Nahostexperte: Kein Nachfolger für Annans Syrienmission in Sicht

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Ute Welty · 04.08.2012
Die diplomatischen Bemühungen im Syrienkonflikt sind nach Ansicht des früheren Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, mit dem Rückzug Kofi Annans vorbei. "Es wird jetzt das Endspiel begonnen haben", erklärte der Nahostexperte.
Ute Welty: Es ist nur die Vollversammlung der Vereinten Nationen und nicht der Sicherheitsrat, aber immerhin hat es eine Syrien-Resolution gegeben, die verabschiedet wurde und die das Morden, wenn auch nicht beendet, dann doch wenigstens verurteilt.

(Einspielung – O-Ton: Verkündung des Ergebnisses der Abstimmung über die Resolution)

Welty: Schade nur, dass die Resolutionen der Vollversammlung im Gegensatz zu denen des Sicherheitsrates völkerrechtlich nicht bindend sind. Aber vielleicht wäre noch nicht einmal das möglich gewesen ohne den Rücktritt von Kofi Annan als Sondervermittler. Was in diesem Mann vorgehen mag, das kann vielleicht noch am ehesten Jürgen Chrobog sich vorstellen, ehemals Staatssekretär im Auswärtigen Amt und einer der deutschen Spitzendiplomaten überhaupt. Guten Morgen, Herr Chrobog!

Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Auch heute früh wieder die Meldungen von Gefechten und Toten in Syrien, auf der anderen Seite dieser Minimalerfolg einer Abstimmung in der Vollversammlung – hätten Sie getan, was Annan getan hat in der Hoffnung auf wenigstens ein solches Ergebnis?

Chrobog: Also ich hätte schon gar nicht das getan, was er getan hatte, nämlich die Verhandlungsbereitschaft zu erklären. Der ist ja reingedrängt worden in seine Rolle. Er war auch der Einzige, der eigentlich infrage kam. Er ist von einer hohen moralischen und politischen Integrität. Er ist anerkannt in Ost und West, ihm werden keine persönlichen machtpolitischen Interessen unterstellt. Er war einfach der geeignete Mann und ich kann mir niemanden vorstellen, der besser geeignet gewesen wäre.

Ich gebe Ihnen recht, sein Rücktritt hat natürlich viele Menschen aufgeschreckt, und auch die Regierungen, die vertreten sind in der Weltorganisation, aufgeschreckt. Und ohne seinen Rücktritt wäre wahrscheinlich diese Resolution nicht gefasst worden, aber sie entspricht letzten Endes natürlich der Meinung der Weltgemeinschaft, die durchaus ein Ende dieses Krieges sehen will, aber scheitert durch alles an den Realitäten vor Ort.

Welty: Wenn Sie sagen, er war der Einzige, macht es überhaupt Sinn, auf die Suche nach einem anderen Nachfolger zu gehen, oder wäre einer mit weniger Reputation und weniger Charisma vielleicht sogar erfolgreicher, weil der syrische Präsident Assad sich dann nicht so unter Druck gesetzt fühlt?

Chrobog: Nein. Jeder, der jetzt gefunden würde, würde wahrscheinlich doch auf irgendeiner Seite Anstoß erregen. Ich sehe eigentlich niemanden, der noch infrage kommt. Ich glaube, dass die diplomatischen Bemühungen jetzt vorbei sind. Es wird jetzt das Endspiel begonnen haben. Ich meine, jede Diplomatie setzt natürlich einen Grundkonsens voraus. Einen Grundkonsens entweder der Parteien, die sich bekriegen, dass eine Verhandlungslösung noch denkbar sein könnte.

Die ist nie vorhanden gewesen. Assad hat niemals Bereitschaft gezeigt, in irgendeiner Form einer Verhandlungslösung zuzustimmen. Er will dort bleiben, er ist nicht bereit, in irgendeiner Form Kompromisse zu schließen oder Veränderungen in seinem Land zu akzeptieren. Dasselbe gilt übrigens auch für die Gegenseite. Auch die Aufständischen sind nicht verhandlungsbereit, darüber hat sich Annan ja auch sehr beschwert, und zu Recht.

Und es setzt auch einen Grundkonsens voraus zwischen den Mächten, die dahinterstehen, die eine Lösung mit erreichen wollen. Hier gab es den Konsens nicht, und das ist das Entscheidende. Russland und China liefern weiter Waffen, Russland zumindest liefert die Waffen. Beide haben sich allen Versuchen Kofi Annans verweigert, und es ist ein gewisser Zynismus, wenn man Herrn Tschurkin, den Botschafter der Russen, jetzt hört, der sagt, wir haben doch immer uns eingesetzt für eine Friedenslösung, wir haben ihn immer unterstützt, wir hoffen, dass er auch in den letzten verbleibenden 20 Tagen noch Erfolg haben wird. Das ist Zynismus, und das ist durch keinerlei Haltung aufseiten der Russen gedeckt.

Welty: Sie kennen die Vereinten Nationen, haben selber dort gearbeitet. Manch einer würde sie am liebsten wegen Ineffektivität abschaffen.

Chrobog: Nein, das halte ich für falsch. Man braucht die Organisation der Vereinten Nationen schon, um diese Dinge, die jetzt auch selbst in Syrien sich abspielen, in die Öffentlichkeit zu heben. Was wäre, wenn wir dieses Weltforum nicht hätten? Dann würde ja nur noch öffentlich von allen Seiten getrennt diskutiert werden. Aber man braucht so ein Gremium, wo es zu einem Thema gemacht wird, dass die Welt schaut hier auf die Vereinten Nationen - Erfolg oder nicht.

Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie ihre Mitglieder sie stark sein lassen wollen. Und wenn die wichtigsten Mitglieder, wie die Russen und Chinesen hier, nicht mitspielen, dann sind die Vereinten Nationen geschwächt, der Sicherheitsrat kann keine Rolle spielen.

Welty: Die eine Möglichkeit ist ja jetzt, Ban Ki Moon findet einen Nachfolger und das Wunder geschieht. Die andere ist, er findet keinen Nachfolger, kein Wunder geschieht, und das Morden geht weiter. Ist das für Sie vorstellbar?

Chrobog: Letzteres ist für mich außerordentlich vorstellbar, leider Gottes ist es so. Und wir dürfen natürlich auch keine Illusionen haben, was die Aufständischen angeht. Die Aufständischen sind völlig zersplittert, die Opposition ist zersplittert, der Dachverband des Syrischen Nationalrates hat ja im Grunde keinen entscheidenden Einfluss. Er ist nicht die führende Kraft. Es gibt keine – es gibt ja noch nicht mal eine Gruppierung oder irgendwelche Personen, die die Opposition vertreten können. Die bereit sind auch, irgendwelche Kompromisse zu machen.

Es hat hier auf beiden Seiten gescheitert, und die Schuld liegt natürlich auch mit bei der Opposition. Sie ist nicht bereit gewesen, jemals in Verhandlungen einzutreten. Vielleicht aus der richtigen Erkenntnis heraus, es lohnt sich sowieso nicht. Dann haben wir natürlich auch viele sehr dubiose Figuren in der Opposition. Al Kaida scheint sehr stark zu sein, es wird immer gefährlicher.

Man muss sich jetzt, glaube ich, zwischen Ost und West auf das konzentrieren, was am Ende entstehen wird. Nämlich verhindern ein Vakuum, verhindern, dass die Aufständischen, und zwar die falschen Aufständischen, jetzt an diese Massenvernichtungswaffen, die chemischen Waffen, die Raketen und Ähnliches kommen. Da sollten eigentlich die Russen und die Amerikaner gleiche Interessen haben, denn auch die Russen können nicht wollen, dass die Waffen in die Hände von Al Kaida kommen, die ja auch für Russland immer eine Bedrohung sind.

Welty: Ist der nächste Schritt der Militäreinsatz?

Chrobog: Nein, ich sehe ihn nicht. Es ist auch so entsetzlich schwer – früher wurde schon mal ein Militäreinsatz gefordert, aber auf welcher Seite denn, wo? Es gibt doch keine Frontverläufe. In Libyen war es doch so, dass immerhin noch Bengasi einfach umrundet war von den Regierungstruppen. Bengasi konnte gerettet werden, hier war eine klare Front zu sehen.

Dies ist hier nicht, es ist Häuserkampf, in Aleppo, Häuserkampf in Damaskus. Wo will man hier eingreifen, man wird auf jeden Fall auch viele, viele Unschuldige treffen. Ich sehe das nicht. Der Druck muss weitergehen, und vor allen Dingen muss sich ein Konsens bilden im Hinblick darauf, dass dann später kein Vakuum entsteht, was hochgefährlich werden kann für die gesamte Region.

Welty: Jürgen Chrobog in Deutschlandradio Kultur, der Mann, der 2003 die Algerien-Geiseln frei verhandelte. Ich danke für dieses Interview!

Chrobog: Gern! Guten Morgen.

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