Neu im Kino: "Der Sohn der Anderen"

Wie ein Israeli zum Palästinenser wird

Szene aus dem Film "Der Sohn der Anderen"
Szene aus dem Film "Der Sohn der Anderen" © Film Kino Text
Von Hans-Ulrich Pönack · 16.09.2015
Als bei dem Israeli Joseph ein Routine-Bluttest gemacht wird, kann er es nicht glauben: Er wurde nach der Geburt vertauscht - und ist eigentlich Palästinenser. Regisseurin Lorraine Lévy hat einen Film über die Suche nach Identität und Menschlichkeit gedreht.
Joseph (Jules Sitruk) und Yacine (Mehdi Dehbi) sind beide 18 Jahre alt. Der eine aufgewachsen in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Tel Aviv, der andere aus einer palästinensischen Familie im besetzten Westjordanland. Beide Familien verbindet zunächst gar nichts. Erst als bei Joseph ein Routine-Bluttest vor dem anstehenden Militärdienst gemacht wird, kommt heraus: Er ist nicht das Kind seiner Eltern. Bei der Geburt, während des Golfkrieges, wurde er versehentlich vertauscht. Er ist das Kind der Eltern von Yacine. Ein Schock für alle Beteiligten. Ein junger Israeli soll plötzlich Palästinenser sein und ein Palästinenser Israeli! Das Leben der beiden Familien ist gründlich erschüttert.
Der Film setzt auf die menschliche Komponente
Co-Drehbuch-Autorin und Regisseurin Lorraine Lévy interessiert sich in ihrem viersprachigen Film - hebräisch, arabisch, französisch, englisch – weniger für die politische Komponente und mehr für die menschliche. Wer bin ich jetzt? Jude? Palästinenser? Welche Identität habe ich wirklich? Mit welchem Glauben bin ich nun ausgestattet? Was ist künftig meine Überzeugung? Wie gehe ich damit um? Ein vielschichtiger Crashkurs in Sachen Toleranz startet: differenziert und klischeefrei. Die beiden Jungs sind neugierig, nehmen Kontakt auf. Dadurch finden nun auch die Mütter Interesse an der jeweils anderen Familie und erweisen sich gesprächsbereiter, als es ihren störrischen Ehemännern lieb ist.
Ideologisch wird keine Seite bevorteilt. Lorraine Lévy erzählt behutsam, unangestrengt und mit klugen Dialogen von der sozialen Situation der Familien und von den brisanten politischen Zuständen an diesem ständigen Unruhefleck unserer Welt. Dabei setzt sie vor allem auf Emotionen. "Der Sohn der Anderen" poltert nicht, sondern plädiert mit sehr viel Feinabstimmung für humane Gedanken. Begegnen wir uns endlich und häufiger auf menschlicher Ebene, ist das großartige Fazit. Mehr solcher "Verwechslungen" wären toll!

"Der Sohn der Anderen"
Frankreich 2012; Regie: Lorraine Lévy; 105 Minuten

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