Neu erzählt: "Nibelungen. Heimsuchung"

Frischer Schwung für alte Recken

Fotoprobe "Der Ring des Nibelungen/Die Walküre" - 3. Aufzug, 3. Szene. Wotan: Albert Dohmen - der Bayreuther Festspiele 2007. Premiere bei den 96. Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth ist am 28.07.2007.
Die Nibelungen: gebrochene Helden, die Autorin Ulrike Draesner reizen © picture alliance/dpa/ Jörg Schulze
Ulrike Draesner im Gespräch mit Joachim Scholl · 17.01.2017
Die Nibelungen rocken. Diesen Eindruck hat man jedenfalls, wenn man Ulrike Draesners Neuinterpretation der mittelalterlichen Sage um Siegfried, Kriemhild, Hagen und all die anderen liest. Im Interview erzählt sie, was ihr an Siegfried gefällt und warum sie Krähen auf Englisch krächzen lässt.
Die Schriftstellerin Ulrike Draesner hat das mittelalterliche Heldenepos "Nibelungenlied" neu interpretiert - und auf sehr kunstvolle wie unterhaltsame Weise aufgepeppt. Sie bedient sich dabei verschiedener literarischen Formen: Der epischen und narrativen Dichtung stellt sie kurze Prosaabschnitte zur Seite. In der Sprache sehr modern, mischt Draesner Mittelhochdeutsch mit Englisch, und sie erfindet einen das Geschehen kommentierenden Chor der Burgkrähen. Das erinnert an eine klassische griechische Tragödie. Draesner verleiht dem Ganzen aber durchaus komische Momente, indem sie die Krähen auf Englisch krächzen lässt.
Die Autorin Ulrike Draesner stellt am 09.10.2014 in Frankfurt/Main (Hessen) ihr Buch "Sieben Sprünge vom Rand der Welt" bei der ARD auf der Buchmesse Frankfurt vor.
Die Autorin Ulrike Draesner.© picture-alliance / dpa / Susannah V. Vergau

Czeschkas Illustrationen haben Draesner begeistert

Auslöser für das Buch seien – neben ihrer eigenen Begeisterung für das Mittelhochdeutsche und ihre Faszination für die Nibelungen-Sage – vor allem die Nibelungen-Illustrationen des Wiener Künstlers Carl Otto Czeschka (1878 bis 1960) gewesen. Diese seien schönster Jugendstil und hätten sie sehr inspiriert. Der Reclam-Verlag habe die Rechte daran erworben – und sie dann gefragt, ob sie sich nicht einen Nibelungen-Text dazu einfallen lassen wolle.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
"Nibelungen. Heimsuchung" von Ulrike Draesner, Reclam.© Reclam
Die größte Herausforderung bei der Darstellung der einzelnen Figuren - Kriemhild, Brünhilde, Siegfried, Hagen etc. – sei es gewesen, den mittelalterlichen Menschen und seine innere Wahrheit zu erfassen: "Wie kommen wir hinein in ein Subjekt, in dem sich Vorstellung von Liebe überhaupt erst bilden? Das wird kulturell erst erfunden: Indem man gar nicht weiß, was das eigentlich sein soll, aber Gefühle hat. Wie kann ein Ich diese Gefühle artikulieren, für die es keine Sprache gibt."
Denn die Original-Figuren besäßen keine Psychologie – im Mittelalter habe es den heutigen Subjektbegriff noch gar nicht gegeben. Dennoch sei aus der mittelalterlichen Version des Helden-Epos deutlich herauszulesen, dass Siegfried viele widersprüchliche Eigenschaften in sich vereine: strahlend, aber auch lügnerisch und dubios. Er sei ein gebrochener Held - anders als etwa der Siegfried, den die Nationalsozialisten dann später für sich vereinnahmt hätten. Und diese vielen Möglichkeiten, die der Held in sich berge, habe sie immer an den Nibelungen gereizt.

Ulrike Draesner, "Nibelungen. Heimsuchung"
Gedichte mit Illustrationen von Carl Otto Czeschka, Reclam, 2016, 132 Seiten, 39,95 Euro.

Eine Leseprobe finden Sie hier.

Mehr zum Thema