Neokolonialismus

Dünger fürs Denken

Von Ursula Rütten · 16.02.2014
Der unabhängige Drachen Verlag hat in der Edition "Akt 83-Reihe" ein Buch über das Fortwirken des kolonialen Denkens veröffentlicht. In der neuen Edition ThinkOya erscheint eine Reflexion über den "Aufbruch in die kollaborative Demokratie".
"Die Begrenztheit der demokratischen Freiheit des souveränen Subjekts im westlichen Denken beruht auf der Disziplinierung von Körper und Seele."
Resümiert Friederike Habermann in ihrem Buch "Der unsichtbare Tropenhelm". Der Untertitel - "Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht" - erläutert, was die Ökonomin und Politikwissenschaftlerin hinterfragt: Die in der Kolonialgeschichte angelegten Grundlagen der Konditionierung westlichen Denkens - also: unserer Köpfe.
"Tatsächlich wurde Weißsein im 19. Jahrhundert zur Einladungskarte, um sich in Europa den herrschenden Kolonial-Nationalstaaten ... zugehörig fühlen zu dürfen. Um soziale Unterschiede plausibel zu machen, bekam die Haut Farbe. Insbesondere die Gegensätzlichkeit von ‘weiß‘ und ‘schwarz‘ erwies sich als extrem nützlich in einer Sklavengesellschaft, wo die Herrschaft als weiß galt und die Sklaven als schwarz – unabhängig von den Variationen der tatsächlichen Hautfarbe. ‘Weiß‘ und ‘schwarz‘ wurden zu eingänglichen Bedeutungsträgern für ‘frei‘ und ‚unfrei‘, ‘oben‘ und ‘unten‘, ‘gut‘ und ‘böse‘ … Rassismus und Kolonialismus bildeten eine wesentliche Grundlage des Wohlfahrtsstaates."
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Friederike Habermann: "Der unsichtbare Tropenhelm"© Imprint Drachenverlag
Was hat die - Zitat - Erfindung der Rassen in längst für passé gehaltenen kolonialen Zeiten der vorindustriellen Gesellschaft mit der Disziplinierung von Körper und Seele von Menschen in demokratisch verfassten Gesellschaften der Gegenwart zu tun? Und wieso schränkt dieses ideologische Konstrukt der Erfindung der Rassen deren Souveränität ein? Und wird damit, so die Argumentationskette der Autorin, zur unabdingbaren Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise.
Habermann verknüpft schlüssig und gut nachvollziehbar Erkenntnisse mit alltäglichem Erleben. So zeigt sie beispielsweise auf, wie wir Weißen uns trotz aller verfassungsmäßig garantierten Freiheiten und Moralappelle zur political correctness verbiegen. Eben durch über Generationen verinnerlichte Ansprüche und durch Zuordnungen von ‘oben‘ und ‘unten‘.
Wo kommst du her? Bedeutet: Du nicht Weiß
Zum eigenen Schaden als:
"... durch und durch transparente und stets maximal motivierte Hochleistungsmitarbeiter"
... oder durch Verhaltensmuster wie zum Beispiel im - Zitat - "teutonischen Kreuzverhör":
"Sie finden die Frage, wo jemand herkommt, ganz normal. Oder auch nicht. …"
"Was meint der gemeine Teutone mit dieser Begrüßungsformel? ... Hinter dieser Frage verbirgt sich kein wohlmeinendes Interesse. … Wo kommst du her? Bedeutet: Du nicht Weiß. Weil du nicht Weiß, du nicht sein kannst deutsch. Also: Wo kommst du her? Ich sein Weiß, ich schon vorher hier, du gekommen später. Weil ich schon vorher hier, ich mehr Rechte. Außerdem impliziert die Frage ‘Wo kommst du her?‘ Gleich die zweite Frage: Wann gehst du wieder zurück?" (aus: Mutlu Ergün: "Kara Günlük. Die geheimen Tagebücher des Sesperado", Unrast Verlag, Münster 2010)
Als Akt 83 ist dieses anregende Büchlein von Friederike Habermann gekennzeichnet, das eine neue Reihe im Programm des Drachen Verlages im ost-vorpommerschen Klein-Jasedow eröffnete. "Dünger fürs Denken" ist ihr ins Mark treffende Motto. ThinkOya der Titel dieser Edition im engen redaktionellen Verbund mit der Zeitschrift Oya und der konkreten Utopie ihres Teams:
"…die Menschen zu ermutigen, selbst der Wandel zu sein, den sie in der Welt sehen möchten."
So der Herausgeber von Zeitschrift und Verlag Johannes Heimrath. Matthias Fersterer ist der Leiter des Drachen Verlages in Klein-Jasedow:
"Das ist ein kleines Dorf, das von Raumpionieren, könnte man sagen, wiederaufgebaut und besiedelt wurde. Hier gibt es eine Reihe kulturkreativer Initiativen und Unternehmen. Ich bin vor fünf Jahren hierhergezogen, weil ich eine starke Notwendigkeit gespürt habe, anders zu leben und anders zu arbeiten."
In einer solidarischen, auf Gemeingüter ausgerichteten Postwachstumsökonomie. Das umschreibt im Groben die Vision dieser Raumpioniere im Umfeld von Klein-Jasedow. Entsprechend ist auch das Themenspektrum der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift Oya ausgerichtet. Das bei der konstruktiven Kritik im Hier und Jetzt ansetzt und weit über romantisierende "Landlust"-Animation der stadtmüden Bionade-Bourgeoisie hinausreicht. Etwa mit Schwerpunktthemen wie "Gewalt und Verdrängung" oder über Alternativen zur repräsentativen Demokratie. Wobei durchweg eine solche Fülle an unverbrauchtem Recherchematerial anfällt, dass die Idee nahelag, dieses in einer Buchreihe tiefgreifender weiterzuentwickeln. Als Dünger fürs Denken. Um zum Beispiel auch dieses verinnerlichte koloniale Bewusstsein aufzumischen, wie es das Anliegen der Autorin Habermann ist. Oder von Jascha Rohr, der in Akt 127 zum Aufbruch in die kollaborative Demokratie anregt.
"Die Bücher sind wie kleine Ideenwerkstätten, die zu konkreten Handlungen anstiften wollen, zu Engagement, die Ansätze für ein gutes Leben konkret machen wollen."
Eine gute Zukunft braucht gutes Wasser
Soeben ist ein dritter Band in der Reihe ThinkOya erschienen: Die Wasser-Almende: Eine gute Zukunft braucht gutes Wasser für alle, von der kanadischen Wasseraktivistin Maude Barlow.
Missbrauch von Naturresourcen, Ausbeutung, Egoismus, Entfremdung, koloniales Denken – viele Gegenkräfte stellen sich dem Bedürfnis anders zu leben in den Weg. Anderes Denken wäre schon ein Fortschritt. Das will der Drachenverlag mit seiner neuen Buchreihe anstoßen. Matthias Fersterer glaubt fest daran,
"… dass Veränderung möglich ist. Und dazu möchten wir mit unseren Büchern anstiften, Impulse geben.
Es geht uns aber nicht nur darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen. Es geht uns auch darum, Ideen zu streuen, virulent zu machen, die wir für wichtig halten. Deshalb stehen diese Bücher der Akt-Reihe auch unter einer Creative-Commons-Lizenz, das heißt, die Inhalte dürfen frei weiter gegeben werden."

Friederike Habermann: Der unsichtbare Tropenhelm. Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht
thinkOya, Imprint Drachenverlag, Klein Jasedow, 2013,
90 bis 100 Seiten, Akt-Reihe hat einen einheitlichen Verkaufspreis von 10 Euro