Neu im Kino: "Die Wildente"

Momente tiefster Verunsicherung

Der australische Regisseur und Theatermacher Simon Stone wird 2015 mit dem Nestroypreis in Wien als bester Regisseur ausgezeichnet.
Der australische Regisseur und Theatermacher Simon Stone wird 2015 mit dem Nestroypreis in Wien als bester Regisseur ausgezeichnet. © APA / Herbert Neubauer
Von Anke Leweke · 26.10.2016
Australiens bekanntester Theaterregisseur Simon Stone hat seinen ersten Film gedreht: eine Leinwandversion von Henrik Ibsens "Die Wildente" mit Oscar-Gewinner Geoffrey Rush in einer der Hauptrollen.
Auch wenn der Film in der Gegenwart spielt, übernimmt er die atmosphärische Grundstimmung von Ibsens Stück. Simons Stones Adaption spielt irgendwo in der australischen Provinz, Hintergrund der tragischen Ereignisse sind auch hier die sozialen Verhältnisse. Henry heißt der Holzunternehmer, dessen Betrieb schließen muss.
Für die meisten Männer in der Kleinstadt bedeutet dieser Konkurs die Arbeitslosigkeit. Nach Jahren kommt Henrys Sohn Christian zurück, weil sein Vater heiratet - eine deutlich jüngere Frau. Mit fremdem Blick schaut Christian auf eine Umgebung, die ihm einst vertraut und Heimat war. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Oliver schwelgt er in Erinnerungen und lernt dessen glückliches Familienleben kennen. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Christian herausfindet, dass womöglich Oliver nicht der Vater der temperamentvollen Hedvig ist.

Moderne Umsetzung und schönes Schauspielerkino

Das tragische Beziehungsgeflecht von Ibsen Stück bedarf keiner Aktualisierung, weil es zeit- und ortlos ist. Dennoch bekommt man es hier mit einer modernen Umsetzung zu tun, der nichts von so mancher verstaubter Inszenierung und Leinwandadaption anhaftet. Wie bei Ibsen spielt ebenso die Natur und Hedvigs besonderes Verhältnis zu einer Wildente mit einem lahmen Flügel eine wichtige Rolle. Ohnehin nimmt der Film immer mehr ihre Perspektive ein. Das ist konsequent, denn ihr bisheriges Leben wird durch die Vergangenheit der Eltern in Frage gestellt. Ihre Ohnmacht, ihre Wut, ihre Verzweiflung werden immer mehr zum zentralen Thema.
Geschickt arbeitet Stone in den Momenten tiefster Verunsicherung mit Naturbildern, mit Aufnahmen von Vögeln und Wäldern, die Rückhalt in der Not geben. Gleichzeitig bereitet Stone seinen Darstellern eine Bühne. Präzise registriert er mit seiner aufmerksamen Kamera jede Gefühlsveränderung, Gesichter in Großaufnahmen werden zu Seelenlandschaften. Dann springt der Film zurück in die Totale und zeigt die zwischenmenschlichen Spannungen. "Die Wildente" ist schönes Schauspielerkino, das sich, ohne Partei zu nehmen, einem Familiendrama stellt und dies aufarbeitet.

"Die Wildente" von Simon Stone, mit Sam Neill, Geoffrey Rush, Anna Torv (Australien 2016) - 94 Minuten - FSK: ab 12

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