"Netanjahu besteht immer auf einer Gegenleistung"

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.08.2009
Moshe Zimmermann, Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem, sieht Deutschland in der Pflicht, Druck auf Israels Premierminister Benjamin Netanjahu auszuüben. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse deutliche Fragen zu Israels Siedlungspolitik stellen.
Hanns Ostermann: Seit gestern ist Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Deutschland. Zuvor hatte er in London Gespräche geführt, nicht nur mit dem britischen Premier Gordon Brown, sondern auch mit dem amerikanischen Nahostgesandten George Mitchell. Um eine entscheidende Frage dürfte es auch heute in Berlin gehen: stoppt Israel den Siedlungsbau? Immer wieder lehnte das Jerusalem ab. – Über die verfahrene Situation im Nahen Osten habe ich mit Professor Moshe Zimmermann gesprochen. Er ist Direktor des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität in Jerusalem. Meine erste Frage: täuscht der Eindruck, oder sitzt Benjamin Netanjahu die Probleme aus?

Moshe Zimmermann: Benjamin Netanjahu versucht das, was die israelische Politik immer versucht: die Probleme hinauszuschieben. Er versucht, etwas zu erreichen, was Obama zufrieden stellt, und zur selben Zeit an der israelischen Politik nichts zu ändern, und das tut er sehr geschickt.

Ostermann: Immerhin eines hat doch Benjamin Netanjahu geschafft: es ist relativ ruhig, manche sagen beängstigend ruhig. Welche Strategie könnte dahinter stecken?

Zimmermann: Zum einen: es ist die relative Stärke von Israel. Die Palästinenser können wenig tun und der Druck von außerhalb Israels ist nicht sehr wirksam. Deswegen versucht man mit Israel sehr sanft umzugehen und deswegen kommen die leisen Töne aus Israel und auch aus der Welt, aus Europa oder aus Amerika. Nur die Palästinenser leiden darunter, weil eben die Besatzung nicht zu Ende gekommen ist, die Siedlungen sich weiter entwickeln und es kein Zeichen dafür gibt, dass irgendwo ein Friedensvertrag in der nächsten Zeit unterschrieben wird.

Ostermann: Sie sprechen von leisen Tönen auch aus den USA. Nun könnte man ja argumentieren, Barack Obama hat mit der Gesundheitsreform oder natürlich auch der Wirtschaftskrise genug zu tun. Es laufen ja zugleich in Israel wohl auch regelrechte Kampagnen gegen die USA. Welche Folgen kann das haben?

Zimmermann: Also, das wird keine Folgen haben. Man versucht sich auf diese Art zu wehren, mit Vorwürfen gegen Amerika, gegen Schweden, gegen Europa. Man tut so, als ob die ganze Welt antisemitisch sei, und auf diese Art und Weise lenkt man von der Sache ab, und die Sache ist eben die Siedlungen, die israelische Besatzungspolitik und die rechts orientierte israelische Regierung. Das tut man auch sehr geschickt und deswegen bemüht sich Obama viel mehr um die Gesundheitsreform als um den Frieden im Nahen Osten.

Ostermann: Und sein Unterhändler, George Mitchell, kann auch nicht mehr als verhandeln, immer wieder darauf hinweisen: Stoppt den Siedlungsbau. Rechnen Sie denn da in den nächsten Tagen damit, dass Benjamin Netanjahu zumindest sagt, die jetzt gebauten, die setzen wir fort, aber nicht mehr Siedlungen im Westjordanland? Also wird er einen Schritt entgegengehen?

Zimmermann: Ein Treffen zwischen Mitchell und Netanjahu gab es schon und da gab es kein Anzeichen dafür, dass man sich fortbewegt. Netanjahu besteht immer auf einer Gegenleistung von Seiten der Palästinenser. Sollten wir den Bau der Siedlungen stoppen oder die Ausdehnung der Siedlungen stoppen, dann müssten die Palästinenser dafür irgendetwas als Gegenleistung bringen, und das ist immer eine Bedingung, die man so stellt, dass von der anderen Seite man nicht nachkommen kann. Und deswegen wird sich das auch weiter hinauszögern und am Ende, um doch kein Gesicht zu verlieren, wird man doch zugeben, ja, die Israelis haben etwas aufgegeben, die Palästinenser haben etwas versprochen und die Gespräche sind nicht ohne Erfolg zu diesem Punkt gekommen. Das wird es am Ende sein. Aber in der Praxis ändert sich sehr wenig.

Ostermann: Deutschland hält sich nicht zuletzt aus historischen Gründen zurück, aber ist das heute noch der Sache, dem Friedensprozess gegenüber angemessen?

Zimmermann: Gerade aus historischen Gründen sollte Deutschland etwas aktiver werden. Also wenn es um Israel geht, die eine Besatzungsmacht geworden ist, wenn es Ungerechtigkeiten gibt, die vor allem gegenüber den Palästinensern zum Ausdruck kommen, wenn da eine Auseinandersetzung ist, die zu einem Krieg führen kann, dann müsste eigentlich Deutschland genauso wie ganz Europa auch zu dieser politischen Tatsache Stellung nehmen. Man muss etwas mutiger werden. Man kann sich nicht hinter dieser Geschichte verstecken und sagen, da wir vor 70 Jahren einen Weltkrieg begonnen haben, weil dort die Schoah stattgefunden hat, dürfen wir kein Wort sagen.

Ostermann: Immerhin hat Angela Merkel gestern darauf hingewiesen, bevor sie sich mit Benjamin Netanjahu zurückzieht zu einem Gespräch: wir legen auch Wert auf die Zwei-Staaten-Lösung. Das heißt, sie hat schon Position bezogen. Was wünschten Sie sich darüber hinaus?

Zimmermann: Dass man zwei Staaten nebeneinander haben will, ist ja nichts Neues und das ist auch für Netanjahu nichts Neues. Das ist wieder eine geschickte Taktik der israelischen Regierung, etwas, was schon früher vereinbart wurde, vor 15 Jahren, jetzt zu einer Bedingung zu machen für irgendwelche Gegenleistungen von Seiten der Palästinenser. Es ist eigentlich die Voraussetzung für einen Friedensvertrag, dass dort zwei Staaten nebeneinander, Palästina und Israel, existieren. Und wenn Frau Merkel etwas mehr als nur so einen Satz sagen möchte, dann soll sie den Herrn Netanjahu auch danach fragen: was tut Israel, um nicht nur den Stopp des Siedlungsbaus zu bewirken, sondern auch die Siedlungen abzumontieren, um später diese zwei Staaten nebeneinander oder die Gründung eines Palästina-Staates zu ermöglichen.

Ostermann: Herr Zimmermann, ich entnehme all dem, was Sie gesagt haben, eine tiefe Resignation, oder liege ich da falsch?

Zimmermann: Als Beobachter gerade aus Israel, muss man sagen, ist die Welt, das heißt sowohl Europa als auch Amerika, zu lasch bei der Behandlung des Themas "Konflikt im Nahen Osten". Nur wenn dort etwas Dramatisches passiert, reagiert man, und etwas Dramatisches haben wir in Form einer Intifada vor sieben Jahren und man soll sich hier wünschen, dass man nicht zu dieser Art von Dramatik wieder zurückkehrt. Man sollte vorher vorsorglich sich dafür sorgen, dass zwischen Israelis und Palästinensern echte Friedensgespräche stattfinden, und da braucht man etwas Druck und nicht nur auf die Palästinenser, sondern auch auf die Israelis.

Ostermann: Der Direktor des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem, Professor Moshe Zimmermann. Herr Zimmermann, danke Ihnen für das Gespräch.

Zimmermann: Ich bedanke mich.