Neonazi-Datei als "erster Schritt zum Umbau der Sicherheitsbehörden"

Jörg Geibert im Gespräch mit Gabi Wuttke · 19.09.2012
Bei der Neonazi-Verbunddatei handele es sich nicht um eine "Gesinnungsdatei", sagt Thüringens Innenminister Jörg Geibert. Bei einer Person, die in der Datei abgespeichert werde, müsse immer ein Gewaltbezug vorliegen. Auch sei die Verbindung zu V-Leuten dort nicht zu erkennen.
Gabi Wuttke: Wir dürfen auf dem rechten Auge nicht mehr blind sein, das ist die zweifelsfreie Lehre aus den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds. Aus genau diesem Grund wird sie heute in Betrieb genommen, die Datenbank, die Informationen aus der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene in Deutschland länderübergreifend bündeln soll, mit Informationen aus 36 Behörden von Bund und Ländern.

Was kann diese Datei leisten? Mit der Bitte um Einblick in die Praxis begrüße ich am Telefon Jörg Geibert von der CDU, Innenminister von Thüringen. Einen schönen guten Morgen!

Jörg Geibert: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Welche Pflichten haben Ihre Landesbehörden ab heute? Was geben sie in den großen Topf? Oder haben sie bereits gegeben?

Geibert: Zum Teil haben sie bereits gegeben, zum Teil werden sie noch bis Ende des Jahres Informationen – und dann natürlich fortlaufend – einspeisen. Immer dann, wenn wir bei Rechtsextremen einen Gewaltbezug feststellen, werden deren Daten in die Datei übernommen. Das heißt also, die Stammdaten zur Person werden übernommen, Name, Geburtsdatum, Anschriften, was üblicherweise dabei ist, und auch darüber hinaus gehende Informationen zu eventuellen Taten, zu Kontakten, zu Alias-Namen, in welcher Organisation gegebenenfalls die Auffälligkeit aufgetreten ist. Das alles wird in dieser Datei gespeichert.

Wuttke: Ist es richtig, dass in der Datei aber nicht stehen wird, ob es sich um V-Leute handelt oder handelte?

Geibert: Der V-Leute-Bezug ergibt sich so nicht unmittelbar aus dieser Datei heraus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass entsprechende Personen ebenfalls dort auftauchen, aber das Kennzeichen der Datei ist ja, dass im Prinzip mit einer sogenannten Ampelfunktion gearbeitet wird. Das heißt also, wenn jemand befugtermaßen von einer Sicherheitsbehörde in die Datei Einblick nimmt, erhält er die Information zu einer dort gespeicherten Person und Kenntnis über die Behörde, mit der er sich in Verbindung setzen kann, um dann weitergehende Informationen zu erhalten – das ist der Regelfall.

Wuttke: Das ist der Regelfall, und weist für Sie kein Defizit auf?

Geibert: Ja, es wäre natürlich schöner, wenn noch weitere Informationen aufgenommen werden könnten, das ist keine Frage, weil man ja ein möglichst komplettes Bild über die entsprechende Szene erhalten möchte, aber zum einen gilt es natürlich, Grundrechtsschutz zu beachten, das heißt also, Datensammlung nur so weit als zwingend erforderlich, und zum anderen müssen wir sehen, was auch in anderen Informationssystemen, gegebenenfalls in nachrichtendienstlichen Informationssystemen vorgehalten wird.

Wuttke: Das heißt, das Gelbe vom Ei ist was anderes?

Geibert: Es ist sicher ein sehr gutes Werkzeug, was in Betrieb genommen wird, da wir das erste Mal ländergrenzenübergreifend diese Verbunddatei haben werden. Wir haben sie bislang nur im Anti-Terrorismus-Bereich und haben sie jetzt auch im gewaltbereiten Rechtsextremismus-Bereich. Das ist schon eine sehr, sehr gute Sache, da damit sehr viele Behörden, 36 an der Zahl, zusammengeschlossen werden in ihrem Informationsstrang. Aber natürlich kann man sich unter Sicherheitsgesichtspunkten noch immer noch ein Stückchen mehr vorstellen.

Wuttke: Auf Ihren Schultern als Innenminister von Thüringen lastet eine große Bürde, nach allem, was im Zuge der NSU-Ermittlungen bislang zutage befördert wurde. Wie stellen Sie denn sicher, dass diese zentrale Datei von Ihren Behörden auch so lückenlos mit den Kriterien bedient wird, die Sie gerade erläutert haben?

Geibert: Also, wir gehören ja zu den Ländern, die diese Datei von Anfang an gefordert haben, also schon im November letzten Jahres. Und wir arbeiten auch von Anbeginn an mit mehreren Personen beim Aufbau dieser Datei mit, das heißt, sowohl beim strukturellen Aufbau als auch jetzt beim inhaltlichen Aufbau mit entsprechenden Erlassen, und natürlich aufgrund der gesetzlichen Grundlage, die wir seit August haben, bin ich ganz guter Dinge, dass alles, was wir an Informationen haben, dort auch eingespeichert wird.

Wuttke: Aber als letzter Verdacht steht noch im Raum, ein Thüringer Polizeibeamter sei im Thüringer Heimatschutz aktiv gewesen. Bis hinab in welche Ebene, Herr Geibert, können Sie denn Kontrolle garantieren?

Geibert: Also, es muss ja, um in der Rechtsextremisten-Datei abgespeichert zu werden, immer ein Gewaltbezug vorliegen. Das heißt, es ist keine Gesinnungsdatei, es wird dort nicht einfach eine politische Überzeugung als Maßstab genommen, um jemanden dort abzuspeichern. Das bedeutet also, dass man ein Delikt begangen oder aber in der Nähe eines Gewaltdeliktes sich bereits strafrechtlich befinden muss, um aufgenommen zu werden. Das ist die Grenze für die Möglichkeiten, dort etwas zu speichern.

Wuttke: Was ich aber meinte, war, inwiefern können Sie tatsächlich all Ihren Mitarbeitern trauen, dass die Informationen weitergegeben werden? Sie haben ja nicht wahrscheinlich über jeden einzelnen den Überblick, sondern können dann nur gucken, wer ist drin, ist das weitergegeben worden, aber die Lücken, die können Sie doch sozusagen nicht als Fadenzieher in der Hand haben – oder doch?

Geibert: Ja, es gibt ja mehrere Absicherungen dabei. Zunächst mal werden die Informationen ja gesammelt von Mitarbeitern etwa in den Kriminalpolizeiinspektionen, in den dortigen Staatsschutzabteilungen, sie werden dann weitergegeben – diese Delikte werden ja nicht von einer einzigen Person bearbeitet, sondern von der Mehrzahl –, und die Speicherung in der Datei kann nur von sehr autorisierten Personen vorgenommen werden beim Landeskriminalamt und beim Landesamt für Verfassungsschutz, sodass wir also ein Mehraugenprinzip dort haben, was schon eine große Sicherheit dann bietet.

Wuttke: Verstehen Sie, dass Bürger mit dem Wissen über die Folgen von Konkurrenzdenken, Vertuschung und Schlamperei in Behörden diese Datei jetzt misstrauisch beäugen und sich, um mal einen Schritt weiterzugehen, mit einem kompletten Umbau der Sicherheitsdienste in Deutschland wohler fühlen würden?

Geibert: Diese Datei ist eigentlich ein erster Schritt hin zu diesem Umbau, denn insbesondere, muss man für die Vergangenheit ja feststellen, ist nicht hinreichend zwischen den Sicherheitsbehörden kommuniziert worden, Informationen sind abgeschottet worden – sie sind jedenfalls nicht dahin gelangt wo sie hätten hingelangen müssen und sinnvoller hätten Verwendung finden können. Damit wird ein Stück aufgeräumt, aber das ist nur der erste Schritt auf einem relativ langen Weg, den wir noch als Innenminister der Länder und des Bundes vor uns haben werden im Gesamtumbau der Sicherheitsbehörden.

Wuttke: Der MAD ist eine der Behörden, die jetzt mit dabei sind bei dieser Rechtsextremisten-Datei. Sie stehen dem Militärischen Abschirmdienst äußerst kritisch gegenüber, und Sie haben sich auch dafür ausgesprochen, dass V-Leute vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt werden sollten. Werfen wir doch mal wieder einen Blick auf den Föderalismus. Herr Geibert, ist der mal wieder eine Last und keine Lust?

Geibert: Also Föderalismus sollte – zumindest aus Ländersicht – immer eine Lust sein, da …

Wuttke: Ja, ja, aber Sie merken ja, es wird ja manchmal schwer, und Sie würden ja dann doch gerne auch Verantwortung abgeben.

Geibert: Also, nicht zwingend die Verantwortung würde ich gerne abgeben, aber ich würde die Zusammenarbeit gerne deutlich optimieren wollen. Und in einigen Bereichen, denke ich, wäre es besser, wenn der Bund stärker von seiner Zentralstellenfunktion Gebrauch machen würde. Das könnte ich mir insbesondere etwa auch bei der V-Mann-Führung vorstellen.

Wenn man daran denkt, dass wir 2003 das NPD-Verbotsverfahren damals ja insbesondere verloren haben, weil erst in Karlsruhe aufgedeckt wurde, dass eine Vielzahl von V-Mann-Informationen unerkannt eingeflossen ist in die Verfahrensunterlagen, dann kann man das sicherlich deutlich besser vermeiden, wenn nur noch an einer Stelle etwa V-Leute im Bereich von politischen Parteien, wie etwa hier der extremistischen NPD geführt werden. Das wäre aus meiner Sicht ein entscheidender Vorteil, und darüber bin ich mit meinen Ministerkollegen im Innenbereich in intensiver Diskussion.

Wuttke: Ab heute werden die Namen von gewaltbereiten Rechtsextremisten in einer Zentraldatei gebündelt. Ein erster Schritt, sagte im Interview der "Ortszeit" vom Deutschlandradio Kultur Jörg Geibert, der Innenminister von Thüringen. Ich danke Ihnen, schönen Tag!

Geibert: Ich danke Ihnen, Frau Wuttke, schönen Tag noch!


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