Netzpolitik

Die Digitale Agenda ist ein "Bauchladen"

Einzelne Glasfaserkabel der Deutschen Telekom, aufgenommen bei Verlegearbeiten in Hannover.
Einzelne Glasfaserkabel der Deutschen Telekom, aufgenommen bei Verlegearbeiten in Hannover. © picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte
Jeanette Hofmann im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.08.2014
Die Digitale Agenda der Bundesregierung muss nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann noch an vielen Stellen nachgebessert werden. So müsse sich die Regierung klarer zu den Bürgerrechten im Internet und zur Modernisierung des Datenschutzes bekennen.
Dieter Kassel: Die Bundesregierung stellt heute offiziell ihre "Digitale Agenda" für die Jahre 2014 bis 2017 vor. Das ist eine relativ aufwändige Angelegenheit, denn fürs Digitale sind bei uns drei Ministerien zuständig, das Innen-, das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium. Die haben das alle gemeinsam erarbeiten lassen, und die zuständigen Minister werden es auch gemeinsam vorstellen.
Der Entwurf für diese Digitale Agenda, der ist bereits durchgesickert und Fachleuten längst bekannt, und deshalb wollen wir darüber jetzt reden mit Jeanette Hofmann. Sie ist die Leiterin der Projektgruppe Politikfeld Internet am Wissenschaftszentrum Berlin, und unter anderem auch die Direktorin des Alexander-von-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft, das überwiegend von Google finanziert wird.
Guten Morgen, Frau Hofmann!
Jeanette Hofmann: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wenn man sich dieses Riesenpapier, den Entwurf, erst mal anguckt, dann stellt man einerseits fest, da steht so ziemlich alles drin, was man überhaupt übers Digitale sagen kann, aber mein Eindruck ist schon, der Schwerpunkt liegt auf der Wirtschaft. Es beginnt mit dem Breitbandausbau und geht mit ähnlichen Punkten ausführlich weiter. So eine Konzentration auf die Wirtschaft, ist das für Sie angemessen bei einer digitalen Agenda?
Hofmann: Also zunächst mal ist es natürlich nicht überraschend, dass wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle spielen, weil das Wirtschaftsministerium ja auch die Federführung hat. Das Wirtschaftsministerium ist das Ministerium, das sozusagen den Überblick behalten und bündeln soll, was die anderen Ministerien zusteuern.
Es ist ja auch nicht so, dass nur diese drei Ministerien beteiligt sind, sondern es kommen noch andere dazu wie beispielsweise das Bildungs- und Forschungsministerium, die auch eine Rolle spielen, nur eben nicht zu den zentralen gehören.
Kassel: Mein Eindruck ist aber, viele haben was dazu beigesteuert, die finden sich, glaube ich, auch alle wieder in diesem Papier, aber es ist kein großes, gemeinsames Ganzes entstanden.
So was haben wir in der letzten Legislatur noch nicht gehabt
Hofmann: Nein. Das wäre vielleicht auch ein bisschen zu viel verlangt. Was die Digitale Agenda zum jetzigen Zeitpunkt darstellt, ist ein bisschen ein Bauchladen, würde ich sagen, wo jedes Ministerium die Schubladen geöffnet hat und die Maßnahmen herausgeholt hat, die ohnehin geplant waren.
Und die sind jetzt erstmalig in der Digitalen Agenda zusammengefasst worden, und ich finde, da kann man schon mal auch sagen, gut, dass dieser Schritt überhaupt vollzogen worden ist, weil so was haben wir in der letzten Legislatur noch nicht gehabt. Erst in dieser Legislaturperiode bekommt das Internet sozusagen die Aufmerksamkeit und das Gewicht, jedenfalls bei den meisten Ministerien, das ihm auch gebührt.
Und wir können, hoffe ich, davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren und Legislaturperioden das Ganze vielleicht auch ein bisschen konsistenter wird. Weil das ist bislang noch nicht erreicht. Da macht schon jedes Ministerium ein bisschen sein Eigenes, und da wird noch viel abgeschliffen und gerundet werden müssen. Vielleicht sollte man auch sagen, welches Ministerium nicht die Rolle spielt, die es spielen sollte, und das ist ausgerechnet das Finanzministerium.
Beim Finanzministerium ist das Internet noch nicht so richtig angekommen, und genau hier würden wir natürlich ein Budget brauchen, das die einzelnen Maßnahmen auch durchsetzen kann.
Kassel: Das ist ein interessanter Punkt, wenn wir allein beim Breitbandausbau bleiben. Den kann man doch am einfachsten erklären: Die Bundesregierung möchte, dass bis 2018 jeder Fleck in Deutschland mit schnellem Internet, mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde ausgerüstet wird.
Da sagt zum Beispiel die Telekom jetzt, das würde, wenn man wirklich hundert Prozent erreichen will, 25 Milliarden Euro kosten. Müsste so was nicht mit drin stehen im Papier, anstatt, dass man wieder allgemein formuliert, wir wollen und wir hoffen und wir werden die Voraussetzungen schaffen?
Die Leute wandern ab
Hofmann: Es ist tatsächlich so, dass erstens dieses Ziel ja gar nicht neu ist. Also ich würde mal sagen, der Breitbandausbau vor allen Dingen auf dem platten Land - in den großen Städten ist es ja gar nicht so ein Problem, sondern in den ländlichen Gebieten -, das ist so ein bisschen ein Ladenhüter. Man beschwört das immer wieder, dass das notwendig ist, aber so richtig kommt es nicht in die Gänge.
Das hört man ja auch auf der kommunalen Ebene immer wieder, dass die Bürgermeister, die Vereine, die Unternehmen sich lauthals beschweren, weil sie genau wissen, ohne schnelles Internet tut sich da nichts mit der ländlichen Entwicklung. Im Gegenteil, die Leute wandern ab oder wollen nicht mal in Urlaub dorthin fahren, weil es kein Internet gibt.
Kassel: Aber wir reden jetzt so viel doch wieder über die Wirtschaft, und Sie haben gesagt, es ist nicht unangemessen. Aber ich persönlich, vielleicht - das dürfen Sie dann auch - muss man mir da Naivität unterstellen - aber hätte bei etwas, was Digitale Agenda angeht, auch ein bisschen mehr Ideologie vielleicht sogar erwartet, ein bisschen mehr Aufbruchsstimmung, ein bisschen vielleicht auch etwas - ja, weiß ich nicht, was Sie vielleicht Internet Governance nennen, vielleicht ein bisschen mehr Mut zur Zukunft.
Hofmann: Natürlich würde man gerade vor dem Hintergrund der Enthüllungen durch Snowden im vergangenen Jahr sich wünschen, dass sich die Bundesregierung stark bekennt zu Bürgerrechten im Internet und vor allen Dingen auch zur Modernisierung des Datenschutzes. Und da, denke ich, stünde es der Bundesregierung tatsächlich gut an, wenn sie hier die gesammelte Kompetenz aus vielen Jahrzehnten nutzen würde, um hier zumindest in Europa den Vorreiter zu spielen.
Es ist ja schön, dass Brüssel an einer Reform des Datenschutzes arbeitet, aber meine Befürchtung ist, dass die Reformvorschläge, die wir da jetzt haben, eigentlich gar nicht weit genug gehen.
Kassel: Aber was gerade den Datenschutz angeht: Zum BND steht gar nichts in diesem Papier, und zum Verfassungsschutz steht drin, dass der Verfassungsschutz eigentlich weitere Rechte kriegen soll im Internet, um uns vor was auch immer zu schützen. Das ist ja ein bisschen fast beunruhigend, oder?
Unkontrollierte Geheimdienste
Hofmann: Da muss man natürlich auch sagen, ehrlicherweise, dass die Bundesregierung, was die Arbeit der Geheimdienste anbelangt, nicht wirklich viel machen kann, solange nicht die anderen Staaten, die auch ihre Geheimdienste auf uns Bürger loslassen, nicht bereit sind, zu kooperieren.
Viele würden sich wünschen, dass es hier zu einem internationalen Abkommen kommt, das regelt, was Geheimdienste eigentlich tun dürfen. Aber nach dem, was man bisher sieht, ist die Bereitschaft an solchen Abkommen nicht besonders groß. Man könnte sich auch vorstellen, dass bilaterale Abkommen zwischen einzelnen Staaten hier den Anfang machen, und Staaten sagen, wir versprechen uns wechselseitig, dass wir uns nicht belauschen, abhören und unsere Bürger ausspionieren werden.
Aber man sieht hier keinerlei Bereitschaft, weder von den Deutschen ausgehend, noch von den anderen Ländern. Das ist ein Gebiet, das traditionell weitgehend unreguliert ist. Und meine Befürchtung ist, dass das womöglich ein Signum der digitalen Gesellschaft wird, unkontrollierte Geheimdienste, deren, ich sag mal, Bedrohungsszenarien alle möglichen Maßnahmen rechtfertigen, die mit demokratischen Regimen nicht vereinbar sind.
Kassel: Sie haben am Anfang unseres Gesprächs gesagt, Sie haben schon die Hoffnung, dass sich die Politik sich ein bisschen verändert durch diese Agenda. Aber glauben Sie, dass die Menschen sich verändern? Ein Viertel der Deutschen ist ja nicht im Internet, ein Teil davon sagt, brauche ich auch nicht. Glauben Sie, unsere Gesellschaft wird verändert?
Hofmann: Oh ja, das wird sie mittelfristig schon. Viele der Leute, die heute nicht im Internet sind, gehören ja auch zur älteren Generation, also zum Teil wird sich dieses Problem tatsächlich auswachsen. Und dann haben wir natürlich eine starke digitale Spaltung, die damit zu tun hat, dass die Leute, die wirklich gebildet sind, die Bildungs- und Informationschancen des Internets erkennen, und die, die eher bildungsfern sind, das gar nicht zu erkennen vermögen und auch das wenige Geld, was sie haben, dafür nicht ausgeben werden. Da, denke ich, muss einfach im Bereich der Bildung was passieren.
Kassel: Vielen Dank, wollte ich schon sagen. Wir warten es ab. Es sind 300 Seiten. Wir werden heute in unserem Programm noch mehrfach darüber reden. Ich danke Ihnen an dieser Stelle. Jeanette Hofmann war das, unter anderem ist sie die Leiterin der Projektgruppe Politikfeld Internet am Wissenschaftszentrum in Berlin.
Und damit habe ich es angedeutet: Das Thema wird uns bleiben heute im Laufe des gesamten Tages. Die Digitale Agenda der Bundesregierung, die heute vorgestellt wird. Darüber reden wir zum Beispiel in der Mittagsausgabe von Studio 9 mit der stellvertretenden Präsidentin der UNESCO-Kommission in Deutschland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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