NATO

Angebot an die ehemaligen Ostblock-Staaten

Von Wolfgang Stenke · 10.01.2014
In den mehr als sechs Jahrzehnten ihrer Geschichte hat die NATO eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit gezeigt. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des Ostblocks wurde sie schon totgesagt. Doch dann erfand die transatlantische Allianz sich neu: Dazu gehört auch die "Partnerschaft für Frieden", die am 10. Januar 1994 proklamiert wurde.
"We shall not leave you alone. We care about your security!"
Das Solidaritätsversprechen, mit dem NATO-Generalsekretär Manfred Wörner am 10. Januar 1994 beim Gipfeltreffen des Nordatlantikpaktes in Brüssel vor die Presse trat, richtete sich an die Staaten Ostmitteleuropas. Es war die Zeit nach der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes. Der Abzug der letzten russischen Truppen aus Ostdeutschland sollte im Oktober 1994 stattfinden. Sowohl die NATO als auch Polen, Tschechien, Ungarn und die baltischen Republiken suchten nach Sicherheitskonzepten, die der neuen Lage Rechnung trugen. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitglieder präsentierten auf ihrem Treffen im Brüsseler Hauptquartier eine Initiative, die sie "Partnerschaft für Frieden" nannten, Klaus Kinkel, damals Außenminister der Bundesrepublik:
"Es geht um eine Zusammenarbeit, die unterhalb der Beistandsverpflichtung des NATO-Vertrages bleibt. Es geht um eine Zusammenarbeit, die gegenseitige Konsultationen vorsieht, gemeinsame Manöver, die gemeinsame Vorbereitung von Friedensaktionen bedeutet und noch ein paar Dinge mehr. Das wird in etwa der Rahmen sein, um den es im Augenblick geht."
Kinkel und die anderen NATO-Kollegen, an der Spitze US-Präsident Bill Clinton, spielten auf Zeit. In ihrem Kommuniqué empfahlen sie zwar, die Allianz für die Mitgliedschaft weiterer europäischer Staaten offenzuhalten, zugleich aber ging es darum, vor der Begrüßung von Neuzugängen erst einmal das Verhältnis zu Russland zu stabilisieren. Freundliche Worte schickte man deshalb in Richtung Moskau:
"Wir bekräftigen unsere Unterstützung für politische und wirtschaftliche Reformen in Russland und begrüßen die Annahme einer neuen Verfassung sowie die Durchführung demokratischer Parlamentswahlen durch die Bevölkerung der Russischen Föderation."
Im Zuge der "Perestrojka" hatte Moskau seine Bastionen in Ost- und Mitteleuropa geräumt. Die Breschnew-Doktrin, die jedes Ausscheren aus dem sozialistischen Lager mit sowjetischer Intervention bedrohte, war – nach einer Formulierung des Sprechers des sowjetischen Außenministers Schewardnadse – durch die "Sinatra-Doktrin" ersetzt worden. Wie Frank Sinatra in seinem Gassenhauer, folgten ehemalige Sowjetrepubliken und alte Vasallen Moskaus nun dem eigenen Kurs.
Doch auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fürchtete man in Warschau, Budapest, Prag oder Tallin die alte Hegemonialmacht Russland. Unter diesem Vorzeichen wertete der estnische Staatspräsident Lennart Meri das NATO-Angebot einer "Partnerschaft für Frieden" als wachsweichen Kompromiss:
"Ich habe die Befürchtung, dass, wenn die demokratische Welt einen Abstand von Mitteleuropa nimmt – und Estland gehört ja mit der Tschechoslowakei, mit unserem Bruderstaat Ungarn zu Mitteleuropa -, dann könnte eben das als ein falsches Signal gedeutet werden, dass dies Gebiet Mitteleuropa, als ob es zu der Interessenssphäre Russlands gehört. Und das möchte ich vermeiden."
Eine bloße "Partnerschaft für Frieden" ohne verbindliche Sicherheitsgarantien war den jungen mitteleuropäischen Demokratien zu wenig. Sie strebten direkt in die NATO. Russland sah durch die NATO-Osterweiterung seine Interessen bedroht. Die NATO aber lud weiter zu gemeinsamen Konsultationen. 1997 wurde in Paris die "Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit" unterzeichnet. Das Abkommen führte zur Bildung des "Ständigen NATO-Russland-Rates". Er sollte die Basis einer dauernden Partnerschaft bilden.
Die Kosovo-Krise und der Georgien-Konflikt legten das Gremium zeitweise lahm - Zeichen der fortdauernden Labilität des Verhältnisses zwischen Russland und der NATO. Was Präsident Putin grundsätzlich von den Plänen der westlichen Allianz hielt, gab er schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt" zu Protokoll:
"Ich bin überzeugt, dass kein Staat der Welt der Erweiterung eines militärischen Blocks, dem er nicht angehört, warme Gefühle entgegenbringen würde. Es ist natürlich, dass Russland die Pläne der NATO als feindlich, seiner Sicherheit entgegenstehend ansieht."