Netzkunst

Flüchtlingsdramen als Computerspiel

Ein Foto der italienischen Marine vom 14.09.2014 zeigt gerettete Flüchtlinge aus Afrika
Lebensgefährliche Reise nach Europa: Darf man aus diesem Thema ein Computerspiel machen? © AFP / Marina Militare Italiana
Von Marcus Richter · 16.09.2014
Das Leid der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer nach Europa gelangen wollen - das ist uns abstrakt über die Nachrichten bekannt. Welche Gefahren gemeistert werden müssen, wie sich gleichzeitig die Grenzsoldaten fühlen - all das lässt sich nachspielen in dem Computerspiel "Frontiers".
Der Trailer zum Computerspiel "Frontiers" erzählt eine Geschichte: Ein Mann ist zu sehen, offensichtlich ein Flüchtling, an der Grenze festgenommen. Er wird in einer dunklen Zelle verhört. Es ist eine klassische Inszenierung eines bekannten Themas. Hier zeigt sich die Theatererfahrung der Künstlergruppe Gold Extra. Aber solche Inszenierungen haben ein Problem, erklärt Karl Zechenter, der an der Entwicklung des Spiels beteiligt war:
"Dass man, wenn man das im Theater macht, nur eine sehr begrenzte Anzahl von Menschen erreicht, die vielleicht ohne hin der gleichen Meinung sind."
Um aus dieser Kulturblase auszubrechen, sollte es also ein Computerspiel sein. Es sollte etwas sein, "... wo man eine Art von direktes Erleben der Situation herbeiführen kann. Das ist ein Multiplayerspiel, also ein Spiel für mehrere Menschen, das die Situation an Europas Grenzen zeigt."
"Frontiers" spielt sich wie ein Ego-Shooter
Es gibt hier keine vorgefertigte, inszenierte Geschichte. Technisch funktioniert "Frontiers" wie ein Ego-Shooter: Zwei Teams treten gegeneinander an. Auf der einen Seite die Flüchtlinge, die die Grenze nach Europa überwinden wollen. Auf der anderen Seite die Grenzwächter, die die Flüchtlinge verhaften müssen.
Ein Beispiel: Ich befinde mich kurz vor Ceuta, der spanischen Grenzstadt bei Gribaltar. Die Grenze selbst ist ein hoher doppelter Stacheldrahtzaun. Zu gefährlich. Ich versuche, auf einen der Laster aufzuspringen, die durch die Grenze fahren, bin aber zu langsam. Ich entschließe mich, um den Grenzzaun herumzuschwimmen. Ich muss darauf achten, dass mich die Leute auf den Patrouillenbooten nicht sehen, rechtzeitig tauchen - ohne zu ertrinken. Sauerstoff ist knapp.
Auf der anderen Seite beginnt das Versteckspiel von vorn, bis ich endlich meinen Kontaktmann treffe. Geschafft. Dieses Mal. Die Spieler der Grenzwächter müssen versuchen mich zu fangen, eine schwierige Aufgabe - nicht nur im Spiel:
"Für die Grenzwache ist es ja eine dauernde moralische Entscheidung. Tut er dort seinen Dienst, ist ja auch ein Mensch und hat das Problem, dass er das Leid der anderen sieht."
Authentizität durch umfangreiche Recherche
Aber wie authentisch wirkt dieses Leid im Spiel? Die Grafik wirkt für heutige Verhältnisse altbacken, grob. Die Authentizität wird durch die umfangreiche Recherche gewährleist, die die Künstlergruppe im Vorfeld geleistet hat - mit beeindruckenden Ergebnissen.
"Kenne einen Flüchtling, einen Somali, der gesagt hat: Ach, Charlie, das werde ich ganz kritisch ansehen, dieses Spiel. Und dann hat er das gesehen und dann hat er das gespielt und gesagt, ja, also das hat wirklich Momente von ganz hohem Realismus, die er von seiner Flucht kennt. Wo er sagt, ja, das ist ganz intensiv und das ist gut, dass das gezeigt wird ..."
... erzählt Karl Zechenter von Gold Extra. Aber wie reagieren die Spieler, die mit dem Thema nicht so intensiv in Berührung gekommen sind?
"Menschen, die noch überhaupt keine Berührung gehabt haben, die sind meistens sehr betroffen von der Schwierigkeit der Situation."
Wenn "Frontiers" aber nicht nur ein Spiel, sondern auch ein Kunstwerk ist, gibt es noch eine zweite Ebene. Die Spieler können an einem realen Ort zusammenkommen, wie jetzt in Berlin bei Ausstellung "Schwindel der Wirklichkeit". Dadurch findet eine Interaktion von zum Teil fremden Menschen untereinander statt - viel intensiver, als das zum Beispiel im Netz möglich wäre. Nicht nur zwischen den Spielfiguren, sondern auch zwischen den Menschen.
Von der Netzwelt in die Realität
"Sie sprechen natürlich auch über die reale Situation, und dann geht es wieder in die andere Situation zurück, das merkst du auch in der Diskussion, mehr kann man eh nicht erreichen, das ist eh schon das Ideale, dieses Kippen."
Und damit ist für die Macher das Ziel erreicht. Sie wollen und können mit "Frontiers" keine komplette Belehrung erreichen. Sie sehen "Frontiers" vielmehr als einen Baustein in der Aufklärungsarbeit.
"Wir haben immer uns gewünscht, dass es dich vorbereitet auf die Informationen, die in den Medien schon existieren. Nachdem du das Spiel gespielt hast, und dadurch eine gewisse Emotionalisierung vielleicht erfahren hast, bist du mehr bereit, diese Informationen, die ohnehin schon existiert, aufzunehmen."
Und das wird - leider - auch in Zukunft noch notwendig sein. Nicht nur jetzt, beim "Schwindel der Wirklichkeit" sondern auch darüber hinaus, glaubt Karl Zechenter von Gold Extra:
"Gibt ein größeres Bewusstsein, aber es sterben immer noch unglaublich viele Menschen im Mittelmeer, und nach wie vor hat man den Eindruck, gleich gewohnt, es ist fast wie so eine Natursituation, ein Boot geht unter."

Info: Vom 16. bis 21. September wird das Spiel "Frontiers" im Rahmen von "Schwindel der Wirklichkeit" gezeigt, einer Ausstellung der Akademie der Künste in Berlin. Das Spiel kann aber auch unter Frontiers-game.com herunterladen und am eigenen Rechner ausprobiert werden.

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