hauptrolle: Irving Rosenfeld (nicht wieder zu erkennen: Christian Bale). Der hatte nie Lust auf normal und begann schon in jungen Jahren, profitabel vom Bescheißen zu leben. Tarnte sich später mit einem bürgerlichen Waschsalon, um hinter der offiziellen Kulisse dubiosen Geldgeschäften nachgehen zu können. Irving machte es sich mit ordentlichem Einkommen bequem. Bis Sydney auftaucht (nicht wieder zu erkennen: die plötzliche Sexy-Braut Amy Adams). Ein attraktives Landei, die in der großen betrügerischen Großstadtcity-Welt hoch hinaus will. Und kommt. Dank Irving, der sie mit ins lukrative Boot holt. Beruflich, vor allem aber auch privat. Man schwindelt sich höher. Mit dubiosen Geld(verleih)geschäften.
Und alles wäre im besten Lot, gäbe es da nicht klitzekleine, aber erhebliche Störenfriede: 1.) Ein ehrgeiziger FBI-Agent und Stänkerkopf mit dem Mafia-Namen Richie DiMaso (der Hangover-Kerl Bradley Cooper; auch bartstark und haar-ulkig verändert), der lustvoll Irving und Sydney bei angebotener Straffreiheit zu vereinnahmen beginnt und sich vor allem dann auch mit der willigen Sydney näher befasst sowie 2.) Rosalyn (stürmisch-sexy: Jenniffer Lawrence), die Angetraute von Irving Rosenfeld. Plus Nachwuchs. Die mag ihre sorgenfreie Existenz als nichtpraktizierende Hausfrau und Mutter viel zu sehr, als dass sie das so ohne weiteres aufzugeben bereit wäre. Zudem plaudert sie gerne psychotisch viel, wenn der Tag lang ist.
Ein außergewöhnlicher Filmstreich
Zwei offenherzige Furien, ein aufgescheuchter Profi-Betrüger, dieser neurotische und gerne schon mal ausflippende FBI-Arsch, dessen Spesen immer umfangreicher werden und seinen Chef an den Rand der Verzweiflung treiben, bilden das Team. Gegenüber: Ebenso schmierige wie gierige Amtsinhaber. Und somit sind wir am Anfang. Wo in besagtem Hotelzimmer alles schiefläuft. Also - noch mal alles von vorne. Das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel. Um Sex & Crime & Money. Und Rock 'n' Roll. Beziehungsweise umgekehrt. Mit oftmaligen Positionswechseln. Und veränderten Risiken. Alles klar? Egal. Das Zuschauen verblüfft. Mit diesen hanebüchenen Situationen. Exzentrischen Verkleidungen. Überkandidelten Auftritten. Kauz-Bewegungen. Raffiniert. Selbstironisch. Clever bekloppt. Attribute für einen außergewöhnlichen Filmstreich, bei dem Martin Scorsese (Good Fellas; Casino) zweifellos Pate stand.
Denn die Mixtur hier ist ähnlich: Man nehme populäre Klänge, etwa von Duke Ellington, Elton John, The Electric Light Orchestra, Wings (Live and Let Die) oder Tom Jones (Delilah), rühre den bildlichen End-70er-Jahre-Mix dazu, lasse eine unglaubliche Milieu-Geschichte um fingiertes Business hintergründig feixend ausrasten, tue mächtig viel Masken- und ironischen Vergnügungskleister hinein und fertig ist die kesse Satire-Show. Bei der natürlich auch ein Casino-Mafiosi Robert de Niro in einem kleinen, aber feinen, angemessen präzisen Gangster-Part nicht fehlen darf. Mit einem kultigen wie kalten Schmunzel-Auftritt.
Wie überhaupt dieser herrlich vertrackte, aberwitzige Taumel prächtig irritiert. Ob seiner prächtigen Verrücktheiten, mannigfaltigen Wendungen, darstellerischen Pointen. Wie gesagt - ein Batman Christian Bale (The Dark Knight) ist zunächst überhaupt nicht zu identifizieren, erinnert lange Zeit an einen fülligen Burt Reynolds und soll selbst von Robert De Niro am Set zunächst nicht erkannt worden sein (Wer ist eigentlich der Kerl?). Großartig ist der 39-jährige Christian Bale in seiner Schmiere, listig in seiner Betrüger-Bewegung, launig in seiner komischen Feist-Mode. Was für ein stimmiger wie stimmungsvoller Part!
Überraschungen auch durch die beiden Mädels: Die manchmal so süßliche Amy Adams (Verwünscht) und die anfangs so grandios unschuldige Jennifer Lawrence (Winter's Bone) hauen hier kräftig und voll aggressiv auf den erotischen Putz. So dass den Kerlen bisweilen die Puste ausgeht. Marke: Wir wollen und kriegen unseren Anteil. Von allem. Von wem ist dabei wurscht. Während Bradley Cooper als sich immer führend betrachtender Amtsschnüffler mit seiner Minipli-Pudelfrisur und seiner feurigen Egozentrik den Rollenwechsel vom stürmischen Hangover-Sympath zum herrischen Tölpel prima besteht. Außen wie innen ist American Hustle ein zwar etwas zu langes, aber eben meistens herrlich beknacktes, schön-schräges Scorsese II-Knallbonbon-Vergnügen.