Netzwerkpflege unter Rockern

Thomas P. im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.07.2011
An diesem Wochenende findet das Jahrestreffen des Rockerclubs "Bandidos" statt. Dort mache man vor allem Geschäfte, sagt Thomas P., ein ehemaliges Hells-Angels-Mitglied, zum Beispiel im Rotlicht- oder Drogenbereich.
Dieter Kassel: An diesem Wochenende, ab heute findet in Zerbst in Sachsen-Anhalt das Jahrestreffen der Motorradbande Bandidos statt. Es treffen sich insgesamt ungefähr 3000 Rocker in einer Stadt mit knapp 24.000 Einwohnern. Wenn man sich das anhört, was wir gerade von unserer Korrespondentin aus Zerbst, aus Sachsen-Anhalt erfahren haben: Ist so was eigentlich normal, dass eine Rockerbande mit dem Ordnungsamt, mit der Polizei, mit der Feuerwehr, mit dem Gesundheitsamt so eng zusammenarbeitet?

Thomas P.: Na ja, das ist ja im Prinzip keine Zusammenarbeit, sondern das wird abgesprochen, dass das Treffen auch stattfinden kann. Und da muss man sich natürlich an die Auflagen halten, bevor es eben nicht erlaubt wird von der Behörde. Das ist eben eigentlich ganz normal.

Kassel: Was passiert denn nun eigentlich auf so einem Treffen? Mittags um zwölf geht’s am Freitag schon los, dann dauert es das ganze Wochenende und der Laie stellt sich ja vor, spätestens ab Freitagabend sind alle besoffen und grölen nur noch herum. Ist das so?

P.: Nein, in der Regel ist das nicht so. Also, ich sag mal, ab Freitagabend 20 Prozent der Besucher werden sicherlich voll sein, aber in der Regel ist so ein Treffen dafür da, damit man eben alle Leute kennenlernt, die jetzt neu dazugekommen sind, neue Kontakte knüpfen kann, sich dementsprechend vielleicht sogar geschäftlich erweitern kann, und da bietet so ein Treffen, wenn eben alle da sind, ohne Behörde eben die Möglichkeit, neue Dinge zu planen auch.

Kassel: Wie läuft denn das ab, gerade mit den 80 Prozent, die dann rechnerisch nicht betrunken sind? Ist das wirklich so mit einem Sitzungsleiter vorne und einer Tagesordnung, oder wie macht man das?

P.: Nein, nein, also, es sind Verkaufsstände da, ja, es gibt was zu essen, ganz normal, es gibt sicherlich parallel dazu noch so eine Sitzung, das wird immer gemacht, dass die Präsidenten und die Sergeants at Arms sich, also die Security Chiefs sich unterhalten und dementsprechend, was es Neues gibt, was die Clubpolitik so sagt, wo es knallen kann oder was so los ist derzeit in Deutschland beziehungsweise Europa. Und ja, dann wird das da eben gesprochen.

Kassel: Um was für Geschäfte geht es denn da?

P.: Das ist unterschiedlich. Also, es gibt bei den Bandidos wie bei den Hells Angels auch Zahnärzte, Maurer und Klempner und so was alles, aber letztendlich ist die Clubpolitik ja dafür da, dass es eben nur ein Prozent per Club ist und jeder weiß eigentlich, was das heißt. Und dass die sich nicht unbedingt immer an Recht und Gesetz halten, ist natürlich klar.

Kassel: Ja, aber was heißt das denn, wenn es zum Beispiel in den Nachrichten, in Zeitungen immer heißt, wegen der Kontakte zum organisierten Verbrechen, weil zum Teil … - ist das tatsächlich eine kleine Gruppe, die etwas mit organisiertem Verbrechen zu tun hat, oder ist das eigentlich der Sinn und Zweck des ganzen Clubs?

P.: Na ja, es geht schon um Geld, also das zeigt ja auch immer wieder, wenn Clubhausdurchsuchungen sind, egal, in welchem Club, es werden immer Waffen und Drogen gefunden. Mit Waffen meine ich jetzt nicht unbedingt eine kleine Machete oder einen Baseballschläger, sondern da geht es um Handgranaten, Maschinenpistolen. Und die Clubpolitik hat in den letzten Jahren ja auch gezeigt, es gibt auch Tote bei Auseinandersetzungen, und dass das da also kein Kaninchenzüchterverein ist oder so, ist natürlich klar.

Kassel: Und wenn wir das organisierte Verbrechen reden, was spielt da die Rolle heutzutage: Sind das die Drogen, ist es Prostitution, worum geht es da im Kern?

P.: Also das ist unterschiedlich. Also, bei mir war es früher sicherlich im Bereich Rotlicht, weil im Bereich Drogen oder so wird offiziell eigentlich nicht geduldet – offiziell, natürlich, inoffiziell sieht das wieder ein bisschen anders aus. Aber es geht ja auch um Schutzgelderpressung, was den Bereich zum Beispiel Türsteherszene angeht. Überall, wo man Geld abschöpfen kann.

Kassel: Und wenn da richtig, wie Sie schon gesagt haben, also auch übers Geschäft geredet wird und Leute, die sich, wenn es so ein Jahrestreffen nicht gäbe, gar nicht treffen würden, da mal miteinander reden können, ist das auch ein praktischer Austausch, also sagt da auch der Bordellbetreiber aus Hamburg zu dem Bordellbetreiber aus München, ich hab da das und das Geschäft in Vorbereitung, wir können da zusammenarbeiten?

P.: Ja, wenn man sich einig ist oder so, das ist ja das Gute. Wenn man ja Member ist oder so, dann ist man ja Bruder und Familie. Das heißt also, wenn einer zum Beispiel einen Laden in Hamburg hat und andere in München, dann ist das natürlich sinnvoll, wenn man Personal braucht, dann kann man das Personal tauschen, die Frauen werden natürlich nicht gefragt, ob sie nach München möchten oder nach Hamburg, aber dann kann man da dementsprechend Personal tauschen und dementsprechend führen sie das Geschäft ja auch weiter. Und das Ganze muss man sich dann in größeren Dimensionen vorstellen, das bezieht sich ja nicht nur auf Deutschland, sondern auch europaweit. Das heißt also, wenn es jetzt in Dänemark oder in Tschechien einen Charter gibt oder ein Chapter gibt, dann ist es natürlich so, dass das also ein wahnsinniges Netzwerk ist halt.

Kassel: Aber wenn ich das mal in einem Satz sage, ist es jetzt in Zerbst so, dass die Polizei und das Ordnungsamt, bezahlt durch die Steuerzahler, dafür sorgt, dass die Bandidos drinnen in Ruhe über ihre kriminellen Geschäfte reden können?

P.: Ja, das ist natürlich eine gewisse Art von Sicherheit auf beiden Seiten. Das heißt, die einen haben ihre Ruhe, das ist auch so, die Behörde hat auf solchen Treffen nichts verloren, deswegen wird es auch so sein, dass überall auf solchen Treffen natürlich Security eingesetzt wird, also keine Fremdfirma oder so, das machen die alles intern, es werden auch keine Waffen oder so gefunden werden, wenn, dann vielleicht mal ein Taschenmesser oder ein Baseballschläger, weil man ja weiß, wenn man sich trifft oder so, dass die Behörde schon da ist. Deswegen wird auch keiner so dämlich sein und, sag ich mal, eine Pumpgun auf dem Moped mitnehmen oder Drogen kiloweise. Sicherlich wird es zum Drogenkonsum kommen auf diesem Treffen, aber die Sachen sind schon vorher da, so ein Jahrestreffen, das ist ja eine Planung, die über Monate geht. Wenn ich weiß, dass die Behörde an dem und dem Punkt steht, dann nehme ich natürlich nichts mit, dann wäre ich ja dämlich und würde das bestätigen, sag ich mal, was der Verfassungsschutz oder was die Polizei eh schon denkt, dass das alles eine kriminelle Vereinigung ist oder so. Und diesem Risiko setzt man sich nicht aus.

Kassel: Sie haben gesagt, man redet natürlich auf so einem Treffen wie jetzt am Wochenende ab heute in Zerbst auch darüber, wo es mal knallen könnte. Sie selber waren ja dabei bei einem Überfall der Hells Angels, bei denen Sie waren, auf die Bandidos. Nach außen hin wird das ja immer so dargestellt, als geht es da um die Rockerehre. Ist das so oder geht es da am Ende auch ums Geschäft?

P.: Was den Überfall auf die Bandidos angeht oder so, da ging es sicherlich erst mal darum, Leute aus der Stadt zu vertreiben, weil man stellt ja Gebietsansprüche und man kann das nicht tolerieren, dass dann ein anderer großer Club sich dementsprechend sesshaft breit macht und vielleicht Geschäfte stört. Wie auch immer die aussehen mögen. Es heißt zwar immer, Konkurrenz belebt das Geschäft, aber wenn gar keine Konkurrenz da ist, dann habe ich eine Monopolstellung und kann das dementsprechend auch ausnutzen.

Kassel: Das heißt aber auch, wenn, wie im letzten Jahr verkündet, es einen offiziellen Friedensvertrag gibt zum Beispiel zwischen den Bandidos – da lachen Sie schon! Offiziell wurde der mal verkündet zwischen den Bandi... –, das ist reine PR?

P.: Ja. Also, das ist eine Absprache, also da, bei dieser Sache wurde eigentlich Deutschland nur unter den beiden aufgeteilt. Die haben sich da an einen Tisch gesetzt und haben gesagt, ja pass auf, was weiß ich, Hannover gehört dir, dafür gehört mir jetzt Bochum. Aber es knallt ja trotzdem zwischendurch, in Berlin zum Beispiel knallt es ab und zu noch … nur das ist nicht PR, ja, das ist eigentlich Verarschung, kann man das eher schon nennen.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur, an dem Tag, an dem das Jahrestreffen der Bandidos in Zerbst in Anhalt beginnt, mit Thomas P., so nennt er sich inzwischen. Er ist im Zeugenschutzprogramm, deshalb haben wir auch seine Stimme verfremdet. Und Sie sind ausgestiegen bei den Hells Angels. Nehmen wir mal an, Sie hätten das gemacht, ohne gleichzeitig sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen, hätte es dann eigentlich harmlos funktioniert oder kommt man da nie wieder raus?

P.: Na ja, ich habe mich ja nicht direkt als Zeuge zur Verfügung gestellt. Ich bin ja ausgetreten und habe ja dann nicht gleich gesagt, hurra, ich möchte eine Aussage machen, sondern ich bin ja verhaftet worden durch das mobile Einsatzkommando und habe mich dann entschlossen auszusagen, nachdem ich das Angebot bekommen habe für das Zeugenschutzprogramm.

Kassel: Aber hätten Sie denn sagen können, ich halte den Mund, halte mich auch an den Ehrenkodex, sage nie aus, aber ich will mit euch nichts mehr zu tun haben, ich werde jetzt Rentner einfach? Ginge das, mal von Ihrem Alter abgesehen, aber kann man sagen, ich will einfach nur raus?

P.: Ja, also, man es kann schon sagen, es kommt immer darauf an, es gibt ja welche, die können den Club normal verlassen, dann heißen sie Left, wenn sie rausfliegen, dann heißen sie eben Out. Da gibt es noch Out im Bad Standing, das heißt also, man ist zum Abschuss freigegeben. Ja, das würde man beim Kaninchenzüchterverein zum Beispiel nicht machen, dass, wenn jemand austritt oder so, dass man dann sagen kann, ja gut, jeder kann dich jetzt umlegen. Ist natürlich dann bei den Motorradclubs ein bisschen was anderes.

Kassel: Aber wie sieht denn nun Ihr Leben aus? Ich meine, gut, wir verfremden Ihre Stimme, auch wir wissen nicht, wo Sie sind, aber werden Sie denn je, glauben Sie daran, wenn alles durch ist, die Prozesse abgeschlossen, werden Sie je wieder ein normales Leben führen können?

P.: Was heißt normal, also mit zunehmender Stehzeit in diesem Programm oder so kommt auch natürlich eine wachsende Routine. Ja, man findet sich so ein bisschen damit ab. Aber auf jeden Fall sind wir schon vorsichtig und passen auf. Das haben wir aber auch früher schon gemacht, dass wusste man zu Clubzeiten auch schon, da hätten immer noch die Bandidos vor der Tür stehen können, und jetzt ist es halt so, dass halt die Hells Angels vielleicht vor der Tür stehen!

Kassel: Sagt Thomas P. oder zumindest der Mann, der sich Thomas P. nennt. Er ist ehemaliges Mitglied der Hells Angels. Wir haben seine Stimme deshalb auch technisch verfremden müssen, ich weiß, es war ein bisschen schwer dann auch am Ende dann auch zu verstehen, aber es ließ sich leider anders nicht machen, weil er sonst in Gefahr geraten wäre. Thomas P., wie er sich halt nennt, ist auch Autor des Buches "Der Racheengel. Ich bin der Kronzeuge gegen die deutschen Hells Angels", und dieses Buch ist im riva-Verlag erschienen.

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