"NATO und die EU und Russland näher zueinander bringen"

Jaak Aaviksoo im Gespräch mit Ute Welty · 18.01.2011
Der Verteidigungsminister Estlands, Jaak Aaviksoo, hat sich für eine weitere Annäherung zwischen NATO, EU und Russland ausgesprochen. Das Verhältnis zum großen russischen Nachbarn sei aber "gespannter als wir es gehofft haben vor, sagen wir, 20 Jahren".
Ute Welty: "David und Goliath: Ein kleines Land und die Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts", mit diesen Worten ist sie überschrieben gewesen, die Rede des estnischen Verteidigungsministers bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Guten Morgen, Jaak Aaviksoo!

Jaak Aaviksoo: Ja, guten Morgen!

Welty: Wen Sie mit David meinen, das ist nicht so schwer zu erraten, aber wen genau meinen Sie mit Goliath – Deutschland, Russland, die EU oder dann doch die NATO selbst?

Aaviksoo: Ja, es gibt mehrere Goliaths, was Sie gerade gemerkt haben. Es ist nicht so wichtig, wer der Goliath ist zurzeit. Wir müssen - die Kleinen müssen es verstehen, dass es die Goliaths gibt, und eine Überlebensstrategie braucht man ohnehin.

Welty: Das schwierigste Verhältnis hat Estland sicherlich zu Russland. Sie selbst sagen, für Sie ist der Zweite Weltkrieg erst 1994 zu Ende gegangen, mit dem Abzug der russischen Truppen aus Estland. Auf der anderen Seite nähern sich die NATO und Russland immer weiter an. Haben Sie die Sorge, im Rahmen dieser Annäherung erdrückt zu werden?

Aaviksoo: Nein, eigentlich nicht, eher umgekehrt. Ich denke, dass wir alles tun müssen, um die NATO und die EU und Russland näher zueinander bringen, aber fällt es einfach nicht leicht, und das hat seine Gründe.

Welty: Wie würden Sie denn Ihr heutiges Verhältnis, also das estländische, zu Russland beschreiben wollen?

Aaviksoo: Leider gespannt, oder sagen wir, gespannter als wir es gehofft haben vor, sagen wir, 20 Jahren, weil eben vielleicht in baltischen Ländern, auch in Estland, es in eine Richtung gegangen ist, aber in Russland ist es immer noch widersprüchlich. Also einerseits geht es weiter, die Demokratisierung und auch wirtschaftliches Wachstum, aber andererseits gibt es Signale, die zeigen, dass alles nicht so fließend läuft, wie wir gehofft haben. Und leider sehen wir auch Spannungen im Sicherheitsbereich, also die Verhältnisse seit 2007, die Cyber-Angriffe, dann später Georgien, das zeigt, dass alles nicht so schön ist, wie wir hoffen.

Welty: Inwieweit können Sie denn eben als kleines oder kleineres Land Einfluss nehmen auf diese Situation?

Aaviksoo: Ja, also müssen wir eigentlich.

Welty: Ja, ich frage ja nach können.

Aaviksoo: Und können, also klar können wir auch. Also einerseits die Zusammenarbeit im Rahmen der EU und NATO, das geht ja weiter, andererseits sind wir auch daran interessiert, dass die Beziehungen zwischen EU und NATO mit Russland sich weiterentwickeln. Und da haben wir einiges erlebt und kennen auch vielleicht Russland besser als unsere Partner in EU und NATO. Einerseits hilft es uns in der Zusammenarbeit, andererseits haben wir auch Ängste vielleicht, die man abbauen muss im Laufe des wachsenden Vertrauens.

Welty: Welche sind das, welche Ängste?

Aaviksoo: Zum Beispiel: Also wir sehen, dass die militärische Präsenz in der Nähe von estnischen und auch lettischen, litauischen Grenzen wächst. Wir wollen es wissen, warum es geschieht, geht in die Richtung, nicht umgekehrt. Na klar, also ich habe auch Verständnis für die Russen, die wissen, dass die NATO näher und näher kommt, das kann ich schon verstehen, dass die Russen – nicht nur in der Regierung, sondern auch einfache Russen – Angst haben davor. Also es ist gegenseitig, es hängt nicht nur von den Esten oder Litauern oder Polen ab.

Welty: Ist das eine Botschaft, die Sie auch im Gepäck haben, wenn Sie heute Ihren deutschen Amtskollegen, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, treffen?

Aaviksoo: Ja, das ist so eine allgemeine Position, aber wir haben auch viel Konkretes zu diskutieren, weil wir ... Die Zusammenarbeit zwischen Estland und Deutschland im Verteidigungsbereich, das entwickelt sich ziemlich gut, also zurzeit ist Luftwaffe im baltischen Raum, verteidigen unseren Luftraum, gleichzeitig sind die deutschen Offiziere im baltischen Verteidigungskolleg tätig.

Welty: Sie haben es gerade schon angesprochen: Estland hat ja eine Erfahrung schon gemacht, die der NATO als Ganzes bisher erspart geblieben ist, die Erfahrung eines Cyber-Angriffes, als 2007 die Webseiten der Regierung gehackt wurden. Sie denken jetzt sogar über eine Wehrpflicht nach für Computerspezialisten nach einem solchen Fall. Glauben Sie, dass Sie den deutschen Verteidigungsminister für eine solche Idee begeistern könnten? Der hat die allgemeine Wehrpflicht ja gerade ausgesetzt beziehungsweise abgeschafft.

Aaviksoo: Im Cyber-Bereich, da haben wir wirklich einige Schritte gemacht, aber eigentlich nur überlegt, ob so eine Möglichkeit denkbar wäre, dass wir nicht so einfache Ausbildung in Landestruppen haben, sondern auch Cyber-Soldaten ausbilden im Rahmen der Wehrpflicht. Also heutzutage ist es nur ein Denken, aber wer weiß, also in fünf oder zehn Jahren.

Welty: Aber müsste diese Entwicklung eigentlich nicht viel schneller gehen? Also von einem möglichen Cyber-Angriff spricht die NATO ja schon seit mehreren Jahren.

Aaviksoo: Ja, also wir wissen sehr gut, dass das ... Im Cyber-Bereich braucht man wirkliche Spezialisten, und es ist nicht so einfach, Soldaten, sagen wir, sechs oder acht oder zehn Monaten auszubilden.

Welty: Aber das NATO-Cyber-Verteidigungszentrum in Tallinn in Estland, das reicht Ihnen auch noch nicht?

Aaviksoo: Wie rasch, wie schnell die Entwicklungen in den Cyber-Bereich reingehen, wissen wir nicht. Andererseits ist aber klar, dass wenn vielleicht konventionelle Konflikte unwahrscheinlich sind, sind Konflikte im Cyber-Bereich eher wahrscheinlich als nicht wahrscheinlich.

Welty: Der estnische Verteidigungsminister zu Besuch in Berlin und im Interview mit Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank, Herr Aaviksoo, und einen guten Tag wünsche ich!

Aaviksoo: Danke Ihnen!
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