"Nathan der Weise" am Münchner Volkstheater

"Ein hochaktuelles Stück"

Regisseur Christian Stückl während einer Premierenfeier von "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen in 2012.
Regisseur Christian Stückl © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Christian Stückl im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.01.2015
Mehr als 200 Jahre alt ist Lessings Klassiker "Nathan der Weise" über religiöse Toleranz, dennoch ist es immer noch hochaktuell, sagt Regisseur Christian Stückl, der das Drama am Münchner Volkstheater inszeniert.
Auch heute noch brauche man Mut, um den "Nathan" aufzuführen, sagte Stückl im Deutschlandradio Kultur, dessen Nathan-Inszenierung am 24.1. Premiere hat. Seit der Zeit Lessings sei man an vielen Punkten noch nicht weitergekommen. Viele fühlten sich derzeit immer sofort angegriffen und vermuteten vom anderen, er wolle das Abendland untergehen lassen oder dergleichen. "Wir werden alle immer empfindlicher", beklagte der Regisseur.
Immer wieder habe man sich bei den Proben damit auseinandergesetzt, was es bedeute, Moslem oder Christ zu sein, erzählte Stückl. Ihm sei es ein großes Anliegen, das Stück nicht als Klassiker zu betrachten, sondern die Geschichte ganz an sich ranzuziehen – "jetzt, wo es an allen Enden und Ecken hochkocht".

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Sultan Saladin, Sittah, Nathan, ein reicher Jude aus Jerusalem, Recha, Daja, ein junger Tempelherr, ein Derwisch, der Patriarch von Jerusalem, ein Klosterbruder, ein Emir nebst verschiedenen Mamelucken des Saladin. Das sind die handelnden Personen eines Stückes, das jeder aus der Schule und die meisten wahrscheinlich auch von der Bühne kennen müsste. "Nathan der Weise" ist gemeint, das letzte und wohl berühmteste Stück von Gotthold Ephraim Lessing. Mit der Hauptfigur hat er seinem Freund Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal gesetzt.
Und in diesem Stück ist ja auch die berühmte "Ringparabel", in der jeder Ring für eine der großen Weltreligionen steht, denen die Hauptfigur Nathan die gleiche Bedeutung zumisst: dem Judentum wie dem Christentum und dem Islam. Und mit dieser Ringparabel unter anderem ist dieses Stück hochaktuell, obwohl es doch vor 200 Jahren, vor gut 200 Jahren, 1783 in Berlin uraufgeführt wurde.
Am Samstag jedenfalls hat es in München am Volkstheater Premiere. Christian Stückl hat den "Nathan" jetzt für sein Haus inszeniert, er ist da Intendant und Regisseur, wurde nicht nur in Oberammergau geboren, sondern hat da auch als Spielleiter der Passionsfestspiele agiert. Er war an vielen Bühnen, an den Kammerspielen in München, hat aber auch so was wie die Eröffnungsfeier der Fußball-WM 2006 in München in Szene gesetzt. Und sein "Brandner Kaspar", der sorgt am Volkstheater immer wieder für ein ausverkauftes Haus. Das könnte ab Samstag wieder der Fall sein, wenn der "Nathan" dort läuft. Grüß Sie, Herr Stückl!
Christian Stückl: Guten Tag, grüß Gott!
von Billerbeck: Lessings "Nathan der Weise" und die religiöse Toleranz, die dort thematisiert wird, das ist ja gerade jetzt ein brisanter Stoff. Mehr wahrscheinlich, als Sie es wussten, als Sie das Stück auf den Spielplan gesetzt haben, oder?
Indienreise als Auslöser
Stückl: Ja, sagen wir mal so, das ist relativ spät entstanden. Ich fahre seit 20 Jahren nach Indien, und ich war heuer in Indien und hab dann irgendwie – da haben sich in den letzten Jahren die politischen Verhältnisse total gedreht. Die BJP ist voll mit dran an der Regierung, und das ist die Hindu-Partei, und man merkt plötzlich, wie plötzlich religiöse Geschichten da ganz extrem hoch kommen, also Hindus gegen Moslems. Und ich hab dann irgendwie mit Freunden gestritten, auseinandergesetzt und so, und irgendwann am Abend bin ich ins Internet gegangen und hab mir den "Nathan" rausgeholt und hab dann gedacht, irgendwie spürt man sofort, da sind Geschichten drin, die plötzlich im Raum stehen. Aber dass es jetzt natürlich so extrem gerade so ist, wie jetzt gerade die Auseinandersetzung läuft, das habe ich nicht geahnt.
von Billerbeck: Lessing hat jedem Mut gewünscht, der sich traut, "Nathan der Weise" aufzuführen. Brauchen Sie diesen Mut in München jetzt auch?
Stückl: Ja, man braucht schon Mut, weil auf der anderen Seite steht natürlich in der Mitte dieses Stücks diese "Ringparabel", von der Sie schon gesprochen haben. Und der Versuch von Nathan, das irgendwie zu fassen, wie man denn umzugehen hat mit den Religionen, also, dass er einfach sagt, nehmen wir die Dinge doch, wie sie sind, jeder hat einen Ring von seinem Vater, jeder glaubt sich von seinem Vater geliebt, und jetzt muss er doch schauen, dass dieser Ring in seiner schönen Form zur Entfaltung kommt. Und aber schon am Ende dieser Ringparabel steht Saladin auf der Bühne und sagt, die tausend Jahre sind noch nicht vorbei, also er zweifelt, dass wir jemals zu dem Punkt kommen.
Und in dem Stück ist natürlich ständig der eine hetzt über den Juden, der andere über den Moslem, der Dritte über den Christ – also man merkt irgendwie in dem Stück, dass das eine ständige Auseinandersetzung ist. Und natürlich braucht man jetzt im Augenblick schon Mut dazu, dass man sagt, wie weit darf man sich rauslehnen, wie weit darf man am Islam Kritik üben, wie weit darf man am Christentum Kritik üben, oder wie empfindlich sind sie gerade alle mit diesen Themen.
von Billerbeck: Und wie empfindlich sind wir? Was erwarten Sie für die Uraufführung, für die Aufführungen?
"Wir werden alle immer empfindlicher"
Stückl: Ich hab schon das Gefühl irgendwie so, wir werden alle immer empfindlicher. Von jeder Seite – man fühlt sich immer sofort angegriffen. Die einen sehen gleich das Abendland untergehen, es ist dann eigenartig, wie dann sofort beim Wort dann im Stück von Lessing dann auch im Ohr klingelt, wenn plötzlich der Saladin sagt, er war kein Abendländer, oder wenn – also man hat schon das Gefühl irgendwie, es ist ganz eine große Empfindlichkeit gerade im Augenblick da. Und das macht es beim Inszenieren nicht ganz leicht.
Es ist ganz spannend, dass wir auch mehrere Muslime im Stück mit drin haben, also die mitspielen in der Inszenierung. Und wir setzen uns wahnsinnig viel auseinander. Ich glaube, wir haben noch nie so viel über das Stück gesprochen und so wenig geprobt eigentlich. Wie haben uns so viel auseinandergesetzt im Proberaum und haben hin und her und her und hin – also es ist wirklich gerade ganz spannend, dieses Stück zu machen.
von Billerbeck: Also mehr Polittheater als Klassik?
"Dieses Stück ist eigentlich immer noch total aktuell"
Stückl: Ja, irgendwie vergisst man den Klassiker dabei. Man vergisst den, und das ist auch gut so, dass man plötzlich merkt, dieses Stück ist eigentlich immer noch total aktuell, wenn man denkt, das ist über 200 Jahre alt. Aber wir sind eigentlich an vielen Punkten einfach so nicht weitergekommen. Wir setzen uns zu wenig miteinander auseinander. Wir vermuten immer im anderen sofort, dass er das Abendland untergehen lässt. Also, wir setzen uns viel zu wenig auseinander, und das bemängelt Lessing ja in seinem Stück vor über 200 Jahren auch. Und das spürt man schon. Also, das Stück ist hoch aktuell.
von Billerbeck: Ihre Erregtheit, wenn ich die jetzt Ihrer Stimme entnehme, die spricht dafür, was da für Diskussionen während der Proben oder während der Nicht-Proben, wie Sie es ja gerade beschrieben haben, stattgefunden haben. Fließen denn diese Debatten unter den Schauspielern mit Ihnen denn auch in die Inszenierung ein?
Stückl: Ja, irgendwie, natürlich. Wir haben uns natürlich auf den Proben immer wieder und immer wieder auseinandergesetzt, was bedeutet das für den einen, ein Moslem zu sein, was bedeutet das für den jungen Tempelherrn, Christ zu sein? Er verliebt sich in eine Jüdin. Alle diese Diskussionen, die wir geführt haben, müssen natürlich ins Stück mit einfließen.
Und wir sind da irgendwie ganz weit weg, dass man sagt, wir haben alte Kostüme und erzählen irgendwie die alte Geschichte so, sondern eigentlich ist es mir schon ein großes Anliegen, dass man das richtig an sich ran zieht und jetzt versucht, jetzt damit sich auseinanderzusetzen, jetzt, wo es an allen Ecken und Enden hoch kocht.
von Billerbeck: Jeder ist wahrscheinlich mit einem Schauspieler aufgewachsen oder hat seinen "Nathan" gesehen. Bei mir war das im Deutschen Theater Wolfgang Heinz. Sie haben jetzt August Zirner besetzt für die Hauptrolle – warum?
Stückl: Er ist ein guter Schauspieler erst mal, und wir haben uns im Sommer in Wien getroffen, und ich hab – der ist ja sonst nicht an unserem Haus, der hat aber mit mir – wir haben hier schon mal vor drei Jahren am Haus zusammengearbeitet, wir kennen uns seit längerer Zeit. Eigentlich kennen wir uns aus der Zeit an den Münchener Kammerspielen.
Ich fand ihn die richtige Besetzung. Was dann ganz interessant war, dass August auch jüdische Wurzeln hat, sein Vater war Jude in Wien. Und von daher waren wir dann gleich auch wieder bei der Besetzung ganz nahe an der Geschichte dran.
von Billerbeck: Christian Stückl war das, Intendant und Regisseur am Münchener Volkstheater. Er inszeniert dort jetzt "Nathan den Weisen" von Lessing, in der Hauptrolle August Zirner. Und nach der Premiere am 24., für die wir natürlich alles Gute wünschen, sind weitere Vorstellungen am 25., 29. und 30 Januar. Herr Stückl, ganz herzlichen Dank und alles Gute noch für die letzten Tage der Proben!
Stückl: Danke auch, ciao!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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