Netzpolitik

"Dem Datenschutz wieder Zähne geben"

Viktor Mayer-Schönberger im Gespräch mit Katrin Heise · 16.12.2013
Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass Bürger "in ihrer Privatsphäre und in ihrer Handlungsfreiheit geschützt" würden, verlangt der Internet-Experte Viktor Mayer-Schönberger. Die Dateninfrastruktur sei von entscheidender Bedeutung für den Standort Deutschland.
Katrin Heise: Wie wird die neue Bundesregierung mit den Herausforderungen im digitalen Zeitalter umgehen, mit Netzpolitik, IT-Sicherheit, Breitband, E-Government, mit Big Data – also mit Freiheit und Überwachung, mit Datensicherheit und Datenschutz? Manche wünschten sich ein Internetministerium, um alle Kraft zu bündeln. Jetzt geht das Digitale ins Verkehrsministerium.
Viktor Mayer-Schönberger ist Professor für Internet Governance and Regulation an der Universität Oxford und er ist Buchautor, "Big Data – Die Revolution, die unser Leben verändern wird", heißt sein Werk. Und er ist sicher ebenfalls sehr gespannt auf das Agieren der Regierung, zumal er nämlich Handlungsbedarf sieht, was Big Data, also das umfassende Sammeln von Internetdaten, das Verknüpfen und Auswerten durch Algorithmen angeht. Herr Mayer-Schönberger, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Viktor Mayer-Schönberger: Guten Morgen.
Heise: Ein Ministerium für Verkehr und Digitales haben wir jetzt. Wie finden Sie das? Hatten Sie mehr erhofft?
Mayer-Schönberger: Man erhofft sich immer mehr, aber man muss immer zufrieden sein mit dem, was man bekommt, das habe ich gelernt in der Politik und in der Politikberatung. Ich bin froh, dass die deutsche Bundesregierung nun das Internet wenigstens als Infrastruktur richtig verstanden hat und damit dem Infrastrukturministerium zugeordnet hat. Das ist ein Fortschritt.
Heise: Einleitend sagten Sie ja, erst mal muss man das nehmen, was man bekommen hat. Ich hab mich nämlich gewundert, weil ich finde, das ist eine Einschränkung des Internets und all dem, was da mit drin steckt, auf die Infrastruktur.
Mayer-Schönberger: Ja, das ist es mitunter schon, aber vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass wir Infrastruktur zu eng denken. Vielleicht müssen wir wegdenken und Infrastruktur, auch Internetinfrastruktur nicht mehr nur im Sinne von Kabeln und Pipelines sehen, im Sinne von Datenpaketen, die gesandt werden und empfangen werden, sondern als Dateninfrastruktur, als Infrastruktur von Information, auf der wir unsere Entscheidungen besser aufbauen. Insofern wird diese Infrastruktur vielleicht die entscheidendste Infrastruktur des 21. Jahrhunderts.
Eigene Mitarbeit am Koalitionsvertrag
Heise: Ja, also mit dieser Interpretation, klar. Wenn man das so denkt. Ihr Thema, Herr Meyer-Schönberger, ist Big Data, Sie denken nach über die daraus resultierenden Möglichkeiten für Markt, für Alltag, aber auch für die Möglichkeiten der Überwachung und die Gefahr, die darin liegt. Erkennen Sie eigentlich eine ähnliche Aufmerksamkeit in dem, was aus beispielsweise dem Koalitionsvertrag, oder überhaupt, was Ihnen aus der Politik bekannt geworden ist?
Mayer-Schönberger: Ich hoffe, ich plaudere nicht aus dem Nähkästchen, wenn ich sage, dass alle nun an der Koalition beteiligten Parteien bei mir angefragt haben und sich von mir die einen oder anderen Tipps geholt haben. Aber ob dann auch nur ein Zehntel eines Bruchteils von dem, was ich gesagt habe, sich in irgendeiner Form dann in der Umsetzung wiederfindet, das wird die Zeit zeigen. Ich glaube, was die Parteien schon erkannt haben, und das gibt mir schon Hoffnung, ist, dass das Internet und dass die Dateninfrastruktur von entscheidender Bedeutung wird für den Wirtschaftsstandort Deutschland, aber auch für den Gesellschaftsstandort Deutschland in den nächsten Jahren.
Heise: Ihre Idee ist folgende, oder eine Ihrer Ideen, wenn man jetzt mal so ein bisschen die Gefahren und die Überwachungs-, also diesen Aspekt rausgreift. Sie schlagen Kontrollfachleute vor, Algorithmiker nennen Sie die, eine neue Kaste von Experten, die den Big-Data-Gebrauch durch Staat und Industrie kontrollieren sollen. Wie sollen die das tun, was sollen die da kontrollieren?
Mayer-Schönberger: Nun, die Algorithmiker, die sollen den Betroffenen insbesondere im Big-Data-Zeitalter helfen und ihnen die Möglichkeit geben zu verstehen, warum sie durch einen Algorithmus, durch eine Big-Data-Analyse vielleicht benachteiligt worden sind.
Heise: Wer ist denn so ein Betroffener?
Mayer-Schönberger: Das könnten Menschen sein, die beispielsweise, wie es mitunter jetzt schon in den Vereinigten Staaten passiert, in Haft genommen worden sind nicht für das, was sie getan haben, sondern nur für das, was der Algorithmus vorhergesagt hat, sie tun werden oder tun könnten. Oder das könnten auch ganz einfach Menschen sein, die plötzlich keinen Kredit mehr bekommen oder die auch keine medizinische Behandlung mehr bekommen in der Zukunft, weil ein Big-Data-Algorithmus vorhersagt, dass das nicht mehr effizient ist oder effektiv ist oder keinen Sinn mehr macht. Hier gibt es also viele Momente, wo wir ansetzen müssen, wo wir überlegen müssen, ob nicht wir eine nachprüfende Kontrolle einführen müssen über die Entscheidungen, die durch Big Data hergeleitet werden. Und Algorithmiker, Experten, die sich hier auskennen könnten, genau das tun.
Heise: Wir haben ja jetzt Datenschützer. Ich meine, gut, ab morgen ist die Stelle des Bundesdatenschützers vorzeitig erst mal nicht besetzt, unbesetzt. Sind die Stellen, die Sie denken, ganz anders gelagert als die jetzigen Datenschützer? Warum schaffen die jetzigen staatlichen Datenschützer nicht, was Sie wollen?
Mayer-Schönberger: Zum einen hat der Herr Schaar, den ich persönlich auch kenne und den ich sehr schätze, der hat schon das getan, was er tun konnte, aber seine Rolle ist beschränkt, auch gesetzlich beschränkt in Deutschland. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat keine Regulierungsmacht, er ist vor allem jemand, der über den öffentlichen Druck hier, Veränderungen erreichen kann. Das reicht nicht aus, das wissen wir. Es reicht ja nicht einmal aus, wenn man großen Internetunternehmen eine Strafzahlung von 150.000 oder 200.000 Euro auferlegt. Die zahlen das aus der Portokasse.
Computer sagen Verhalten voraus: Die Gefahr von "Minority Report"
Hier müssen wir, glaube ich, eine Rechtsdurchsetzung erreichen, die Zähne hat. Das ist heute nicht der Fall, und das muss sich verbessern. Aber wir müssen darüber hinaus gehen, denn die Gefahr in der Zukunft mit Big Data ist ja nicht nur, dass unsere Privatsphäre beeinträchtigt wird, sondern dass eben die Algorithmen über uns entscheiden, basierend auf dem, was irgendeine Vorhersage des Computers über unser zukünftiges Verhalten ergibt, und nicht das, was wir schon tatsächlich getan haben. Hier geht es also um die Gefahr von "Minority Report", wenn Sie sich an den Hollywood-Film erinnern.
Heise: Also dass wir für das bestraft werden, was wir noch gar nicht getan haben. Herr Meyer-Schönberger, ein Punkt, den Sie eben auch ansprechen, also zum Beispiel für etwas, weil der Algorithmus, weil die Maschine quasi aus all diesen Daten etwas herausfiltert, was wir wahrscheinlich datenbasiert tun könnten, aber eben noch nicht getan haben, werden wir von bestimmten Dingen ausgeschlossen. Darum kann natürlich ein Datenschützer auch so schwer eingreifen, weil die Verwendung der Daten, die er irgendwie überprüfen könnte, die Verwendung der Daten sind zum Zeitpunkt der Erhebung, ist das ja noch gar nicht so richtig festgelegt, wofür die eigentlich verwendet werden. Das macht Kontrolle natürlich überaus schwierig.
Mayer-Schönberger: Ganz genau. Unser derzeitiger primärer Mechanismus, wie wir Datenschutz betreiben in Europa, vor allem auch in Deutschland, ist, dass wir zum Zeitpunkt der Sammlung der Daten die Betroffenen auffordern, der Sammlung zuzustimmen oder sie zu verweigern. Und zu diesem Zeitpunkt ihnen auch sagen, wofür die Daten verwendet werden. Aber genau das ist ja noch ungeklärt zu diesem Zeitpunkt, und das führt dazu, dass dann so schwammige Formulierungen herauskommen und die Betroffenen wissen, dass sie ohnehin nur OK klicken können, um den Service zu bekommen. Das führt am Ende dazu, dass Datenschutz völlig formalisiert ist, aber inhaltsleer geworden ist. Ich glaube, wir müssen dem Datenschutz wieder Zähne geben. Ich glaube, wir müssen wieder dafür sorgen, dass die Betroffenen tatsächlich in ihrer Privatsphäre und in ihrer Handlungsfreiheit geschützt werden.
Heise: Sie haben das eben schon zweimal erwähnt, dem Datenschutz Zähne geben, den von Ihnen einzusetzenden Algorithmikern auch, also quasi eine Macht an die Hand geben, Sie haben da auch von Gesetz gesprochen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, allein daran denke, dass seit fast 30 Jahren, also 30 Jahre alt ist die europäische Datenschutzkonvention, wie da um eine Reformierung gerungen wird, wie da die mächtigen Lobbygruppen sich auch ins Zeug legen, das eben doch anders zu gestalten. Wie soll Ihre Idee funktionieren?
Mayer-Schönberger: Nun, eines der zentralen Probleme, die wir in Europa heute haben, ist, dass wir die Durchsetzung unserer Datenschutzrechte vor allem uns selbst überlassen haben. Das heißt, die Betroffenen müssen vor Gericht ziehen. Und das tun sie außergewöhnlich selten, aus verschiedenen Gründen. Aber genau hier müssen wir einsetzen. Wir können ja auch uns gar nicht mehr vorstellen, dass unsere Lebensmittelsicherheit darauf beruht, dass alle Lebensmittel zugelassen werden, aber dann die Betroffenen, wenn sie ein Lebensmittel nehmen und es ihnen dann schlecht ergeht, entsprechend vor Gericht ziehen. Hier haben wir auch eine Lebensmittelkontrolle eingeführt, die staatlich-hoheitlich funktioniert. Genau das brauchen wir auch im Datenschutz. Wir brauchen also stärkere Regulierung, besser ausgerüstete Regulierungseinheiten, die mit mehr Befugnissen ausgestattet sind, auch auf europäischer Ebene.
Heise: In welchen zeitlichen Dimensionen rechnen Sie da eigentlich? Weil, ich meine, das Internet ist ja wirklich ein sehr schnelles Instrument.
Mayer-Schönberger: Wenn wir das nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre schaffen, ist der Zug abgefahren, und dann wird sich eine Infrastruktur von Big Data etabliert haben, die rückzubauen sehr schwierig ist. Das ist so wie eine nukleare Infrastruktur, eine Kernkraftinfrastruktur, die dann auch rückzubauen schwierig ist und viel Geld kostet. Früh hier anzusetzen und Reformen einzusetzen, spart Geld.
Heise: … sagt Viktor Meyer-Schönberger. Er ist Professor für Internet Governance in Oxford und Buchautor von "Big Data". Da beschreibt er das Wohl und Wehe von Big Data. Erschienen ist das Buch übrigens im Red-Line-Verlag. Herr Meyer-Schönberger, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Telefonat.
Mayer-Schönberger: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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