Neu im Kino: "Der Letzte der Ungerechten"

Reflexion über die Lügen der Nazis

Claude Lanzmann (l) und Benjamin Murmelstein in einer Szene von "Der Letzte der Ungerechten"
Claude Lanzmann (l) und Benjamin Murmelstein in einer Szene von "Der Letzte der Ungerechten" © Koch Media / dpa
Von Jörg Taszman · 05.05.2015
Mit dem Mammutwerk "Shoah" schrieb Claude Lanzmann Filmgeschichte. Jetzt kommt "Der Letzte der Ungerechten" in die Kinos. Ein Film, in dem der französische Filmemacher den umstrittenen Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein porträtiert.
"Ich habe überlebt, weil ich ein Märchen erzählen sollte, das Märchen erzählt von vom Judenparadies Theresienstadt...Zumindest haben sie sich das vorgestellt, dass ich das erzähle, dass es ein Ghetto gibt, wo die Juden leben wie im Paradies... Und um dieses Märchen zu erzählen, haben sie mich gehalten." - Benjamin Murmelstein im Gespräch mit Claude Lanzmann in Rom 1975. Eine Woche lang redet der französische Filmemacher mit dem ehemaligen Judenältesten von Theresienstadt. Elf Stunden ist das reine Interview lang, das Lanzmann erst 38 Jahre später zu einem Film verdichtet. In sein Jahrhundertwerk "Shoah" passte Murmelstein nicht.
Lanzmann sagt: "Shoah war ein epischer Film mit einem Spannungsbogen, der nicht nachlässt. Murmelstein ist nicht episch. Und er beschönigt nichts." Ein Jude, der mit den Nazis kooperieren muss, ist deshalb noch lange kein Kollaborateur. Hannah Arendt oder Raoul Hilberg haben das immer behauptet und in ihren Schriften Murmelstein auch persönlich angegriffen. Claude Lanzmann verteidigt Murmelstein. Er glaubt nicht an jüdische Kollaborateure: "Ich kannte viele Kollaborateure in Frankreich. Das waren Franzosen, keine Juden. Die Kollaborateure teilten die Ideologie der Nazis und sie waren antisemitisch. Es gab sie überall, wo die Deutschen einmarschiert waren. Aber doch nicht unter den Juden. Die mussten gehorchen, wenn man ihnen einen Revolver an den Nacken setzte."
Noch immer streitbar, nach wie vor etwas polternd
Claude Lanzmann ist nun fast 90 Jahre alt, immer noch streitbar, nach wie vor etwas polternd in seiner Art, aber eine große Persönlichkeit und ein hochinteressanter Filmemacher. "Der letzte der Ungerechten“ wird wohl sein letztes wichtiges Werk bleiben. Er rückt mit dem in Galizien geborenen Murmelstein einen wortgewaltigen, humorvollen und charismatischen Protagonisten ins Bild. Und Claude Lanzmann kommt selbst vor als ein auf Deutsch fragender und nachbohrender Regisseur.
Originalton aus dem Film
- "Aber Sie hatten eine Lust für Macht, nicht?" (Lanzmann)
- "Das war kein Machtproblem. Das war ein Problem der Ohnmacht, mehr, als ein Problem der Macht." (Murmelstein)
Zu den inhaltlichen Stärken des Films gehört beispielsweise, wie Adolf Eichmann von Murmelstein beschrieben wird. Er war nicht der blasse Schreibtischtäter, sondern ein korrupter, herrschsüchtiger Fanatiker, der 1938 in Wien eigenhändig in der Pogromnacht das Inventar einer Synagoge zerstörte. Zum Eichmann Prozess in Jerusalem hatte man Murmelstein jedoch nicht gewollt.
Ein Film, der sich Zeit nimmt, tiefer geht als journalistische, oberflächliche TV Dokumentationen
"Das ist auch ein sehr gerechtfertigter Angriff auf Israel. Der Eichmann Prozess war eine Schluderei. Es war ein Prozess von Ignoranten. Der Staatsanwalt und die Richter hatten keine Ahnung und verwechselten alles. Sie kannten sich nicht einmal in polnischer Geografie aus", so Lanzmann.
"Der letzte der Ungerechten“ ist auch deshalb ein so hervorragender Film, weil er sich Zeit nimmt, tiefer geht als journalistische, oberflächliche TV Dokumentationen, die Geschichte vereinfachen und verknappen. Das war schon immer der Verdienst von Claude Lanzmann, der im deutschen Sprachgebrauch ja auch das Wort "Holocaust“ durch "Shoah" ersetzte.

Und Lanzmann, der auch ein großer Geschichtenerzähler ist, hat zum Filmtitel eine Anekdote parat: "Wenn ich an meinen Film dachte, hatte ich keinen Namen. Ich nannte ihn immer nur 'das Ding'. Es ist ja etwas Unbeschreibliches und wie soll man etwas benennen, dass es in der Geschichte der Menschheit vorher nie gegeben hat. Shoah bedeutet Zerstörung, Vernichtung. Auch ein Tsunami oder ein Erdbeben ist Shoah. Das Wort ist eigentlich nicht exakt, es ist nicht richtig. Auch nicht für diejenigen, die Hebräisch sprechen. Ich nannte den Film 'Shoah', weil ich kein Hebräisch spreche und weil ich nicht verstehe, was es bedeutet. "
Mehr zum Thema