Neil Young wird 70

Ein kompromissloser Zorniger

Ein Mann mit umgedrehter Baseballmütze und Gitarrengurt singt in ein Mikrofon.
Der kanadische Rockmusiker Neil Young - auf der Bühne gibt er alles. © dpa / Will Oliver
Von Laf Überland · 12.11.2015
Ein Solitär in der Rocklandschaft wird 70. Politisch korrekt war Neil Young nie. Dafür verbindet er Haltung und Sound auf einzigartige Weise. Laf Überland gratuliert einem hochsensiblen Sturkopf, Patrioten und ewigen Rebellen.
Neil - Percival - Young: Mit seiner Gitarre kam er aus Kanada in dieses diffuse kalifornische Kontinuum, das meinte, mit Songs könne man die Welt verbessern – spielte bei Buffalo Springfield, dann mit Crosby Stills und Nash – und brach dann auf, der große, singuläre Neil Young zu werden!
Jahrzehntelang galt er als "Mädchensänger" – aber nach einer Weile sprach sich herum, dass er eigentlich ein sentimentaler Zerstörer war: Ein unbeirrbarer Sänger, der definitiv nicht singen kann, aber vor allem: Einer der ausdrucksstärksten Gitarristen, die eigentlich gar nicht Gitarre spielen können (weshalb er früher zwölf Marshall-Verstärker hintereinander schaltete, bis der Sound nur noch ein elektrisches Röcheln war und das Ächzen und Quietschen der gequälten Seele...).
Geradlinig über die Schmerzgrenze
Neil Young war stets extremgeradlinig – und so kompromisslos, dass es immer wieder wehtat: Seine Experimente mit dem Gitarrensynthesizer waren nervtötend, seine Rockabilly-Platte war schmierig, die Science-Fiction-Disco-Spielereien nur albern. Andererseits stammt eines seiner allerbesten Heulerstücke von einem Album, das er komplett in betrunkenem Zustand aufgenommen haben soll.
Dies ist natürlich eine Liveversion, inzwischen ist er sowieso vor allem live so zuverlässig umwerfend: Wenn er mit seinen seit-40-Jahren-Kumpels von Crazy Horse zusammen spielt, mit seiner alten, schwarz angestrichenen und immer wieder reparierten Gibson Les Paul, die nur sieben Jahre jünger ist als er selbst. Manchmal spielt er eine Minute lang dieselbe Note, quält sie, zerrt an ihr, um dann wieder die Songs zu Gebirgen von Lärm zu zerfetzen. Zusammen mit dem anderen Gitarristen, Poncho Sampedro, wie ein mit Krallen bewehrter Schaufellader aus der Dampfmaschinenzeit wirken die beiden: so dicht beieinander, dass sie auf einem Bierdeckel stehen könnten... in E-Gitarren-Trance!
Neil Young hat den Finger immer mitten in die Wunden gelegt, die die Gier dem Menschen schlägt, der Fanatismus, die Hybris: Hat Songs über Indianerleben gemacht und über Naturzerstörung, über das faschistoide Alabama und Frauen schlagende Männer, über Drogen und Politiker, Terroristen und andere Mörder:
Und wenn ihn etwas ärgert, wird er sehr impulsiv, manchmal auch reaktionär – aber so sind sie, die amerikanischen Patrioten - wo Patriotismus ja tatsächlich Freiheit und Toleranz bedeutet!
Hammerhart und zart wie Porzellan
Dass er für seinen behinderten Sohn eine Scheune mit einer elektrischen Eisenbahn ausgebaut hat und jährlich ein Benefiz-Festival für behinderte Kinder organisiert und zusammen mit Willie Nelson eins für verarmte Farmer, daraus macht Neil Young kein großes Thema. Auch nicht daraus, dass er selbst immer schon gesundheitlich angeschlagen war. Er liefert einfach immer – seine absolute persönliche Wahrheit, wenn er Platten macht – und seine bestmögliche Leistung, wenn er vor Menschen spielt, mal china-porzellantassen-zart, mal presslufthammer-brutal.
Und für viele ist dieser Mann ein nervtötender Irrer! Aber für andere ist er ein Heiliger: der letzte kompromisslose und authentische zornige junge Mann – egal, wie alt er dem Papier nach heute wird.
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