"Nationale Verantwortung"

David McAllister im Gespräch mit M. Steinhage und H. Wimmersberg · 27.11.2010
Ministerpräsident David McAllister (CDU) hat die besondere Verantwortung Niedersachsens bei der Atommüll-Endlagerung betont. Bei der Asse sieht er den "Beginn eines Diskussionsprozesses". Für Gorleben will er ein "ergebnisoffenes" und "transparentes Verfahren" unter Einbeziehung der Betroffenen.
Deutschlandradio Kultur: Herr McAllister, mal unterstellt, dass die von der Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke jetzt tatsächlich Gesetz wird, dann hat das ja auch zur Folge, dass die Menge an radioaktivem Müll auch deutlich zunehmen wird. Damit wächst auch wiederum das Risiko für Niedersachsen, dass Sie noch mehr Atommüll lagern müssen. Gleichwohl sagen Sie ja auch Ja zur Laufzeitverlängerung. Warum eigentlich?

David McAllister: Deutschland ist Industrieland und die Menschen in Deutschland brauchen eine Energieversorgung, die bezahlbar ist. Deshalb ist die Frage der Energieversorgung eine ganz zentrale Weichenstellung für unsere Zukunft. Die Energieversorgung in Deutschland muss bezahlbar bleiben. Sie muss ökologisch verträglich sein. Und sie muss Versorgungssicherheit bieten. Deshalb fand ich es richtig, dass diese Bundesregierung den Mut hatte, ein Energiekonzept für die nächsten Jahrzehnte auf den Weg zu bringen. Diese Bundesregierung hat den Mut, den andere Bundesregierungen vorher nicht hatten.

Über einzelne Details des Energiekonzepts kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Das sind wir in Niedersachsen auch. Aber die Gesamtstrategie ist richtig. Wir betrachten die Kernenergie, wie die Bundesregierung auch, als Brückentechnologie, als Brückentechnologie in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, aber wir brauchen die Kernenergie für einen längeren Zeitraum, als das bisher ursprünglich geplant war. Deshalb ist die moderate Laufzeitverlängerung von 8 Jahren für die älteren Meiler und 14 Jahren für die jüngeren Meiler politisch vertretbar.

Deutschlandradio Kultur: Nach den aktuellen Planungen werden ja eines Tages, wenn es dabei bleibt, drei von vier bundesdeutschen Endlagern für Atommüll in Niedersachsen liegen. Glauben Sie eigentlich als niedersächsischer Ministerpräsident, dass Sie diesen Schwarzen Peter noch mal loswerden?

David McAllister: Wir tragen in Niedersachsen nationale Verantwortung im Bereich der Endlagerung. Das sind politische Entscheidungen, die in den 60er und 70er-Jahren getroffen wurden. Bei den drei Lagerstätten muss man die Dinge differenziert betrachten. Schacht Konrad ist endgültig rechtskräftig planfestgestellt. Hier geht es darum, in den nächsten Monaten endlich zu einem regionalwirtschaftlichen Ausgleich für die Region zu kommen. Da sind wir zusammen mit der Stadt Salzgitter in intensiven Verhandlungen mit dem Bundesumweltminister.

Bei der Asse stehen wir erst am Anfang eines Prozesses. Ich begrüße sehr, dass Bundesumweltminister Röttgen erklärt hat, dass er die Rückholbarkeit der Fässer konkret testen will. Und wir werden nach Abschluss dieser Pilotphase Klarheit haben, ob die Fässer rückgeholt werden können, wie viele der Fässer zurückgeholt werden können. Sollte das der Fall sein, dann stehen wir allerdings erst am Beginn eines Diskussionsprozesses - wohin mit den Fässern? - und nicht am Abschluss. Trotzdem brauchen die Menschen in und um die Schachtanlage Asse Klarheit.

Und bei Gorleben ist es so: Gorleben wird ergebnisoffen zu Ende erkundet, ob es als Endlager für den deutschen atomaren Müll geeignet ist oder nicht. "Ergebnisoffen" bedeutet, dass das Ergebnis halt noch nicht feststeht. Darauf legen wir in Niedersachsen sehr großen Wert. Ich denke, wir brauchen mindestens noch sieben Jahre, um Gorleben zu Ende zu erkunden, vielleicht auch länger. Sorgfalt geht hier vor Eile. Und wir brauchen vor allen Dingen ein transparentes Verfahren unter Einbeziehung der betroffenen Menschen und der Kommunen unter internationaler Begleitung eines Expertenteams.

Und wenn Gorleben tatsächlich als Endlager geeignet sein sollte, dann wird Gorleben auch das nationale Endlager. Sollte Gorleben nicht geeignet sein, muss unverzüglich mit einer neuen Standortsuche begonnen werden.

Deutschlandradio Kultur: Ich vermute mal, dass Sie jetzt als gelernter Jurist, der Sie ja sind, sagen werden: Verträge sind einzuhalten, auch Verabredungen müssen eingehalten werden. Gleichwohl die Frage: Würde es nicht wirklich Sinn machen, jetzt parallel nach anderen Standorten zu suchen, erstens damit eine Art Präjudiz für Niedersachsen wegfällt. Und zweitens haben wir ja auch - Sie haben selber die Zeitschiene genannt - das Problem, dass wir irgendwann, auf gut Deutsch gesagt, zu Potte kommen müssen. Wenn es wieder zehn, 15 Jahre dauert mit einem anderen Standort, wenn man bei Null anfängt, dann haben wir auf einmal 2025. Da wird die EU nicht mitspielen wollen.

David McAllister: Die letzten 10 Jahre haben wir deshalb verloren, weil es ein Moratorium gab von der rot-grünen Bundesregierung, wo gar nichts passiert ist.

Deutschlandradio Kultur: Gut, das war gestern.

David McAllister: Ja, aber ich sag mal, dass wir die jetzt wieder zehn Jahre verloren haben, ist eine politische Entscheidung von Rot-Grün. Die haben es sich nämlich sehr leicht gemacht. Die haben in den zehn Jahren gar nichts getan, haben das Problem also vertagt auf die nächste politische Generation. Das kann ja nicht die Antwort auf unsere politischen Fragen sein.

Am Standort Gorleben sind bereits 1,5 Mrd. Euro investiert worden in die Erkundung. Das darf man ja nicht vergessen. Und seit vielen Jahren und Jahrzehnten beschäftigen sich ja auch Geologen mit dem Thema. Deshalb bleibe ich bei meiner Position: Es ist richtig, dass das Moratorium aufgehoben wurde. Es ist richtig, dass Gorleben jetzt zu Ende erkundet wird. Ergebnisoffen heißt halt, das Ergebnis steht nicht fest. Und sollte Gorleben nicht geeignet sein - und das kann niemand momentan vorhersagen, keiner weiß, ob Gorleben geeignet sein wird oder nicht, deshalb machen wir ja gerade diesen Erkundungsprozess -, sollte Gorleben nicht geeignet sein, muss unverzüglich mit einer neuen alternativen Standortsuche begonnen werden. Manche sagen auch, spätestens dann.

Deutschlandradio Kultur: Was schwebt Ihnen denn als Alternative vor? Sie haben ja nach dem letzten umstrittenen Castor-Transport ja schon angeregt, dass man auch nach Alternativen Ausschau halten müsste.

David McAllister: Also, die Alternativen zum Salz sind Granit oder Ton. Da gibt es entsprechendes öffentlich zugängliches Kartenmaterial. Alle wissen, dass es alternative Suchräume auch in anderen Bundesländern gibt, nicht nur in Niedersachsen. Es gibt welche im Osten Deutschlands, aber auch im Süden Deutschlands. Aber meine Strategie ist es, jetzt nicht die bundesweite Standortsuche wieder von vorne anzufangen, sondern wir sollen jetzt erst mal Gorleben zielgerichtet zu Ende erkunden. Aber, wie gesagt, ergebnisoffen.

Angesichts des letzten Castor-Transportes war mein Hinweis bezogen auf die Zwischenlagerung. Wir sind ja völkerrechtlich verpflichtet, die Abfälle aus La Hague in Frankreich in Deutschland zwischenzulagern. Das tun wir in Gorleben. Ich finde, auch angesichts der Erfahrungen, die wir beim letzten Castor-Transport gesammelt haben, sollte man wenigstens prüfen, ob es auch Alternativen zur Zwischenlagerung in Gorleben gibt, wohl wissend, dass das vermutlich rechtlich schwierig sein wird umzusetzen. Aber ich bin sowieso immer ein Gegner, wenn in der Politik gesagt wird, dieses und jenes sei ohne Alternative, sondern man sollte schon Alternativen zu den Castor-Transporten wenigstens in Erwägung ziehen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ministerpräsident, Niedersachsen setzt auf erneuerbare Energien und ist bei der Windenergie die Nummer eins in Deutschland. 25 Prozent des deutschen Windstroms werden in Niedersachsen produziert. Ihr Land hat auf der anderen Seite auch drei Atomkraftwerke, die im Zuge der Laufzeitverlängerung nun länger am Netz bleiben, als ursprünglich vorgesehen. Aus beiden Energiequellen gleichzeitig Strom einzuspeisen, überfordert das Netz. Hat daher der billige Atomstrom weiter Vorrang vor dem teureren Windstrom? Wie ist da Ihre Position?

David McAllister: Ich bin ein klarer Befürworter des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien, insbesondere der Offshore-Windenergie. Das ist eine Riesenchance für uns an der Küste. Wir in Niedersachsen haben den Wind. Andere in Deutschland machen Wind. Das ist ein großer Unterschied. Wir haben den Wind und wir wollen diesen Wind auch tatkräftig nutzen.

Der Ausbau der Offshore-Windenergie ist ein gigantisches Vorhaben. Da stößt die Wirtschaft auf große technische Herausforderungen und auch finanzielle Herausforderungen. Und wir sind schon etwas in Zeitverzug geraten mit den ursprünglichen Planungen zum Ausbau der Offshore-Windenergie. Und deshalb brauchen wir hier auch finanzielle Unterstützung. Und jetzt hängt das eine mit dem anderen zusammen. Mit der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke gibt es ja zusätzliche Einnahmen für den Bund durch die Brennelementesteuer und zum Zweiten durch den Fond, der eingerichtet wird. Und diese Gelder sollen ja auch zielgerichtet für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und für die Erforschung der erneuerbaren Energien eingesetzt werden. Insofern profitiert die Branche von der Laufzeitverlängerung, weil, nur mit der Laufzeitverlängerung gibt es ja diese zusätzlichen Mittel.

Beispielsweise das Fünf-Milliarden-Bürgschaftsprogramm für den weiteren Ausbau der Windenergie, das ja Teil des Energiekonzepts der Bundesregierung ist, wäre sicherlich ohne Laufzeitverlängerung so nicht denkbar gewesen. Also, ich teile diese Bedenken nicht und ich halte sie auch eher für politisches Kalkül, wenn solche Argumente vorgetragen werden.
Die eigentliche Herausforderung für den weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie findet übrigens nicht auf hoher See statt, sondern an Land. Wir brauchen einen weiteren Ausbau der Stromnetze. Wir brauchen den weiteren Ausbau der 380-KV-Leitungen. Und da sind wir in Niedersachsen ganz besonders betroffen, zum einen durch die Leitung von Wahle nach Mecklar durch Südniedersachsen, wie auch die von Diepholz nach Ganderkesee. Und wir merken jetzt bei den Planungen für die Trassen, die angehen, dass das auch auf erhebliche Vorbehalte bei den betroffenen Menschen stößt.

Und noch einen Satz zur politischen Konkurrenz: In keinem Politikfeld argumentieren insbesondere die Grünen so unehrlich, wie in der Energiepolitik. Sie sind gegen Kernenergie. Sie sind gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke. Sie beklagen die Vermaisung der Landschaft durch den Bau von Bio-Gasanlagen. Sie haben mittlerweile eine kritische Haltung vielerorts zum weiteren Bau von Windparks auf dem Land. Sie sind für den Ausbau der Offshore-Windenergie, wie wir auch, aber spätestens beim Bau der 380-KV-Leitungen stehen sie wieder an der Spitze der Protestbewegungen.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mit den Grünen ist in der Energiepolitik kein Staat zu machen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja gerade schon davon gesprochen, dass wir natürlich für den Strom, der durch die Windenergie ja gewonnen wird, auch ein größeres Stromnetz brauchen. Wollen Sie denn jetzt vielleicht auch beim Ausbau der Stromtrassen - weil, vieles muss ja über Land gegen, das ist ja auch billiger als wenn man es in der Erde verbuddelt -, wollen Sie da auch so transparente Verfahren durchführen? Wie stellen Sie sich auf den Bürgerprotest ein?

David McAllister: Die Verfahren laufen ja bereits. Das Raumordnungsverfahren für die Trasse ungefähr von Peine bis zur Landesgrenze nach Hessen ist mitten im Gang. Wir haben insgesamt für diese neue 380-KV-Leitung 22.000 Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern erhalten, davon 14.000 aus Niedersachsen. Das ist schon sehr ernst zu nehmen. Und das kann man auch nicht einfach so beiseiteschieben. Ich nehme das überhaupt nicht auf die leichte Schulter. Der rechtliche Rahmen ist klar. Wir haben raumordnungsrechtlich Mindestabstandsgebote bei Wohnbebauung geschlossener Art, bei Einzelbebauung und auch bei auch naturschutzmäßig sensiblen Gebieten. Und darauf muss Rücksicht genommen werden. Und dort, wo das nicht anders geht, werden wir zur Auflage machen, dass Erdverkabelung vorgenommen werden muss.
Unabhängig davon, meine ich, sollten wir auch über Alternativen zum Neubau von 380-KV-Hochspannungsleitungen noch mals intensiver uns Gedanken machen.

Deutschlandradio Kultur: Was kann das sein?

David McAllister: Ich bin letzte Woche bei Kommissar Oettinger gewesen in Brüssel und habe ein gut einstündiges Gespräch zu allen wesentlichen energiepolitischen Fragen geführt. Und Kommissar Oettinger hat mir berichtet, dass es auch in Spanien, in Frankreich und in Österreich Protest gibt gegen den Bau neuer 380-KV-Leitungen. Es ist also ein EU-weites Thema. Und wir waren uns einig, dass es sicherlich für die Akzeptanz hilfreich wäre, wenn man wenigstens geprüft hätte, warum Alternativen tatsächlich ausscheiden.

Alternativen könnten sein, die Stromtrassen entlang von bestehenden Infrastrukturachsen zu bauen, also, entlang von Bahnstrecken, Autobahnen, oder auch die Alternative der Flussverkabelung sollte wenigstens mal geprüft werden. Mir sagen viele Fachleute, dass die ganzen Alternativen ausscheiden, aber so richtig hundertprozentig überzeugt mich das noch nicht. Und da wäre sicherlich auch eine gutachterliche Stellungnahme der Europäischen Union hilfreich. Kommissar Oettinger hat ein solches Gutachten jetzt in meinem Beisein versprochen und angekündigt. Und vielleicht gibt's dann ja noch einen neuen Erkenntnisgewinn.

Deutschlandradio Kultur: Aber auch da wird natürlich die Zeit drängen. Der Offshore-Park Alpha Ventus vor Borkum produziert ja schon, und produziert ja Energie vor allen Dingen für den Süden und Westen in Deutschland. Also, da muss ja die Energie irgendwie hinkommen.

David McAllister: Das Thema Netzausbau wird eine der ganz zentralen Weichenstellungen für die Zukunft. Und da sind Bund, Länder, Kommunen und übrigens auch die Netzbetreiber tatsächlich gefordert, auch flexibel auf die Wünsche der betroffenen Menschen zu reagieren.

Deutschlandradio Kultur: Ich nehme noch mal das Stichwort, was ja jetzt schon sozusagen mitschwebt – "Bürgerproteste" -, auf. Es gibt Protestbewegungen ja nicht nur gegen die Castor-Transporte im Wendland, es gibt sie gegen Stuttgart 21. Es gibt sie gegen die Flugrouten am künftigen Flughafen Berlin-Brandenburg International. Neu an diesem Widerstand ja nicht nur in Stuttgart ist, dass er nicht von den Rändern der Gesellschaft kommt, sondern auch ganz wesentlich aus der Mitte der Gesellschaft, sprich, aus bürgerlichen Schichten. Das heißt zugespitzt: Da tut sich möglicherweise ein Riss auf zwischen Politik und Bevölkerung. Sehen Sie das auch so? Und falls ja, was wollen Sie dagegen tun?

David McAllister: Das sehe ich in dieser Dramatik so nicht. Bürgerschaftliches Engagement für und gegen etwas hatte es schon immer gegeben. Das ist auch ausdrücklich in einer Demokratie erforderlich und gewünscht. Neu ist sicherlich die Intensität des Protests gegen Infrastrukturvorhaben. Meines Erachtens sind die bestehenden Planungsinstrumentarien ausreichend. Deutschland steht ja international nicht im Verdacht, Infrastrukturvorhaben zu schnell zu planen. Im Gegenteil, im internationalen Vergleich gelten unsere Planungsverfahren eigentlich als sehr lange, viele sagen, zu lange.

Deutschlandradio Kultur: Sind sie denn auch transparent genug nach Ihrem Dafürhalten?

David McAllister: Ich halte auch die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger und für die Träger öffentlicher Belange auch für ausreichend. Wir haben bei den großen Infrastrukturvorhaben stets die Möglichkeit, dass alle diejenigen, die in ihren Rechten betroffen sind oder meinen, in ihren Rechten betroffen zu sein, sich zu Wort melden können, die sich äußern können. Wir haben auch die Möglichkeit des Rechtsweges, gegen Planungsentscheidungen vorzugehen. Ich halte die Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger, für die Verbände und für die Träger öffentlicher Belange auch für ausreichend.

Was wir lernen müssen, gerade auch aus der Diskussion um Stuttgart 21, ist: Die Politik muss die Notwendigkeit von großen Infrastrukturvorhaben noch besser, noch intensiver und noch transparenter erklären, als das bisher ohnehin der Fall war. Meine These ist: Deutschland ist Industrieland. Deutschland muss Industrieland bleiben, weil, nur deshalb haben wir in Deutschland einen so hohen Wohlstand. Und deshalb sind wir in Deutschland besser durch die Krise gekommen als andere. Wenn wir aber Industriestandort, wenn wir Wirtschaftsstandort bleiben wollen, dann brauchen wir auch zukünftig eine attraktive Verkehrsinfrastruktur und ebenso eine Energieversorgungsinfrastruktur.

Industrie folgt Energie. Und Industrie braucht Mobilität. Und diese Zusammenhänge gehen einem zwar kleinen, aber größer werdenden Teil der Bevölkerung in Deutschland meines Erachtens zunehmend verloren. Und deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Zukunft des Industrie- und Wirtschaftsstandortes Deutschland, übrigens eine Debatte, die nicht nur die Politik alleine führen kann. Sondern wir brauchen hier die Wirtschaft, die Verbände, die Kammern, die Unternehmer an unserer Seite und ebenso auch die Industriegewerkschaften.

Deutschlandradio Kultur: Die Bürgerproteste, die es jetzt allerorts gegeben hat gegen Großprojekte oder gegen den Castor-Transport jetzt neulich, haben ja auch deutlich gemacht, dass die großen Parteien auch an Bindungskraft verloren haben, SPD wie CSU oder auch die CDU. Was denken Sie? Ist dieser Trend unumkehrbar?

David McAllister: Im europäischen und internationalen Vergleich haben wir nach wie vor große starke Volksparteien in Deutschland. Wir haben zum Glück nicht eine Zersplitterung des politischen Systems, wie beispielsweise in Belgien oder Italien. Und die CDU ist die größte deutsche Volkspartei, mit Ausnahme der CSU, sagen viele wahrscheinlich, die einzig verbliebene Volkspartei in Deutschland. Und unser Ziel muss es sein, bei Wahlen Ergebnisse um die 40 Prozent zu erzielen. Das muss unser Anspruch sein. Davon sind wir momentan in den Umfragen etwas entfernt. Gleichwohl haben wir selbst bei der Bundestageswahl 2009 gezeigt, dass wir mit 39,2 Prozent der Erststimmen ja in der Lage sind, auch in einem schwieriger werdenden politischen Markt doch Ergebnisse um die 40 Prozent zu erzielen.

Also, ich möchte gerne, dass wir in Deutschland auch zukünftig starke Volksparteien haben. Und dass Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten der EU stabile politische Verhältnisse hat, liegt auch darin begründet, dass wir Volksparteien haben, die von der Mitte der Gesellschaft aus kommend nach rechts und nach links integrieren können. Wir sind damit in Deutschland gut gefahren. Und jeder, der das Ende der Volksparteien einläutet oder einläuten will, sollte sich immer die Situation in anderen Staaten anschauen, ob das wirklich so viel attraktiver ist. Zumindest haben wir in Deutschland nicht die Situation, dass nach Wahlen monatelang unklar ist, wer neuer Regierungschef wird, wie wir das beispielsweise jetzt in Belgien erlebt haben.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir bei der Volkspartei, bei Ihrer Partei, der CDU. Hat die Partei nach Ihrer Auffassung Nachholbedarf, was das Konservative angeht? Ist da was verloren gegangen? Ist da eine offene Flanke entstanden?

David McAllister: Diese Einteilung, was ist konservativ, was ist liberal, was ist sozial, ist natürlich im Jahre 2010 auch immer schwieriger vorzunehmen. Wenn man für den Erhalt der Wehrpflicht ist, ist man da jetzt konservativ oder ist man progressiv? Ist der Ökobauer auf der Schwäbischen Alb ein Konservativer, ist das ein Liberaler? Wie wollen Sie das eigentlich einordnen? Wenn Sie für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind und den weiteren Ausbau von Kinderkrippenplätzen fordern, ist das nun konservativ oder nicht?

Also, wenn sie die Menschen in Deutschland fragen, wie definieren Sie "konservativ", kriegen Sie von jedem Menschen bald eine unterschiedliche Antwort. Insofern ist immer schwierig zu fragen oder zu beantworten die Frage, kann die CDU konservativ genug sein, ist sie konservativ genug, was muss sie tun - weil jeder etwas anderes darunter vorstellt. Aber die CDU wird nur dann Erfolg haben in Deutschland, und damit meine ich Wahlergebnisse um die 40 Prozent, wenn sie für eine breite gesellschaftliche Schicht attraktiv bleibt, für Männer und Frauen, für Ältere und Jüngere und für alle Berufsgruppen und für die Menschen in der gesamten Republik. Und dafür brauchen wir eine inhaltliche Spannbreite. Und dafür brauchen wir natürlich auch Vertreterinnen und Vertreter, die konservative Positionen dezidiert besetzen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja jetzt neulich in einem Interview mal gesagt, Sie selbst bezeichnen sich als konservativ, aber auch sehr "angegrünt". Wo sind Sie denn angegrünt?

David McAllister: Wenn Sie Ministerpräsident sind, eines großen Bundeslandes, dann stehen Sie für Maß und Mitte, weil, Maß und Mitte ist entscheidend, um die deutsche Politik weiter voranzubringen.

Deutschlandradio Kultur: Dann frage ich jetzt mal nicht den Ministerpräsidenten, sondern den CDU-Mann David McAllister. In der abgelaufenen Woche war ja auch Haushaltsberatung im Bundestag. Und da haben alle Beobachter gesagt, dass recht deutlich wurde, dass der Kontrahent Nummer eins für die CDU/CSU nicht mehr die SPD sei, sondern inzwischen die Grünen. Auch die Bundeskanzlerin hatte sich als CDU-Vorsitzende doch ziemlich auf die Grünen eingeschossen an der Stelle. Wie beurteilen Sie das? Sind die Grünen inzwischen der Widersacher Nummer Eins für Ihre Partei?

David McAllister: Klar ist, die SPD ist im Formtief. Die SPD ist etwas außer Tritt und die Grünen profitieren enorm von der Schwäche der SPD. Die Umfrageergebnisse der Grünen sind ja zum Teil schwindelerregend. Ich halte sie aber auch nicht für nachhaltig. Und sie sind auch letztlich nicht wirklich sachlogisch erklärbar.

Deutschlandradio Kultur: Vielleicht aber doch erklärbar. Sie haben jetzt die eine Seite ausgeblendet, wenn ich Sie da unterbrechen darf: Möglicherweise liegen die guten Ergebnisse der Grünen ja auch an der schwachen Performance von Schwarz-Gelb in Berlin, wenn man sich die Umfrageergebnisse anguckt für die beiden.

David McAllister: Deutschland ist Konjunkturlokomotive Nummer Eins in Europa. Wir haben das größte Wirtschaftswachstum wie seit 18 Jahren nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit ist unter drei Millionen gefallen. Und wir peilen mit 2,5 Millionen allmählich den Trend zur Vollbeschäftigung an. Das heißt, die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist wirklich sehr zufriedenstellend, insbesondere im Vergleich zu anderen Staaten der Europäischen Union.

Deutschlandradio Kultur: Aber sie schlägt sich aber noch nicht in Umfrageergebnissen nieder.

David McAllister: Gleichwohl geht dieser ökonomische Erfolg noch nicht mit der Bundesregierung nach Hause. Das ist kommunikativ eine besondere Leistung. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass – wenn sich dieser ökonomische Aufschwung verfestigt – die Menschen in Deutschland schon mehrheitlich merken werden, das hat auch etwas zu tun mit politischen Entscheidungen, die die jetzige Bundesregierung getroffen hat und auch die vorherige Bundesregierung unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel.

Also, ich bin ganz optimistisch, dass das in 2011 wieder besser wird. Und ich bin mir auch ganz sicher, dass auch nach dem 27. März Stefan Mappus der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sein wird. Unterschätzen Sie bitte nicht den Kampfeswillen der Christlich-Demokratischen Union, wenn es drauf ankommt.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, warum Schwarz-Gelb in Niedersachsen, in Hannover, gut klappt, aber in Berlin große Anlaufschwierigkeiten hatte?

David McAllister: Schwarz-Gelb hatte in Berlin Anlaufschwierigkeiten, das war ja für jeden klar erkenntlich.

Deutschlandradio Kultur: Und das ist ja fast noch ein Euphemismus...

David McAllister: Es ist mittlerweile besser geworden. Das muss man auch sagen. Ich glaube, dass die Verantwortlichen in Berlin auch aus den Fehlern der ersten Monate ihre Konsequenzen gezogen haben. Wir in Niedersachsen arbeiten ja seit 2003 in einem wahrscheinlich bundesweit einmalig guten Koalitionsklima mit der FDP. Das liegt, glaub ich, auch in der praktischen Arbeit begründet, wie man Politik gestaltet. Wir treffen uns in Niedersachsen beispielsweise jeden Dienstagmorgen vorm Kabinett zum Koalitionsausschuss.

Das heißt, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt zwischen CDU und FDP, die es natürlich auch bei uns gibt, wie in jeder Koalition, gibt es meistens nur eine Woche Zeit, dann werden die wieder ausgeräumt. Der Koalitionsausschuss tagt hinter verschlossenen Türen und des dringt seit 7 Jahren nichts heraus. Die Koalition ist geprägt durch ein hohes Maß an Vertrauen, Partnerschaft, ja zum Teil Freundschaften. Und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass nicht nur der Koalitionsausschuss, also die Spitzen sich regelmäßig treffen. Wir haben in Niedersachsen regelmäßig treffende Arbeitskreise von CDU- und FDP-Abgeordneten zu Fachthemen. Wir machen sogar gemeinsame Fraktionssitzungen, sogar gemeinsame Klausurtagungen über mehrere Tage.

Dadurch sind zwischen CDU und FDP so viele auch persönliche Freundschaften entstanden, und das haben wir in den letzten Jahren in Niedersachsen ganz bewusst forciert. Und wir sehen ja jetzt, dass dieser Stil ein anderer ist als in anderen Ländern, auch ein anderer war als in den ersten Monaten im Bund. Und die Freundschaft zwischen Philipp Rösler, unserem FDP-Landesvorsitzenden, und mir, die ist ja eine ehrliche Freundschaft. Und Philipp Rösler weiß auch, jeder Niedersachse steht unter dem besonderen Schutz des Ministerpräsidenten, wenn er es denn möchte, und mein Freund Philipp Rösler allemal.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben unsere Schlussfrage sozusagen schon eingeleitet. Die sollte nämlich lauten: Philipp Rösler will mit 45 aussteigen aus der Politik. Das hat er gesagt, als er Bundesgesundheitsminister wurde. Sie sind noch nicht 40, aber bald. Wie lange wollen Sie denn? Haben Sie ein Ausstiegsszenario für sich?

David McAllister: Ich bin doch gerade erst eingestiegen in das Amt des Ministerpräsidenten ...

Deutschlandradio Kultur: ... Philipp Rösler ist auch noch nicht ewig dabei.

David McAllister: Ja, das ist eine Aussage von Philipp Rösler, die ich öffentlich nie kommentiert habe. Das muss er selbst vertreten, wie und was er da gesagt hat. Ich selbst hab die riesengroße Ehre, jetzt seit fünf Monaten Ministerpräsident zu sein. Wenn mir das jemand vor einem Jahr vorhergesagt hätte, hätte ich abgewunken, hätte das für völlig unmöglich gehalten. Ansonsten strebe ich keine weiteren politischen Ämter an. Mein Bedarf an Karrieresprüngen ist im Jahr 2010 mehr als gedeckt worden.

Deutschlandradio Kultur: Da können wir in 20 Jahren ja noch mal drüber reden, ob Sie tatsächlich in Hannover bleiben. Auf alle Fälle danken wir Ihnen für das Gespräch.
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