Namhafte Gelehrtenstimmen im Original

Von Konrad Lindner · 20.05.2012
Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale besitzt ein einzigartiges Archiv: schriftliche Dokumente, Fotografien der Mitglieder - und ein großer Schatz an Tonbändern. Die wurden jetzt digitalisiert, damit die Audiodaten auch kommenden Generationen erhalten bleiben.
"Jetzt wird das Band eingelegt. In die Plastikspule und vor dem Tonkopf entlang. - Jetzt läuft das Band."

"Als wir uns gestern Abend etwas über den heutigen Vortrag unterhielten, sagte mir Herr von Weizsäcker, was er in Sachen Vortraghalten einmal von seinem Lehrer Werner Heisenberg gelernt hat. Herr Heisenberg sagte ihm, man muss drei Dinge tun für einen Vortrag. Als erstes muss man etwas erzählen, was alle schon wissen. Als zweites muss man etwas erzählen, was ein Teil versteht. Als drittes muss man auch den Mut haben, etwas zu sagen, was noch keiner weiß und keiner gleich versteht."

Andreas Pfau bearbeitet ein historisches Band mit der Stimme von Leopoldina-Präsident Heinz Bethge aus Halle. Sie klingt etwas blechern, aber das lässt sich nicht ändern. Kürzlich hatte der Tontechniker einen Stapel von 163 Tonbändern vor sich auf dem Tisch. Sie stammten aus dem Archiv der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale. Ein Teil der Bänder war mehr als ein halbes Jahrhundert alt. In der Akademie waren längst nicht mehr die Abspielgeräte vorhanden, um die wertvollen Mitschnitte vorzuspielen. Die Medienfirma DREFA in Leipzig konnte mit ihrer Technik helfen. Die Aufnahmen auf den ORWO-Bändern waren in der Leopoldina jedoch nicht angefertigt worden, um ein Archiv mit Wissenschaftlerstimmen aufzubauen. Archivleiter Danny Weber:

"Die Tonbänder sind eigentlich zu einem andern Zwecke angelegt worden. Die waren für rein technische Dinge, sollten die aufgenommen werden, um damit Tagungsbände, Konferenzbände zu erstellen."

Unter den Bändern befinden sich großartige zeithistorische Dokumente. So zum Beispiel die Eröffnungsrede von Leopoldina-Präsident Kurth Mothes zur Jahresversammlung 1967 in der DDR, die verständlicherweise nicht im "Neuen Deutschland" veröffentlicht wurde. Der Botaniker der Universität Halle sparte nämlich nicht mit Kritik, weil er einen freizügigen Wissenschaftleraustausch zwischen Ost und West forderte.

"Wer sich von diesem Austausch ausschließt, lernt zu langsam, bleibt arm und wirkt auch nicht in die Welt hinaus. Es ist für die DDR eine ganz entscheidende Frage, ob wir uns die jetzt herrschende wissenschaftliche Isolation leisten können. Ich glaube nicht. Ich glaube auch nicht, dass man die hoch begabten jungen Kräfte durch Abschließung gewinnen und überzeugen kann. Das ist im 20. Jahrhundert nicht mehr möglich. Es ist eine das Präsidium stets bewegende große Sorge, das zur Zeit viel zu wenig geschieht, der jungen Forschergeneration die Bildungsmöglichkeiten zu verschaffen, die sie braucht, die wir brauchen, die unsere Wirtschaft braucht."

20 Jahre - von 1954 bis 1974 - war Kurt Mothes Präsident der deutschen Akademie der Naturforscher in Halle an der Saale. Viele seiner Vorträge aber auch die anderer Wissenschaftler - wie die des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker - sind auf Magnet-Tonbändern überliefert, die jetzt digitalisiert wurden. Keine Superqualität, aber doch einzigartig im Inhalt.

"Meine Damen und Herren, es freut mich sehr, hier zu sein. Ich bin natürlich gerührt und geehrt über die große Anzahl, in der Sie erschienen sind. Ich will es nach der Vorschrift von Heisenberg machen. Ich habe sie in dieser sehr knappen Form in Erinnerung. Ein Teil, den die Zuhörer schon wissen. Ein Teil, den sie noch nicht wissen, aber verstehen. Ein Teil, den sie nicht verstehen. Dann kann man die Grenzen verschieben. Und zu dem Teil, den sie nicht verstehen, ist der Verdacht nie ausgeschlossen, dass der Redner ihn auch nicht versteht."

In Halle reisten selbst zu Mauerzeiten Wissenschaftler aus Ost und West an. Die Ehepartner kamen mit. Parallel zu den Veranstaltungen der Jahresversammlungen wurden Damenprogramme organisiert. Und in den wissenschaftlichen Veranstaltungen ging es durchaus nicht nur bierernst zu. Achivleiter Danny Weber schaut auf das Verzeichnis der digitalisierten Vorträge:

"Das war ein Vortrag von Max Delbrück, den er auch im Rahmen der Jahresversammlung 1967 gehalten hat, wo er versucht hat, sich mit dem Bildwissen von Kopernikus zu beschäftigen und der Frage nach geht: Haben wir ein authentisches Bild von Kopernikus überliefert oder nicht."

Max Delbrück leistete als Physiker und Biologe einen Beitrag zur Begründung der Genetik. Der Nobelpreisträger aus Kalifornien erzählte im Damenprogramm der Leopoldina über eine Episode: Einer seiner Studenten hatte ihn nach einem Vortrag über Kopernikus gefragt, warum der berühmte Astronom auf dem Bildnis ein Blümchen in der Hand halte. Max Delbrück musste gestehen, dass er das Pflänzlein bislang übersehen hatte.

"Das hat mich so beschämt, dass mich dieses Problem nicht in Ruhe gelassen hat. Und ich habe mich verschiedentlich bemüht, es aufzuklären. Eine Bemühung bestand darin, dass ich einmal bei Gelegenheit eines Besuches in Princeton Herrn Panofsky aufsuchte, sozusagen der Gründer der Wissenschaft der Ikonologie, das heißt der Begründung der Wissenschaft, die gerade solche Symbole, die Herkunft solcher Symbole zu deuten sucht. Herr Panofsky hatte die Freundlichkeit mich zu empfangen. Und ich zeigte ihm das Bild und sagte: Wie kommt Kopernikus zu diesem Maiglöckchen? Er guckte sich das Bild an und sagte: Tja, das sind Maiglöckchen. Leises Lachen. Aber ist es Kopernikus?"

Die fast 400 digitalisierten Stunden Magnetband mit den Reden namhafter Gelehrter des 20. Jahrhunderts beinhalten Ernstes und Heiteres. Sie dokumentieren aber noch viel eindrucksvoller als gedruckte Tagungsbände, dass Wissenschaft von Menschen gemacht wird, die Geist, Stimme und Humor besitzen.
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