"Natürliches" Vanillin

Altpapier und Kuhdung liefern Vanillegeschmack

Eine Packung Vanilleeis
Eine Packung Vanilleeis: Der Vanillin-Bedarf ist aus den Schoten längst nicht zu decken. © dpa / picture alliance / Marius Becker
Von Udo Pollmer · 22.04.2016
Die Vanille-Preise steigen an, der Grund sind schlechte Ernten der empfindliche Orchidee. Liebhaber von Vanille-Eis können aber aufatmen: Es wird nicht teurer. Denn Lebensmittelchemiker haben längst "natürliches" Vanillin entwickelt, das aus Kuhdung, Altpapier oder Holz generiert wird.
Weltweit werden pro Jahr gut 15.000 Tonnen reines Vanillin erzeugt - mit den Mitteln moderner Chemietechnik. Dagegen sind die Mengen, die in Vanilleschoten heranreifen, verschwindend gering: Die gesamte Ernte enthält in einem guten Jahr rein rechnerisch allerhöchstens 50 Tonnen Vanillin. Um ein Kilo Vanillin aus echten Schoten extrahieren zu können, muss man vorher 40.000 Blüten per Hand bestäubt haben.
Nach der Ernte riechen die grünen Schoten noch nach nichts. Ihren typischen Duft verströmen sie erst nach einer aufwendigen Fermentierung. Dabei entwickeln sie ihre schwarze Färbung. Die Pflanze selbst ist eine empfindliche Orchidee. Immer wieder kommt es durch Krankheiten zu Missernten oder Tropenstürme vernichten die Plantagen.

Konsumenten wollen das natürliche Aroma

Natürlich wollen die Konsumenten stets das echte, das natürliche Aroma der Orchidee, möglichst Bourbonvanille aus Reunion oder Madagaskar - und nicht das synthetische Zeugs aus dem Labor. Auf Druck von Verbraucherschützern versprach der Lebensmittelgigant Nestle, in den USA nur noch natürliches Vanillin verwenden zu wollen. In England feiern Konsumentenverbände, dass sie Hershey, einen der weltgrößten Schokoladenhersteller, genötigt haben, dem Vorbild von Nestle zu folgen.
Da es die erforderlichen Mengen an echter Vanille nirgendwo auf dem Weltmarkt gibt, müssen sich die Firmen etwas einfallen lassen. Wenn man die Kunden nicht aus ihren süßen Träumen wecken will und die Verbraucherschützer ob ihrer Naivität nicht bloßstellen möchte, hilft nur eins - mehr Kreativität.
Die Biotechnologen sind längst von der empfindlichen Orchidee abgerückt. Sie ernten lieber robuste Fichten. Das Lignin im Fichtenholz muss nur noch mit einem Kupferkatalysator oxidiert werden und schon liefern 100 Kilo Holz drei Kilo Vanillin. Aus dem Rest wird Cellulose gewonnen. Da Bäume natürlich sind, handelt es sich aus Sicht des norwegischen Herstellers um ein natürliches Aroma.

Erforderliche Menge an echter Vanille gibt es nicht

Auch Deutschland hat kreative Köpfe. Aus Hannover kommt ein Verfahren, den Farbstoff Curcumin aus der Gelbwurz mit etwas Chemie und drei Enzymen in den Duftstoff Vanillin zu verwandeln. Das erste Enzym stammt aus Candida-Hefe, das zweite aus einem ungenießbaren Pilz namens Blasse Borstentramete - sie gedeiht auf totem Holz - und das dritte aus dem Braunen Kräuter-Seitling, ein Speisepilz.
Dänischen Gentechnologen ist das zu umständlich. Sie griffen sich die Bäckerhefe und bestückten sie hintereinander mit den Genen eines dungfressenden Pilzes, einer Bazille aus Feuchtbiotopen, einer Pflanze namens Gänserauke - und mit einem menschlichen Gen, das ebenfalls ein Enzym bereitstellt. So liefert die Hefe auf direktem Wege "natürliches" Vanillin, eines, das nicht mal mehr "körperfremd" ist.

Vanillin aus alten Zeitungen

Die Nase vorn haben Forscher aus Schanghai. Sie designten eine neue Sorte Escherichia Coli; der Darmkeim ist jetzt durch allerlei Fremdenzyme in der Lage, Vanillin auch aus besonders billigen Rohstoffen zu fertigen. Man kann ihn sogar mit Glycerin füttern. Glycerin fällt bei der Herstellung von Rapsdiesel an und wird bisher an Rinder verfüttert. Nun gibt es dank Biodiesel nicht nur die Milch für den Vanillejoghurt, sondern auch das passende Aroma dazu.
Generell mangelt es der Aromenwirtschaft nicht an Umweltbewusstsein: Ein großer französischer Anbieter hat einen Weg gefunden, Vanillin aus alten Zeitungen herzustellen. Ein echtes Öko-Aroma also. Wer sich klimabewusst ernähren will, schleckt mit gutem Gewissen Eis mit dem feinen Geschmack aus Altpapier.
Getoppt wird das Öko-Aroma von der Erfindung einer pfiffigen Japanerin: Sie nutzt als Rohstoff Kuhfladen. Rinder können das Lignin in ihrem Futter nicht verdauen, schließen es aber auf. So benötigt man bei der Verarbeitung weniger Energie als beispielsweise für frisches Fichtenholz. Damit kann der Wunsch des Verbrauchers nach einem umweltfreundlichen, natürlichen und zugleich preiswerten Wohlgeruch elegant erfüllt werden. Und die Preisschwankungen der exotischen Vanilleschoten können uns gestohlen bleiben. Mahlzeit!
Literatur:

Die Welt: Vanille-Preise schnellen in die Höhe, 09.04.2016
Michail N: Can firms clean up vanillin’s clean label image amid natural supply shortages?. Food Navigator 4. April 2016
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